Die Häupter der traditionsreichen christlichen Kirchen in Istanbul besuchte eine Delegation der ökumenischen Stiftung Pro Oriente, begleitet vom Salzburger Erzbischof Franz Lacknerund seinem Vorgänger Alois Kothgasser, Anfang Oktober. „Im Phanar, im historischen Zentrum der Weltorthodoxie“ empfing am Sonntag der Ökumenische Patriarch, Bartholomaios, die Delegation aus Österreich. Nicht, ohne ihr Komplimente zu machen: Pro Oriente habe „das richtige Gespür für die Zeichen der Zeit“ gehabt und gewusst, „dass unsere großen Probleme nicht ohne den Beitrag des Christentums gelöst werden können“.
Das Ökumenische Patriarchat habe nie eine „geschlossene Orthodoxie vertreten“, sondern sei „eine Kirche des Dialogs und der Offenheit“, so Bartholomaios, der sich gegen „jeden theologischen Minimalismus“ und, Kardinal Walter Kasper zitierend, gegen eine „Kuschel-Ökumene“ wandte. Es brauche den „echten und aufrichtigen theologischen Dialog, der das gegenseitige Vertrauen nährt“. Dieser Dialog sei „ein Zeichen der transformativen Kraft der Kirche in der Welt“, so der Primas der weltweiten Orthodoxie. Erzbischof Lackner betonte in seiner Ansprache, dass die Kirchen „eine gemeinsame Stimme für den Frieden“ sein müssten. Dafür erbat und erhielt er, gemeinsam mit dem orthodoxen Metropoliten Arsenios, den Segen des Patriarchen.
Ein unheiliger und diabolischer Krieg
Er verurteile den Krieg Russlands gegen die Ukraine und sei „traurig über die Position von Patriarch Kyrill“, sagte Bartholomaios am Sonntag im Gespräch mit der „Tagespost“ und der katholischen Nachrichtenagentur „Kathpress“ in Istanbul. Besonders schockiert zeigte sich der Patriarch von einer Predigt, die Kyrill vor zehn Tagen in Moskau hielt. Darin zog dieser eine Parallele zwischen den gefallenen russischen Soldaten und dem Opfertod Christi am Kreuz, und erklärte, durch das Lebensopfer dieser Soldaten seien alle ihre Sünden vergeben. Bartholomaios meinte dazu wörtlich: „Was er zuletzt gesagt hat, nämlich dass all jene, die in diesem Krieg sterben, unmittelbar als Märtyrer in das Reich Gottes kommen, das ist etwas, was nicht der orthodoxen Lehre entspricht.“
Er sei traurig darüber, dass der Patriarch von Moskau ganz einig geworden sei mit Präsident Putin. Patriarch Kyrill spreche vom „heiligen Krieg“, so Bartholomaios. „Ich aber nenne ihn einen unheiligen Krieg und diabolisch.“ Millionen Ukrainer seien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. „Das ist ein unbegründeter Krieg.“
Persönlich sei er auch traurig über den aktuellen Zustand der Beziehungen zwischen den Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau, die von russischer Seite einseitig abgebrochen wurden. In der Liturgie des Ökumenischen Patriarchats werde Kyrill weiterhin ins Gebet eingeschlossen, „obwohl der Metropolit der Ukraine, Epifanij, uns gebeten hat, dass wir ein Panorthodoxes Konzil einberufen, damit wir den Patriarchen Kyrill verurteilen“.
Die Delegation aus Österreich besuchte nicht nur die vor gut zwei Jahren zur Moschee erklärte einstige Patriarchalbasilika Hagia Sophia, sondern auch die 1971 behördlich stillgelegte Hochschule des Ökumenischen Patriarchats auf der Insel Chalki (Heybeliada). Ohne jeden Grund werde die Hochschule seit einem halben Jahrhundert ihrer Funktion beraubt, klagte der Abt von Chalki, Kassian. „Wir hoffen und beten, dass diese ungerechte Situation bald endet.“
Ein historischer Tag für die Kirche
Erfolgreicher als die Bemühungen des Ökumenischen Patriarchats um die Wiedereröffnung von Chalki waren jene der syrisch-orthodoxen Kirche um einen angemessenen Kirchenbau in Istanbul. Metropolit Filüksinos Yusuf Çetin schilderte den Spitzen von Pro Oriente, wie seine Kirche in Istanbul durch die Abwanderung syrisch-orthodoxer Christen aus dem Südosten der Türkei und später aus Syrien wuchs – und damit auch ihre Probleme. Selbst ohne ausreichende Kirchen, habe man in den Gotteshäusern anderer Konfessionen Liturgie gefeiert. Schließlich genehmigte Präsident Erdoğan selbst den ersten Kirchen-Neubau seit Beginn der Türkischen Republik. Erdoğan sei, neben zwei Patriarchen und dem päpstlichen Nuntius, selbst zur Grundsteinlegung gekommen. „Es war ein historischer Tag, für unsere Kirche und unser Land“, so Çetin im Schatten der nunmehr fast fertigen Kirche St. Efrem, die im Dezember eingeweiht werden soll. „Aber das ist nicht bloß eine syrisch-orthodoxe Kirche, sondern eine Kirche für alle Christen“, betonte der Metropolit, der sich klar zum Erhalt des katholischen Friedhofs bekennt, auf dessen Grund seine neue Kirche steht.
Die größte christliche Denomination in der Türkei leitet der armenisch-apostolische Patriarch von Istanbul, Sahag II. Mashalian. Die Christen aller Konfessionen würden in der Türkei mit rund 85 000 Gläubigen gerade ein Promill der Bevölkerung stellen. Für wechselseitige Animositäten seien die Konfessionen viel zu klein.
Während in Istanbul heute weniger als 2 000 orthodoxe Griechen leben, sorgt der armenische Patriarch für knapp 60 000 Gläubige, schwankend zwischen Assimilation und Distanz zur muslimischen Gesellschaft. „Wir versuchen, zu überleben“, sagt er zur Delegation von Pro Oriente. Von den 52 armenisch-apostolischen Diözesen vor dem Jahr 1915 ist gerade eine geblieben. „Heute sind wir kleiner und haben kleinere Probleme.“ So gebe es kein eigenes Priesterseminar. Die Kandidaten würden zur Ausbildung nach Armenien, Beirut, Jerusalem oder in den Westen geschickt.
Im Gespräch mit der „Tagespost“ bilanzierte Erzbischof Lackner am Montag in Istanbul: „Wir haben hier Kirchen erlebt, die tief verankert sind im Ursprung des Christentums. Stark eingeengt in diesem Land, halten sie doch den Glauben wach. Das ist auch ein Korrektiv für uns in Deutschland und Österreich. Sie stehen für eine Treue, die auch wir zu leisten haben.“
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