Sommerakademie

Für die Freiheit Europas

Sommerakademien für junge Erwachsene bieten Kurse zu den „Koordinaten Europas“ an. Eine Bildungsinitiative des Bistums Limburg und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Kreative Pause in der Sommerakademie
Foto: Universität Erfurt / Holger Zabrowski | In der Sommerakademie gibt es auch die kreativen Pausen.

Was sind eigentlich die orientierenden geistigen Grundlagen Europas, seine „Koordinaten“, an denen sich Denken und Handeln ausrichten kann? Das ist die Leitfrage der Sommerakademien für junge Erwachsene, die eine vom Bistum Limburg und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt 2015 ins Leben gerufene Initiative veranstaltet.

Der Probelauf zu der auf sechs Jahre angelegten Veranstaltungsreihe fand 2019 in Salzburg mit einer ersten Sommerakademie zum Thema „Heimat Europa?“ statt. Ob und wie Europa überhaupt eine gemeinsame Heimat sein, bleiben oder werden kann, ist ja die Grundfrage, von der die Justierung eines konsensfähigen Koordinatensystems der Werte abhängt. Wieviel gemeinsamer Geist als ein geistiges Obdach, als europäische Heimat und identitätsstiftende Bindekraft ist notwendig und wieviel ist verträglich, damit die Vielfalt der europäischen Kultur nicht verloren geht, wie also ist „Vielheit in Einheit“ mit gemeinsamen Wurzeln und Werten möglich?

Widerstand gegen Feinde der Freiheit

Konkret räumlich vermisst die Initiative die „Koordinaten Europas“ in alle Himmelsrichtungen, beginnend mit einer Veranstaltung im Norden, in Güstrow. 2020 konnte dort trotz der schwierigen Pandemie-Bedingungen eine Sommerakademie über die „Kultur gelebter Solidarität und Verantwortung“ durchgeführt werden. Weiter geht es dann in diesem Jahr im Osten, in Görlitz, mit dem Thema „Freiheit – Widerstand – Menschenwürde“, im nächsten Jahr geht es nach Westen, wo in Gent die Sommerakademie über „Ökonomie und Ökologie“ stattfinden wird. 2023 endet dieser Zyklus im Süden, in Brixen, mit einer Veranstaltung über „Religion und Pluralismus“. Zielsetzung ist dabei stets, „die Offenheit Europas, seine kulturelle Vielfalt und seine vielschichtigen Gemeinsamkeiten in ihrer Unterschiedlichkeit“ in den Blick zu nehmen, und „die große Bedeutung der europäischen Einigung und ihre geistig-religiösen Voraussetzungen“ ins Gedächtnis zu rufen. Im Anschluss an diesen Zyklus stehen „Bildung“ und „Regionalität“ an als europäische Koordinaten, deren Justierung in weiteren Veranstaltungen sich die Initiative vorgenommen hat.

Bildung und Begegnung

Mit jeweils 20 bis 25 Teilnehmern ermöglichen die Sommerakademien intensives Arbeiten, unter anderem durch begleitende Podcastprojekte, die alle Teilnehmer einbeziehen. Ein Rahmenprogramm fördert die Begegnung mit den Menschen, der Geschichte und Kultur des Tagungsortes, auf den jeweils die Kompassnadel zeigt. Zu jeder Akademie erscheint ein Begleitband.

In diesem Jahr also steht im Sankt-Wenzeslaus-Stift vor den Toren von Görlitz vom 8. bis zum 14. August das Thema „Freiheit – Widerstand – Menschenwürde“ an. Die Ankündigung zu dieser Sommerakademie erläutert dazu: „Die europäische Freiheit ist die Freiheit des Individuums, der Person als eines sittlichen Wesens, in ihr findet unsere Menschenwürde ihren vornehmsten Ausdruck. Sie anerkennt die Grenzen menschlicher Existenz und bleibt auf eine Kultur des Rechts und der Gerechtigkeit hingeordnet. Gleichzeitig ist die Freiheit aber auch immer gefährdet, sie droht bisweilen ungerechtfertigt eingeschränkt oder gar ganz abgeschafft zu werden.

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Die Freiheit muss daher gegen die Feinde der Freiheit bisweilen auch geschützt werden. Wir nennen eine solche Haltung ,Widerstand‘. Aber welcher Widerstand ist überhaupt gerechtfertigt? Was sind die Quellen echten Widerstands? Gibt es nicht auch eine missbräuchliche Verwendung der Widerstandsrhetorik, wie wir sie von der neuen Rechten über die sogenannten Querdenker bis hin zu linksextremen Gruppierungen immer lauter hören? Wie sah Freiheitskampf und Widerstand ganz konkret in der DDR und in Osteuropa aus?“ Vorträge über philosophisch-theologische und biblische Zugänge zum Widerstand mit einem Blick auf den Widerstand in der DDR, sowie zur Neuen Rechten, mehrere Zeitzeugengespräche, ein Kamingespräch zu den Grenzregionen in Europa setzen sich inhaltlich mit dem Tagungsthema auseinander, ergänzt durch einen begleitenden Podcastworkshop, eine Stadtführung in Görlitz und eine Exkursion zur Zisterzienserinnen-Abtei Marienthal.

Die Rolle der Kirchen

Ein Höhepunkt wird ein Zeitzeugengespräch mit Aliaksei Paluyan sein, dem Regisseur des Dokumentarfilms „Courage“ über Widerstand und Kampf um die Meinungsfreiheit in Belarus am Beispiel eines Underground-Theaters in Minsk. Die Tagung schließt mit einem Themenblock „Blick nach vorne / Europas Zukunft und die Rolle der Kirchen“.

Organisatoren der Sommerakademien sind Dipl.-Theol. Martin W. Ramb, Abteilungsleiter Religionspädagogik, Medien und Kultur im Bischöflichen Ordinariat Limburg und Professor Holger Zaborowski, Professor für Philosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Sie sind auch die Initiatoren des kulturell-diakonischen Projektes „Denkbares“, das neben den Sommerakademien auch ein Philosophie-Festival sowie noch ein innovatives Publikationsprojekt „Edition Denkbares“ umfasst.

Philosophie-Festival zum Thema „Freiheit“

Ab September laufen dann auch die Veranstaltungen des diesjährigen Philosophie-Festivals zum Thema „Freiheit“ an, mit sehr unterschiedlichen, aber allesamt bewegenden und anregenden Beiträgen wie einem Gespräch mit den Keramikerinnen Ute Matschke und Maria Meyer in ihrem Werkstattraum, ein Gespräch mit Samuel Koch, der nach einem Unfall bei der Fernsehsendung „Wetten, dass...?“ vom Hals ab gelähmt ist, und dem Pädagogen und Philosophen Thomas Schweikert über die Frage: Was inspiriert Menschen und gibt ihnen wirklich die Kraft, immer wieder aufzustehen? Das Festival schließt gesellig-nachdenklich mit einem Symposion, das im eigentlichen Wortsinn als Gastmahl wirklich Speis und Trank mit dem gedanklichen Austausch verbindet. Johannes Schaber, der Abt von Ottobeuren, wird zwei Tischreden über das Verhältnis von Freiheit und Bindung halten, so wie es die Regel des hl. Benedikt versteht. Er führt in das klösterliche Leben ein und erläutert, welche Bedeutung dieses Lebensmodells für die heutige Zeit haben kann.

Das Konzept „Koordinaten Europas“ der Initiative „Denkbares“ ist mit dem Robert-Schuman-Preis 2021 ausgezeichnet worden. Zu Recht, denn dass die Neu- oder Nachjustierung der Koordinaten Europas, das Nachdenken über seine Identität und die Beförderung der Solidarität dringlich ist, war durch die von der Corona-Pandemie offengelegten Probleme im europäischen Zusammenwirken besonders deutlich geworden. Professor Zaborowski sieht sich mit der Preisverleihung darin bestärkt und bestätigt: „Europa wird sich maßgeblich daran bewähren, wie die Krise weiter bewältigt und aufgearbeitet wird. Vor allem dazu ist auch ein neues Nachdenken über Europa notwendig, wie wir es in unserem Projekt vorschlagen. Deshalb freuen wir uns sehr über die Auszeichnung mit dem Prix Robert Schuman.“

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