In Spanien hat die Berufsausbildung traditionell eine zweitrangige Rolle gespielt, obwohl 2012 die duale Berufsausbildung nach deutschem Muster eingeführt wurde. Darauf bezog sich etwa 2015 der Bildungsminister der damaligen konservativen spanischen Regierung Inigo Méndez de Vigo bei einem Deutsch-Spanischen Forum in Berlin: „Zu viele Menschen drängen in die Universität. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen der Zahl der Hochschulstudenten und der Berufsbildungsabsolventen herstellen.“ Das spanische Bildungssystem müsse in der Lage sein, „mehr junge Menschen in eine Berufsausbildung zu lenken, wie es in Deutschland der Fall ist“. Dafür sollte das Ansehen der Berufsausbildung verbessert werden.
In der Ausbildung Arbeitsverträge abschließen
Obwohl die Wahrnehmung, dass in Spanien zu viele junge Menschen ein Universitätsstudium beginnen, einer kritischen Prüfung nicht standhält – der Anteil der Studienanfänger an der Bevölkerung des entsprechenden Geburtsjahres beträgt dort lediglich 47 Prozent im Vergleich zu 53 Prozent in der Europäischen Union und zu 57 Prozent in Deutschland –, stimmt es, dass die Berufsausbildung bislang kein hohes Ansehen genoss.
Das spanische Bildungsministerium arbeitet jedoch zurzeit an einem Gesetzentwurf, um das bestehende Berufsausbildungsgesetz zu reformieren. Im Gegensatz zu den massiven Protesten, die das neue spanische Rahmenschulgesetz hervorgerufen hat, weil viele Schulverbände darin eine Beschneidung von Grundfreiheiten sehen, wird der Gesetzentwurf etwa vom Verband der Unternehmensorganisationen CEOE unterstützt. In der Zeitung „Abc“ führte Josefina G. Stegmann eine solche Unterstützung darauf zurück, dass im Gegensatz zum neuen Schulgesetz der Gesetzentwurf zur Berufsausbildung „nicht so stark ideologisch“ gefärbt sei. Die spanische Ministerin für Bildung und Berufsbildung, Pilar Alegría, setzt sich für eine Reform der Berufsbildung ein, um den Mangel an digitalen Talenten und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. „Die Arbeitsplätze, die in diesem Jahrzehnt geschaffen werden, erfordern mittlere berufliche Qualifikationen“, weshalb die Ministerin das neue Berufsausbildungsgesetz für sehr wichtig halte.
Mehr Unternehmensbeteiligung
Die Beteiligung der Unternehmen an der dualen Berufsausbildung soll denn auch gesteigert werden. Sah das bisherige Gesetz als Höchstgrenze ihrer Beteiligung an der Ausbildung 40 Prozent, so spricht der Gesetzentwurf von einer „Mindestgrenze“ von 30 Prozent. Die Ausbildung im Unternehmen soll im Rahmen eines Ausbildungsvertrags vergütet werden. Bisher hieß es im Gesetz, für die Ausbildung solle ein „Arbeitsvertrag“ geschlossen werden. Mit dem neuen Gesetz werden die Arbeitgeber Kosten senken können. Laut einer jüngst durchgeführten soziologischen Studie halten das mehr als 80 Prozent der Arbeitgeber in allen Branchen und Größenordnungen die Berufsausbildung für eine gute Option für die Berufe der Zukunft.
Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sprechen sich für eine praktische Ausbildung aus: 95,2 Prozent ziehen es vor, dass die Berufsschüler mehr Zeit im Unternehmen als in der theoretischen Ausbildung verbringen.
Wenige Abiturienten wollen eine Berufsausbildung
Zur Qualität der dualen Berufsausbildung spricht ebenfalls, dass 61,5 Prozent der befragten Unternehmen zuversichtlich sind, dass die Berufsausbildung dazu beitragen wird, die Nachfrage in technologiebezogenen Sektoren zu decken. Darüber hinaus würden 61,6 Prozent der kleineren und mittleren Unternehmen die Einstellung eines Auszubildenden im Vergleich zu anderen Optionen in Betracht ziehen. Diese Zahl wächst mit zunehmender Größe des Unternehmens.
Nicht zufrieden mit dem Gesetzentwurf sind indessen die staatlich anerkannten Privatschulen. Denn ihre wichtigsten Vorschläge sind nach eigenen Angaben nicht berücksichtigt worden. Wie schon im Falle des Schulgesetzes bevorzugt der Gesetzentwurf zur Berufsausbildung die staatlichen Ausbildungsstätten. Wird im aktuellen Berufsausbildungsgesetz die Finanzierung der privaten Berufsbildung durch Vereinbarungen mit den staatlichen Stellen geregelt, so soll im neuen Berufsausbildungsgesetz für eine staatlich finanzierte private Berufsausbildung kein Platz mehr bleiben.
Gestiegene Nachfrage
Das neue Gesetz soll zu einem Zeitpunkt verabschiedet werden, zu dem die Nachfrage nach einem Ausbildungsplatz enorm gestiegen ist – einigen Schätzungen zufolge sogar um 80 Prozent in den letzten sechs Jahren. Dennoch entscheiden sich nur zwölf Prozent der Abiturienten für eine Berufsausbildung (in der EU beträgt diese Zahl durchschnittlich 26,8 Prozent). Auch wenn das Angebot regional sehr unterschiedlich ist, denn für die Berufsausbildung wie für die Schulbildung sind die Comunidades Autónomas (Länder) zuständig, herrscht überall Mangel an Ausbildungsplätzen: In demselben Zeitraum stieg das Angebot an staatlichen Berufsausbildungsplätzen lediglich um 30 Prozent. Deshalb ist zurzeit überall zu hören, dass ein großer Teil an Berufsausbildungswilligen keinen Ausbildungsplatz für das nun beginnende Ausbildungsjahr erhalten hat.
Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent ist es zu begrüßen, dass die berufliche Bildung besser wahrgenommen und daher stärker nachgefragt wird. Denn mit einer solchen Berufsausbildung werden die jungen Leute viel leichter eine Arbeit finden. Umso verwunderlicher, dass mit dem neuen Berufsausbildungsgesetz die spanische Regierung aus Sozialisten und Ultralinken die staatlich anerkannte Ausbildung an privaten Ausbildungsstätten verdrängen will.
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