Der Lockdown der Wirtschafts- und Arbeitswelt wirkt sich unmittelbar auf das Steueraufkommen des Staates aus. Weil die Kirchensteuer in Deutschland direkt an die Einkommenssteuer gekoppelt ist, wird die Krise direkt die Kirchenfinanzierung betreffen. Denn als Annex-Steuer zur Einkommensteuer, wie das in jüngster Zeit von zahlreichen Bistumssprechern genannt wird, steigt und sinkt sie parallel zur Einkommenssteuer. Damit ist ein wesentlicher Teil der Kirchenfinanzierung einerseits von politischen Entscheidungen und andererseits von der Konjunkturentwicklung abhängig. Beides verlief in der jüngeren Vergangenheit sehr günstig für die Bistümer.
In den vergangenen Jahren waren die deutschen Diözesen demzufolge mit Einnahmen von ca 6,5 Milliarden Euro aus der Kirchensteuer per Anno gut ausgestattet. Demographischer Wandel und zunehmender Kirchenaustritt zeigen allerdings schon seit Jahren eine entgegensetzte Tendenz auf. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr sagte eine Halbierung der Mitgliederzahlen und der Einnahmen bis zum Jahr 2060 voraus. Darum waren die Bistümer trotz des aktuellen Geldsegens schon in Habachtstellung. Zahlreiche Bistümer haben schon vorausschauend Sparmaßnahmen ergriffen. So ging das Bistum Münster schon vor der Coronakrise für das Jahr 2025 von einem Haushaltsdefizit von 32,7 Mio Euro aus. Sparpläne waren vielerorts schon in Planung oder wurden bereits umgesetzt. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Erzbistums Hamburg Sparmaßnahmen angekündigt, die gerade im Schulsektor zum Politikum avancierten.
Mit Ende des Lockdown werden Folgen sichtbar
Der Anfang vom Ende des Lockdown gab nun den Anlass, in den Bistümern nachzufragen, was zu diesem Zeitpunkt an Folgen der Krise schon absehbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die deutschen Bistümer in sehr unterschiedlichen Positionen sind, wie nicht nur der Blick auf die Kirchensteuereinnahmen zeigt. Vor allem die jüngeren Diözesen wie Berlin, Essen und Hamburg machten in der Vergangenheit darauf aufmerksam, dass der "Reichtum" der deutschen Bischöfe sehr unterschiedlich verteilt ist. Alte Bistümer wie Köln, Paderborn und München weisen in ihren Bilanzen Vermögenswerte zwischen vier und sechs Milliarden Euro aus. Diese Diözesen verkraften Einbrüche der laufenden Einnahmen deutlich leichter als andere Bistümer, die ohne solche Vermögen von der Kirchensteuerhand in den Pastoral- und Caritasmund leben müssen.
Es zeigt sich auch bei den Maßnahmen der Bistümer ein sehr unterschiedliches Bild.
Einnahmeausfälle entstehen den Bistümern auch durch die geschlossenen Bildungshäuser. Die Kosten der Häuser laufen beinahe ungebremst weiter, es werden jedoch keine Einnahmen erzielt. Das Bistum Essen teilt nun die Schließung der Bildungshäuser mit. Jeder weitere Tag des Lockdown bringt den Bistümern neben Einnahmeausfällen weiter laufende Kosten. Zu den Einnahmeausfällen kommen zusätzliche Kosten, wie ein Sprecher des Erzbistums Paderborn mitteilt. Es entstünden Mehrkosten für den bistumsweiten Aus- und Aufbau von notwendigen IT-Strukturen und für Maßnahmen zum gesundheitlichen Schutz der Mitarbeitern und ihres Umfelds.
Das Virus nagt an den Mitarbeiterstrukturen
Die Mitarbeiterzahlen in den Ordinariaten und beim pastoralen Personal legten angesichts der entspannten Einnahmesituation in den vergangenen Jahren stetig weiter zu. Das Ordinariat in Bamberg hat 1.320 Mitarbeiter. Speyer und Passau geben die Mitarbeiterzahl mit 1.000 an. Geradezu bescheiden sind Osnabrück mit 300 und Mainz mit 420 Stellen in den Ordinariaten. Ebenso wurden Investitionen in Immobilien mit Blick auf die tickende Kirchensteueruhr zügig vorangetrieben. Auch auf die Personalentwicklung schlägt die Krise durch. Zahlreiche Bistümer haben Einstellungsstopps verhängt. Zum Teil sollen freiwerdende Stellen nicht erneut besetzt werden. In Bamberg wird derzeit für die Bildungshäuser in diözesaner Trägerschaft Kurzarbeit eingeführt. Gleiches gilt auch für Passau.
Die bis dato zwar uneinheitliche, aber im Wesentlichen stabile Einnahmesituation der deutschen Diözesen kommt durch die Krise ins Wanken. Ein kleiner Virus hat die Pläne zu Makulatur werden lassen. In Freiburg fing es an. Schon zu Beginn der Krise teilte das Erzbistum mit, alle Investitionen auf den Prüfstand zu stellen. Das Bistum Mainz folgte wenige Wochen später. Am 20. April verkündete Generalvikar Weihbischof Udo Markus Bentz eine Haushaltssperre. Osnabrück stellt ähnlich wie Freiburg Investitionen auf den Prüfstand und verhängt einen Einstellungsstopp. Kirchengemeinden, Vereine und Verbände im Bistum Osnabrück werden ab dem kommenden Jahr weniger Zuweisungen bekommen. Das Bistum Eichstätt teilte in einer Pressemeldung mit, keine Haushaltssperre verhängt zu haben. Man prüfe den Haushalt auf Einsparmöglichkeiten. Etwas weniger radikal verfahren beispielsweise Rottenburg-Stuttgart und Paderborn. Hier setzt man einstweilen auf eine vorsichtige Haushaltsführung. Unterm Strich bedeutet auch dies, dass viele Maßnahmen unter Prüfvorbehalt stehen. Auch die entspannte Haushaltslage existiert noch in deutschen Diözesen. So hat Speyer bislang keine Maßnahmen zur Haushaltssicherung ergriffen. Einige Bistümer können oder wollen noch keine Angaben zu den Folgen der Coronakrise auf die Finanzen ihres Bistums machen. So erklärte ein Sprecher des Bistums Erfurt, man wolle sich an Spekulationen nicht beteiligen.
Mächtige Lobbys werden nötige Reformen verhindern
Angesichts der zu erwartenden Einschnitte ist zu erwarten, dass mächtige Lobbys ihre Pfründe verteidigen und nötige Reformen verhindern, so der Sozialethiker Elmar Nass gegenüber dieser Zeitung. Man müsse sich von verschiedenen Spielwiesen verabschieden, "die in den fetten Jahren ein Eigenleben entw ckelt haben. Zentralistische Pastoralorganisation gerät da in den kritischen Blick ebenso wie aufwendige Repräsentationsgebäude oder Kaderschmieden für oft linksideologisch-politische Meinungsbildung unter kirchlichem Dach." Nass, der in Fürth und Aachen Wirtschaftsethik lehrt, mahnt daher an, dass kirchliche Gelder nicht in teure Unternehmensberatungen oder Marketingstudien fließen sollten, die rein ökonomischer Logik folgten und für die Seelsorge wenig oder keinen sichtbaren Erfolg erbrächten. Es gelte somit, nicht als "Nachlassverwalter" aufzutreten, sondern "mit möglichst transparenten Kriterien Schwerpunkte (zu) definieren, in die weiterhin investiert wird". Es könne nicht einfach überall ein wenig gekürzt werden. Es brauche deshalb auch schmerzliche Verabschiedungsprozesse von Bereichen, die in Zukunft nicht mehr finanzierbar sind. Das nur ermögliche die Stärkung zentraler Bereiche.
In der Folge von Coronadefiziten in den Haushalten ist zu erwarten, dass nicht nur innerhalb der Bistümer Verteilungskämpfe geführt werden, sondern auch die Frage nach der Solidarität der Bistümer untereinander, also die Frage nach einer gerechteren Verteilung der Kirchensteuer- und Vermögenserträge aufkommen wird. In der Vergangenheit hatte es beispielsweise Solidaritätsaktionen für die Bistümer Aachen und Berlin gegeben. Ob so etwas nach der Coronakrise erneut notwendig werden wird, bleibt abzuwarten.
Krise betrifft auch Verbände und kirchliche Einrichtungen
Darüber hinaus betrifft die Krise auch die Verbände und kirchlichen Einrichtungen. Derzeit haben im Bereich der Caritas im Erzbistum Bamberg vier Verbände Kurzarbeit beantragt, andere prüfen diese Möglichkeit noch. Überwiegend handelt es sich nach Aussagen des Bistumssprechers dabei um ambulante Pflegedienste und Tagespflegen für Senioren sowie verschiedene weitere Dienste, bei denen die Klienten nicht mehr betreut werden können und damit auch keine Refinanzierung gegeben ist. Mit Blick auf die freien Musiker, meist Organisten oder Chorleiter, verwies der Sprecher des Erzbistums Paderborn darauf, dass Sondermittel für institutionalisierte Unterstützungsleistungen an freiberufliche Musiker vom Erzbistum Paderborn nicht zur Verfügung gestellt werden könnten. Freiberufliche Musiker könnten ebenso wie freischaffende Künstler staatliche Hilfen beantragen.
Auch wenn die Bistümer bislang im Wesentlichen auf Schätzungen angewiesen sind und manche sich noch gar nicht auf Spekulationen einlassen wollen, ist die Tendenz dennoch erkennbar. Es geht recht steil nach unten. Das Ende ist nicht absehbar. Wie das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen zeigt, steht ein Minus von 4,2 Prozent für das Bruttoinlandsprodukt zu erwarten. Das bedeutet, wir gehen in die größte Rezession seit der Bankenkrise 2008. Andere Stimmen reden gar von der größten Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums Mitte Mai 2020 wird für den Staat Planungsdaten bereitstellen. Aus diesen lassen sich dann auch Zahlen für das Gesamtaufkommen der Kirchensteuer zumindest grob ableiten. Spätestens dann wissen auch die Bistümer mehr. In Folge der Bankenkrise 2008 waren die Einnahmen der Bistümer von damals knapp über fünf Milliarden um bis zu 300 Millionen Euro in den Folgejahren zurückgegangen. Es waren also Einbußen von bis zu sechs Prozent zu verkraften. Es wird diesmal sicher nicht milder werden.
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