Sogar der Bundespräsident kam zur Eröffnung nach Karlsruhe, und was er den über 4.000 Teilnehmern der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) auf deutschem Boden zu sagen hatte, war für das sonst stets um Konsens und Ausgleich bemühte Staatsoberhaupt durchaus eine klare Ansage: Einen „glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg“ warf er den anwesenden Delegierten der Russisch-Orthodoxen Kirche vor, die sich mit ihrer Unterstützung des Angriffskriegs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der weltweiten Gemeinschaft der Orthodoxie, aber auch der gesamten Christenheit immer mehr isolieren. Das sorgte für Debatten und Irritationen – vor allem auf russischer Seite. Auch gegenüber der „Tagespost“ wollte der stellvertretende Pressesprecher der Moskauer Synode nur von einem „militärischen Konflikt“ sprechen, so als ob beide Seiten, Russland und die Ukraine, einen Anteil an der militärischen Eskalation hätten.
Schwieriger Formelkompromiss zum Nahostkonflikt
Und auch ein weiterer Krisenherd, der momentan in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund gerückt ist, sorgte für mediales Interesse: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern stellte die Delegierten vor große Herausforderungen. Lange wurde um eine Erklärung zum Heiligen Land gerungen, am Ende wurde es – wie so oft auf dieser Versammlung – ein schwieriger Formelkompromiss.
Das mag wohl der Grund sein, warum die 11. Vollversammlung des ÖRK, der immerhin über 350 Mitgliedskirchen weltweit zählt (die römisch-katholische Kirche gehört nicht dazu) und rund 580 Millionen Christen repräsentiert, in den Medien trotz dieser imposanten Zahlen kaum präsent war. Endlos lange Debatten im riesigen Plenum über ebenso endlos lange Texte, deren Verlesen allein gut eine halbe Stunde dauern konnte, dazu ein durchaus ausgeklügeltes, aber für Außenstehende kaum nachvollziehbares System der Kompromissfindung: All das sorgte zwar am Ende für große Mehrheiten im Plenum, ist kaum geeignet, mediale Aufmerksamkeit zu produzieren. Der Ehrenprimas der Anglikaner und Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, kommentierte die schwache mediale Präsenz daher auf einer der schwach besuchten Pressekonferenzen entsprechend süffisant: „Vielleicht sollten wir mehr über Sex reden“.
Doch das Plenum sprach nicht über Sexualität, sondern vor allem über den Klimawandel. Der sei unter den Delegierten geradezu mit den Händen zu greifen gewesen, so die Beobachtung des evangelischen Landesbischofs und Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. In weiteren Papieren nahmen die Delegierten Stellung gegen Aufrüstung und Proliferation, gegen Rassismus und politische Desinformation vor allem durch soziale Medien.
Keine Verständigung zwischen russischer und ukrainischer Orthodoxie
Kontrovers wurde es dann vor allem am vorletzten Tag der Versammlung: Bereits im Juni hatte der ÖRK-Zentralausschuss, das höchste Leitungsgremium zwischen den Vollversammlungen, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt. Nun sollte sich auch die Vollversammlung in dieser Weise äußern – doch sie tat sich schwer damit.
Während der Debatte distanzierten sich zunächst beide orthodoxen Kirchen in der Ukraine von dem Entwurfspapier und verlangten eine Überarbeitung: Sowohl die „autokephale“, also selbstständige Orthodoxe Kirche der Ukraine mit einem eigenen Kiewer Patriarchat, wie auch die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die bis Mai dieses Jahres zum Moskauer Patriarchat gehört hatte, sich dann aber vom russischen Einfluss losgesagt hat, forderten die Delegierten auf, den Urheber des Krieges klar und eindeutig zu benennen.
Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche lobten hingegen, dass die Erklärung weniger politisch und weniger scharf zu Lasten Russlands ausfiel als ursprünglich befürchtet. Dennoch stimmte die russisch-orthodoxe Delegation am Ende der Erklärung nicht zu, ein Dialog mit den ukrainischen Vertretern fand nach Beobachtung vieler Delegierter kaum statt.
Erfolgreiches Heimspiel für die Evangelische Kirche in Deutschland
Auch die Erklärung zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sorgte vor allem in der deutschen Delegation für Debatten und Distanzierungen. Grund war das „böse A-Wort“, das in dem am Dienstag vorgestellten Entwurf noch etwas verklausuliert, aber doch klar erkennbar enthalten war: Besonders Vertreter aus Südafrika und – ausgerechnet – den sonst Israel-freundlichen USA wollten Israels Umgang mit den Palästinensern als „Apartheid-Politik“ verurteilen. Insbesondere die EKD-Delegation verwahrte sich dagegen – offensichtlich mit Erfolg: Zwar weist der Abschlusstext darauf hin, dass manche Organisationen Israel eine Apartheid-Politik unterstellen, die Erklärung verurteilt den jüdischen Staat aber nicht in dieser Weise.
Erfolgreich war die EKD auch bei der Wahl des neuen ÖRK-Zentralausschusses: Gleich fünf Vertreterinnen und Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland wurden in das Gremium gewählt, darunter der bayerische Landesbischof und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Am Donnerstag wurde er sogar als Nachfolger der Nigerianerin Agnes Aboum zum Moderator (Vorsitzenden) des Gremiums gewählt. Die deutsche Delegation konnte also durchaus ein erfolgreiches „Heimspiel“ bestreiten. Dass es gelungen ist, das Weltökumenetreffen erstmals in Deutschland zu veranstalten, zeigt nicht zuletzt das hohe Gewicht der EKD in dem weltumspannenden Gremium.
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