In der Kirche wird es jetzt abenteuerlich: Aus der römischen Bischofssynode, die im Oktober 2022 stattfinden sollte, hat Papst Franziskus einen synodalen Prozess gemacht, der die gesamte Weltkirche erfassen und nun erst im Oktober 2023 in Rom zum Abschluss kommen soll. Das Wort "abenteuerlich" ist keine journalistische Interpretation, sondern steht in dem Brief, den der Generalsekretär der römischen Bischofssynode, der maltesische Kardinal Mario Grech, vergangene Woche allen Bischöfen der katholischen Kirche zukommen ließ: Er möchte den Hirten zu "Beginn dieses kirchlichen Abenteuers" nahe sein, um sie auf diesem Weg", Grech meint den synodalen Prozess, "den Sie gemeinsam mit dem Ihnen anvertrauten Gottesvolk gehen, zu ermutigen und zu unterstützen. Wir sind alle ,vernetzt - und daher ist der Beitrag aller wertvoll in diesem Prozess des aufeinander Hörens im Heiligen Geist".
Das Mantra des Papstes klingt durch
Nicht weniger schillernd ist auch das Thema, unter dem das zweieinhalbjährige Prozessgeschehen stehen soll: "Auf dem Weg zu einer synodalen Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission". Das kann viel bedeuten. Aber immerhin klingt das Mantra des Papstes durch: Die Kirche soll herausgehen, räumlich gesehen an die Ränder der menschlichen Existenz, mental gesehen aus den Strukturen der Selbstbezogenheit. Und das alles mit dem Ziel, den Missionsauftrag Jesu tatkräftig zu erfüllen.
Weniger noch als auf dem Zweiten Vatikanum soll es also um die Kirchenlehre gehen. Franziskus will Prozesse anstoßen, Bewegung stiften, genuin christliche Erfahrungen freisetzen. Der Heilige Geist soll wirken. Doch auch luftige Prozesse müssen geerdet werden. Und das ist der von Kardinal Grech verkündete Fahrplan des synodalen Weltprozesses, der den Bischöfen vor allem in den Regionen, in denen Unruhen, Bürgerkriege und die Pandemie und ihre Folgen auf dem kirchlichen Alltag lasten, eine gehörige Nuss zu knacken gibt: Schon am 9. und 10. Oktober will der Papst den Prozess in Rom eröffnen. In den Teilkirchen soll er dann am Sonntag, den 17. Oktober, starten. Das Programm der Ouvertüre in Rom wie in den Bistümern: Begegnung, Reflexion, Gebet und Feier der Eucharistie. Bis dahin werden die Bischöfe einen diözesanen Verantwortlichen ernannt haben müssen, der auch aus einem Team bestehen kann.
Dann beginnt die Phase der Konsultationen in den Teilkirchen und in kirchlichen Realitäten wie Ordensfamilien und Bewegungen. Zu diesem Zweck wird das römische Synodensekretariat einen Fragebogen und ein Vademecum erstellen. Jeder kann mitmachen, alle Getauften sollen bei der Konsultation gehört werden. Am Ende der diözesanen Phase werden die Bischofskonferenzen zusammenfassen, "was der Heilige Geist in den ihnen anvertrauten Ortskirchen erweckt hat". Mit Hilfe dieser Beiträge der Teilkirchen, aber auch von Theologischen Fakultäten, Orden und Bewegungen, stellt dann das römische Synodensekretariat ab April 2022 ein erstes "Instrumentum laboris" (Arbeitspapier) zusammen, worauf im September 2022 eine kontinentale Phase des synodalen Prozesses beginnt.
Ordentliche Bischofssynode im Oktober 2023
Jetzt kommen die kontinentalen Zusammenschlüsse der Bischofskonferenzen ins Spiel. Sie ernennen Verantwortliche, die als Bindeglied zwischen den nationalen Bischofskonferenzen und dem Synodensekretariat in Rom fungieren sollen. Nun starten "vorsynodale Unterscheidungen in den Kontinentalversammlungen", die im März 2023 ein Schlussdokument nach Rom senden sollen, woraus das Sekretariat bis Juni 2023 ein zweites "Instrumentum laboris" entwickelt. Darüber beraten wird dann in Rom auf der Ordentlichen Bischofssynode im Oktober 2023. So weit der Plan.
Damit aber die Bischöfe bis hin zu den kirchlichen Gemeinschaften und alle Laien wissen, was Franziskus mit Synodalität meint, wenn er jetzt den "katholischen Erdkreis" auf den Weg "zu einer synodalen Kirche" schickt, hat Kardinal Grech allen Empfängern seines Briefs auch die Ansprache mitgeschickt, die der Papst am 17. Oktober in der Audienzhalle des Vatikans während der zweiten Familiensynode aus Anlass der Fünfzig-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode durch Papsts Paul VI. gehalten hat. Eine doppelte Dialektik ist in diesem Schlüsseltext von Franziskus enthalten. Auf der einen Seite ist jeder Einzelne im gläubigen Kirchenvolk aktiver Träger der Evangelisierung und insgesamt besitzt die "Herde", wie der Papst sie nennt, einen eigenen "Spürsinn", "um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt". Man könne also nicht zwischen einer "Ecclesia docens", einer "lehrenden", und einer "Ecclesia discens", einer "lernenden Kirche", unterscheiden. Eine synodale Kirche sei deshalb "eine Kirche des Zuhörens, in dem Bewusstsein, dass "das Zuhören mehr ist als Hören". Und eine Bischofssynode sei dann der Sammelpunkt dieser Dynamik des Zuhörens.
Andererseits müsse man dann aber auf die Hirten hören: "Durch die Synodenväter handeln die Bischöfe als authentische Hüter, Ausleger und Zeugen des Glaubens der ganzen Kirche, wobei sie verstehen müssen, diesen von den oft wechselhaften Strömungen der öffentlichen Meinung zu unterscheiden." Das ist für Franziskus der Prozess der "Unterscheidung", der den berufenen Hirten der Kirche, in der Regel also den Bischöfen, anvertraut ist. Die Kirche ist für Franziskus keine Demokratie, wo die Basis abstimmt, und eine Bischofsversammlung ist kein Kirchenparlament, in dem sich Lager bilden.
Wo die zweite Dialektik ins Spiel kommt
Hier kommt dann die zweite Dialektik ins Spiel: die Spannung zwischen Papst und Bischöfen. "Die Tatsache", erklärte Franziskus 2015, "dass die Synode immer ,cum Petro et sub Petro handelt - also nicht nur ,cum Petro , sondern auch ,sub Petro - ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Garantie für die Einheit." Der Papst sei das sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und Gläubigen. "Damit verbindet sich das Konzept der ,hierarchischen Gemeinschaft , das vom Zweiten Vatikanischen Konzil angewandt wurde", so der Papst damals.
Aber selbst diese Hierarchie, wie sie eine synodale Kirche lebt, ist für Franziskus wiederum etwas Einzigartiges. Man müsse begreifen, sagte der Papst 2015, dass "Kirche und Synode Synonyme sind", wie es der heilige Johannes Chrysostomos formuliere. Denn die Kirche sei nichts anderes als das "gemeinsame Vorangehen der Herde Gottes auf den Pfaden der Geschichte zur Begegnung mit Christus, dem Herrn", weshalb in ihrem Innern niemand uber die anderen "erhoht" werden könne. Jesus habe die Kirche gegrundet und an ihre Spitze das Apostelkollegium gestellt, in dem der Apostel Petrus der "Fels" ist, derjenige, der die Bruder und Schwestern im Glauben "starken" solle. "Doch in dieser Kirche", so Franziskus weiter, "befindet sich der Gipfel wie bei einer auf den Kopf gestellten Pyramide unterhalb der Basis. Darum werden diejenigen, welche die Autoritat ausuben, ,ministri Diener genannt, denn im ursprunglichen Sinn des Wortes ,minister sind sie die Kleinsten von allen. Im Dienst am Volk Gottes wird jeder Bischof fur den ihm anvertrauten Teil der Herde zum ,vicarius Christi , zum Stellvertreter jenes Jesus, der sich beim Letzten Abendmahl niedergekniet hat, um den Aposteln die Fuße zu waschen. Und in gleicher Sichtweise ist der Nachfolger Petri nichts anderes als der ,servus servorum Dei - der Diener der Diener Gottes."
Dass diese Vision genau das Gegenteil von einer Klerikerkirche ist, in der alle Impulse von oben nach unten gehen, liegt auf der Hand. Der synodale Prozess bis 2023 soll der Weltkirche helfen, diese Vision von Franziskus einzuüben.
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