Der 200. Geburtstag zweier herausragender Forscher – Rudolf Virchow (1821–1902) und Herrmann von Helmholtz (1821–1894) – gibt der Stadt Berlin Anlass, ein größeres Projekt mit dem Titel „Wissensstadt Berlin 2021“ ins Leben zu rufen. Laut dem Regierenden Bürgermeister und Wirtschaftssenator von Berlin Michael Müller, auf dessen Initiative das Projekt zurückgeht, geht es dabei um eine „herzliche Einladung zum Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.“
Von Virchow und Helmholtz könne man lernen, so Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, „dass Wissenschaft eine soziale Verantwortung hat und dazu beitragen kann, dass Menschen in einer Stadt besser, gesünder und gerechter leben können.“
In der Eröffnungs-Pressekonferenz erläuterte dies Christoph Markschies an zwei Beispielen: „Virchow sorgte dafür, dass Berlin eine Kanalisation und eine zentrale Trinkwasserversorgung erhielt. Dadurch bekamen die Armen einen Zugang zur Gesundheit.“ Helmholtz habe in einer „flammenden Rede als Rektor der Universität (1877/1878)“ für Wissenschaftsfreiheit Partei ergriffen. Und das, „als im Schloss ein Kaiser lebte.“
Das Leben verbessern
Zum Einfluss von Wissenschaft und Forschung auf das Leben nannte Michael Müller zwei Beispiele: „Wie antworten wir auf Migrationsbewegungen? Welche Mobilitätsangebote brauchen wir in der Zukunft?“ Im Projekt „Wissensstadt Berlin 2021“ kämen Bereiche zum Tragen, in denen Berlin als traditioneller Forschungs- und Wissenschaftsstandort einen Beitrag leiste. Dazu gehörten Klima und Umwelt, Medizin und Gesundheit, aber auch das Zusammenleben in der Stadt, womit sich insbesondere die Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen.
Das Projekt wird als Gemeinschaftsvorhaben von mehr als 50 Institutionen aus dem Bereich von Wissenschaft und Forschung getragen – von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über die Humboldt- und weiteren Universitäten sowie die Charité bis hin zur Helmholtz-Gemeinschaft und den Max-Delbrück- und Max-Planck-Instituten sowie Privatfirmen.
Dementsprechend breitgefächert stellt sich denn auch das Programm heraus mit dem saloppen, wohl an die bekannte Kindersendung „Willi wills wissen“ angelehnten Motto „Berlin will?s wissen“.
Sonderausstellung im Rathaus
Eine Sonderausstellung im Roten Rathaus anlässlich der 200. Geburtstage von Hermann von Helmholtz und Rudolf Virchow beleuchtet das Wirken der „beiden Gründungsväter der Wissensstadt Berlin“, ohne eine umfassende Lebens- und Werkschau zu sein. Sie will laut dem Veranstalter vielmehr ihre Aktualität insofern aufzeigen, als Hermann von Helmholtz und Rudolf Virchow die ersten Gelehrten in Berlin waren, „die Forschung und Praxis verknüpften, indem sie auch gesellschaftspolitisch aktiv wurden.“ Deshalb konzentriert sich die Ausstellung auf Wege, „wie gesamtgesellschaftliche Probleme in Berlin zu nachhaltigen Lösungen geführt haben.“ Sie „nimmt Themen in den Blick, an denen sich die Vernetzung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft deutlich zeigen lässt“, denn eine solche Vernetzung sei für die beiden Wissenschaftler grundlegend gewesen.
Aktives Labor
„Wissensstadt Berlin 2021“ wird von der landeseigenen Gesellschaft „Kulturprojekte Berlin GmbH“ durchgeführt, die laut ihrer Homepage „gemeinnützig und inhaltlich unabhängig mit dem Ziel (arbeitet), die Berliner Kultur zu stärken und zu vernetzen“. In der Pressekonferenz erklärte Simone Leimbach, Leiterin der Abteilung Ausstellungen und Veranstaltungen, das Herzstück des Projekts sei die Open-Air-Ausstellung gegenüber dem Roten Rathaus.
Darin „geben ausgewählte Berliner Forschungsprojekte Einblicke in ihre Arbeit und weisen Wege zu Antworten“. Damit zeige sich die Wissensstadt als „aktives Labor der Bearbeitung aktueller und zukunftsweisender Fragen.“ Zur Open-Air-Ausstellung, die zwischen dem Roten Rathaus und dem Neptunbrunnen Platz nimmt, erklärte Simone Leimbach, sie sei durch thematisch voneinander abgegrenzte Stadtviertel gegliedert. In drei Stadtvierteln würden aktuelle Forschungen präsentiert, „wie sie unseren Alltag prägen“: Von Künstlicher Intelligenz und Klimaschutz über „smartes oder stressiges Leben“ in den Städten von morgen, Corona und die Genschere bis zu Kriterien, wie sich Fakten von Fake News unterscheiden lassen.
Nicht alle drängenden Fragen
Dabei, so betonte die Abteilungsleiterin bei „Kulturprojekte Berlin“, sei sie als offene Ausstellung konzipiert: Durch Fenster und Türen könnten die Besucher von einem „Stadtviertel“ zum nächsten gelangen. Im Stadtviertel „Zusammenleben“ wird auf die Stadt in ihrer baulichen, gesellschaftlichen und digitalen Entwicklung“ hingewiesen. Dabei werde die Präsentation „durch die Linse der Wissenschaften“ gesehen: „Unter welchen Bedingungen leben wir hier zusammen? Wie erfahren verschiedene Menschen die Stadt? Wie entstehen Ideen für die Stadt von morgen?“ Wichtiger Gesichtspunkt dabei sei aufzuzeigen, wie Wissenschaft in den „Auseinandersetzungen unserer Zeit“ sei.
Zu „Wissensstadt Berlin 2021“ gehört auch ein Vortragsprogramm (im Juli und August), etwa mit Buchvorstellungen und Podiumsgesprächen über Virchow und Helmholtz. Auf dem Programm stehen jedoch insbesondere Vorträge über den Klimawandel beispielsweise mit der inzwischen von etlichen Seiten hofierten Aktivistin Luisa Neubauer („Noch haben wir die Wahl – über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen“). Die Wasserversorgung spielt ebenfalls eine herausragende Rolle, etwa in drei Kurzvorträgen unter dem Gesamttitel „Dürre-Hauptstadt Berlin: Können wir uns mit dem Klima wandeln?“
Das Podiumsgespräch „Stress in the city – Gesunde Städte, gesunder Planet“ beschäftigt sich auch mit der Frage, ob das Stadtleben krank, das Landleben aber glücklich macht, sowie damit, inwieweit die Hitze am Tag und die Helligkeit in der Nacht dem Körper zu schaffen macht.
Programm mit Kunst und Kultur
Kunst und Kultur kommen auch nicht zu kurz. Unter dem Titel „Critters“ findet beispielsweise eine „Performance mit Musik, Tanz, Schauspiel & Wissenschaft“ des „Theater des Anthropozän“ statt, das 2019 von der Präsidentin der Humboldt-Universität Sabine Kunst, der Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Antje Boetius und dem Publizisten, Dramaturgen und Theatertheoretiker Frank M. Raddatz mit dem Ziel gegründet wurde, sich „Mensch und Natur im Anthropozän“ zu widmen.
Ein Filmprogramm als „Open-Air-Sommerkino“ mit sechs Science-Fiction- Spielfilmen, darunter „Frankenstein“ (1931), „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (1956), „Contagion“ (2011) und „Hell“ (2016) rundet das Gesamtangebot ab.
In dem Programm werden zwar nicht alle drängenden Fragen der Zukunft angesprochen, etwa der den Generationenvertrag gefährdende Geburtenrückgang oder die Schlüsselfrage des künftigen Zusammenlebens – wie wird sich das Verhältnis zwischen Staat und Privatinitiative entwickeln? Dennoch: „Wissensstadt Berlin 2021“ bietet eine Reihe Anregungen für die Entwicklung an der Schnittstelle zwischen Forschung und Lebenswirklichkeit.
Das Gesamtprogramm unter „kulturprojekte.berlin“
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