Sehnsucht nach Einheit

Warum sich Bruder Pirminius Seber SJB in turbulenten Zeiten für den Eintritt in die katholische Kirche entschieden hat.
Bruder Pirmin
Foto: Archiv | Das Wort Gottes als Leitstern auf einer ungewöhnlichen Lebensreise: Bruder Pirmin gehört inzwischen der katholischen Kirche an.

Wenn sich Ökumene im gemeinschaftlichen Kreuzablegen ausgerechnet in Jerusalem erschöpft, dann ist es kein Wunder, wenn die meisten gläubigen Katholiken und auch Protestanten nichts mehr davon wissen wollen. Dabei gibt es – jenseits des Mainstreams – wundervolle Beispiele – wie etwa der besondere geistliche Weg von Bruder Pirminius Seber SJB. Im Juni trat er im pfälzischen Wallfahrtsort Maria Rosenberg in die römisch-katholische Kirche ein. Dabei deutete zunächst nichts darauf hin, dass er diesen Weg einschlagen würde: In der Evangelischen Landeskirche der Pfalz getauft, studierte er zunächst evangelische Theologie und Religionspädagogik. Zentral war für ihn immer die Frage: Was ist Gottes Wille für mein Leben? An welcher Stelle will er mich haben? Daraus sei ein inniges Gebet geworden. Dass die Erhörung dieses Gebets „mit einer solchen Vehemenz und Eindeutigkeit kommen würde, wie ich es erfahren habe, konnte ich nicht ahnen“, stellt er rückblickend fest.

Zeit seines Lebens zutiefst christgläubig, trat er 2008 in das Noviziat der Hochkirchlichen St.-Johannes-Bruderschaft ein, einem ökumenischen Orden. Dort legte er 2010 die Versprechen ab. Diese Ordensgemeinschaft ist wenig bekannt. Gut achtzig Mitglieder verschiedener Konfessionen wollen in vier Ländern miteinander die Vision der Una Sancta leben und verwirklichen. Dabei ist die Formel von der „evangelischen Katholizität“ ein wichtiges Stichwort. Inwieweit könnte ein Protestant noch katholisch sein? Nun, Luther war katholisch, ein Umstand, der auch in protestantischen Kreisen viel zu selten wahrgenommen wird.

Was nun die St.-Johannes-Bruderschaft betrifft, so ging sie 1929 unter Berufung auf das Augsburgische Bekenntnis hervor und konnte sich selbst in den dunklen Jahren Deutschlands trotz Widerstands gegen den sogenannten „Arierparagraphen“ der Nationalsozialisten halten. Bemerkenswert dabei sind neben der Wiedererlangung der Apostolischen Sukzession in syrisch-orthodoxer Linie ihr Festhalten an der eucharistischen Frömmigkeit, der Beichte – wie an allen sieben Sakramenten – und den evangelischen Räten, also einem geistlichen Leben in Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Salopp und verkürzt gesagt, wäre das katholische Orthodoxie ohne Papsttum. Wichtigstes Leitbild aber vor allem bleibt die aktive Arbeit für die Einheit der Christenheit. Diese wird nicht – obwohl es ein Leichtes wäre – mit billigen Zugeständnissen eingefordert, sondern in der ganzen katholischen, sakramentalen und liturgischen Fülle der Ost- und Westkirche.

Für eine gläubige protestantische Seele wie die von Bruder Pirminius,, die nach Verbindlichkeit sucht, ging die Reise weiter. Im Jahre 2016 konvertierte er zur Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche (SELK), der er zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren in Landau/Pfalz und Berlin als Organist und Kirchenmusiker gedient hatte. Geprägt hat ihn in diesen Jahren insbesondere die Arbeit mit Flüchtlingen aus dem Iran und Afghanistan, die nicht selten zum Christentum konvertierten. In dieser besonderen Seelsorge hat sich vor allem Pfarrer Gottfried Martens, Dreieinigkeitskirche Berlin-Steglitz, verdient gemacht.

Doch in welchen theologischen Fragen genau unterscheiden sich jetzt die lutherischen Geschwister von den landläufig so genannten „Protestanten“? Eine wesentliche Rolle spielt das unterschiedliche Verständnis in der Lehre über das heilige Abendmahl: „Hier schenkt der Herr seinen Leib und sein Blut den Seinen, um sie aufs Engste mit sich zu verbinden. Wenn Brot und Wein mit den Einsetzungsworten Christi gesegnet sind, sind sie Träger seines Leibes und Blutes.“ Dieses Verständnis unterscheidet sich von der römisch-katholischen Lehre darin, dass die Evangelisch-Lutherischen die Sakramentsfrömmigkeit ausschließlich auf die Messfeier beschränken. Eine Abendmahlsgemeinschaft mit anderen Protestanten ist aus Sicht der SELK nicht möglich, genauso wenig wie mit Orthodoxen oder Katholiken.

Historisch gesehen beruft man sich auf das Augsburger Bekenntnis, das, von Philipp Melanchthon abgefasst, im Juni 1530 auf dem Reichstag zu Speyer Kaiser Karl V. vorgelegt wurde. Der erste Teil der „Confessio Augustana“ enthält zentrale Aussagen zur Glaubenslehre, der zweite Teil setzt sich kritisch mit bestimmten kirchlichen Gebräuchen auseinander. Im Grunde wollte man mit diesem Dokument der kirchlichen Einheit wieder näher kommen, sie möglicherweise wieder herstellen, doch dies gelang bekanntlich nicht, sondern die Spaltung wurde verfestigt. Dies ändert jedoch nichts am ökumenischen Wesen des Augsburger Bekenntnisses, das im weiteren Verlauf der Geschichte zum zentralen Bekenntnis der evangelischen Kirchen lutherischer Konfession wurde.

Bruder Pirminius bezeichnete sich als „überzeugten Katholik Augsburgischen Bekenntnisses“, eine Haltung, die Anlass zu seiner ersten Konversion in die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche gab. Den Schritt hinein in die römisch-katholische Kirche betrachtet er vor allem als eine Frucht des Gebetes – und schließlich konnte er in seiner Eigenschaft als vormaliger Lutheraner auch ganz unbeschwert postulieren, dass „der römische Papst als Patriarch des Westens, der den Vorsitz in der Liebe innehat, (...) schon als Lutheraner meine Sichtweise (war), aber ich bin jetzt nicht zum ,Papsttum‘ übergetreten, sondern zur katholischen Kirche.“

Welche Reaktionen hat er erhalten? Aus den Reihen der Mitbrüder und Freunde trug ihm der Übertritt in die katholische Kirche vor allem erfreute Reaktionen ein – und die Bemerkung, wie tollkühn diese Entscheidung sei angesichts der Skandale, die bis in die höchste kirchliche Hierarchie hineinragen. Gelassen stellt der frisch Konvertierte fest: „Unsere katholische Kirche ist in ihrer irdischen Gestalt mitnichten in einem perfekten Zustand. Wir erleben gerade in unserem Land vielleicht die größte Krise seit der Reformation voller zumeist hausgemachter Probleme, wo eine mangelnde Katechese und Verkündigung der vergangenen Jahrzehnte die Glaubenswahrheiten an vielen Orten sehr verkürzt dargestellt hat und die Objektivität der Liturgie und Feier der Sakramente dem Subjektivismus unterworfen wurde. Das hat zu einem schmerzhaften Gläubigenmangel geführt, wie auch Papst Franziskus kürzlich konstatierte. Jeder kann hier sicher Beispiele aus eigener Erfahrung anfügen, aber eines ist ganz entscheidend: Wir sollen nicht eine perfekte Kirche suchen, sondern die Kirche: Christus hat ihr als das sichtbare Zeichen Seiner Gegenwart die Mittel des Heils anvertraut, in menschliche Hände gelegt, wie auch Er ganz Mensch geworden ist, was selbst dann wahr bleibt, wenn die Gestalt der Kirche doch mitunter sehr irdisch und so gar nicht himmlisch daherkommt. Dazu stehen zu können, ja, dazu gehört wohl eine gewisse Tollkühnheit.“

Ein Leitmotiv auf seinem Weg in die katholische Kirche: „diese brennende Sehnsucht nach der sichtbaren Einheit aller Christen in der Una Sancta“. Diese Sehnsucht treibe ihn auf seinem Weg auch weiterhin an. Mit Nachdruck stellt er fest: „Als Getaufte gehören wir ausnahmslos alle zu dem einen Leib Christi, und allein diese Tatsache verpflichtet schon jeden Christen an seinem Standort zum leidenschaftlichen Kampf für die Einheit. Da ich als Konvertit zwar einen Standortwechsel nicht zuletzt aus ekklesiologischen Gründen vollzogen habe, hört meine Existenz ,zwischen den Stühlen‘ dennoch nicht auf: Gerade meine Bruderschaft, der ich nach wie vor angehöre, will bewusst in diesen Riss treten, um von hier aus ihren Beitrag zur Una Sancta zu leisten, im Selbstverständnis einer Ökumene der katholischen Fülle statt des ,kleinsten gemeinsamen Nenners‘ – das ist sicherlich für viele Zeitgenossen ganz anders als das, was landläufig sonst mit dem Ökumenebegriff verbunden wird und, zugegeben, ein wirkliches Spannungsfeld.“

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