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Wenn der "Ungeist des Konzils" sich durch die Hintertür schleicht

Bei Papst Franziskus folgt man entweder dem Vatikanischem Konzil und ist katholisch oder man verwirft es und ist nicht katholisch. Nur, weil Franziskus die Einhaltung des Konzils fordert, ist sie damit aber noch lange nicht gesichert. Der Synodale Weg ist das beste Beispiel.
Zweites Vatikanisches Konzil von Oktober 1962 bis Dezember 1965.
Foto: Ernst Herb | Zweites Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965.

Der Unterschied könnte kaum größer sein: Während es zu Beginn des Pontifikats von Benedikt XVI. so aussah, als würde die abschließende Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einem Kernanliegen des deutschen Theologen-Papstes, der nicht nur an der Genese der Konzilstexte, sondern auch an dem Ringen um die Deutungshoheit über den Konzilsgeist beteiligt war, so ist bei Franziskus alles anders: Das Zweite Vatikanum ist eine klare Sache. Wer ihm folgt, folgt dem Lehramt der Kirche, wer es verwirft, ist nicht mehr katholisch. „Le concile – c'est moi“, heißt das für ihn in der Praxis: „Schaut auf mich, dann wisst ihr, was das Konzil wollte.“ So einfach ist das.

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Franziskus sieht sich als den Vollstrecker des Zweiten Vatikanischen Konzils

Benedikt hatte einen differenzierteren Blick auf die große Bischofsversammlung des letzten Jahrhunderts. In seiner ersten Weihnachtsansprache vor der Kurie warb er 2005 nicht einfach für die „Hermeneutik der Reform“ und stellte dieser die „Hermeneutik des Bruchs“ gegenüber, sondern legte Kritikern wie Anhängern des Konzils die Nuss zum Knacken vor, dass die Kirche trotz offensichtlicher „Diskontinuitäten“, die das Konzil zu einer wirklichen Wende machten (Religionsfreiheit, Ökumene, interreligiöser Dialog), trotzdem „ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft“ hat. Franziskus kennt solche Unterscheidungen nicht – beziehungsweise überlässt sie dem Streit der Theologen.

Hatte Benedikt noch den Mut, eine Spätfolge des Konzils, die er für über das Ziel hinausgeschossen hielt, wieder rückgängig zu machen – die Verbannung der „alten Messe“ aus dem Leben der Kirche –, so sieht sich sein Nachfolger nicht als jemand, der die Folgen des Konzils noch vorsichtig ausbalancieren muss, sondern schlicht und einfach als dessen Vollstrecker. Das kann gewaltig ins Auge gehen. Denn es ist einfach so, dass sich schon ein halbes Jahrhundert lang ganze Generationen von Theologen und Kirchenpersonal auf jene „Hermeneutik des Bruchs“ stützen, die laut Benedikt nur Verwirrung stiftet, sich aber „das Wohlwollen der Massenmedien“ zunutze machen konnte. Eberhard Schockenhoffs „neue Sexualethik“, der Ruf nach der Frauenweihe und dem Ende des Pflichtzölibats – alles das beruft sich auf den Geist dessen, was das Konzil eigentlich an Diskontinuitäten gewollt habe.

"Wenn sich die Anhänger Lefebvres nicht auf
diese Auseinandersetzung einlassen, werden sie
irgendwann endgültig vom römischen Felsen rutschen und versteinern."

Da mag Papst Franziskus vorne die Tür zu machen und statt jeglicher Debatte über das Konzil einfach dessen Einhaltung fordern. Dann kommt eben der „Ungeist des Konzils“ von hinten wieder rein, etwa in Form von Eingaben des deutschen Synodalen Wegs, in der ganzen Kirche dieses und jenes zu ändern und das erst einmal in den Gliederungen deutscher Zunge „ad experimentum“ zu erlauben. Genau wie Franziskus lassen sich auch die Piusbrüder nicht auf eine ehrliche Debatte über die Interpretation des Zweiten Vatikanums ein.

Die Kurienansprache von Benedikt zu Weihnachten 2005 mag wie ein unverdauter Wackerstein in ihrem Magen liegen. Päpste haben einen Nachfolger. Bruderschaften aber keine Nachfolgerin, die dann alles anders machen kann. Wenn sich die Anhänger Lefebvres nicht auf diese Auseinandersetzung einlassen, werden sie irgendwann endgültig vom römischen Felsen rutschen und versteinern. Die Karawane Kirche zieht indes weiter.

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Guido Horst Benedikt XVI. Papst Franziskus Päpste Synodaler Weg Weihnachtsansprachen Zweites Vatikanisches Konzil

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