Herr Weihbischof, es ist still geworden um den Synodalen Weg. Verraten Sie uns etwas über den Stand der Arbeit?
Die letzten Wochen waren beherrscht von dem Thema "Corona-Krise", und zwar gesellschaftlich wie kirchlich. Gerade im innerkirchlichen Bereich sind nun ganz existenzielle Fragen an die erste Stelle gerückt. Welche Bedeutung hat die hl. Messe in meinem Glaubensleben? Was hat das für Konsequenzen, wenn mir eine Teilnahme an der heiligen Messe verwehrt wird? Wie kann Seelsorge auch unter den Bedingungen von Kontaktsperre und "Social distance" gelingen? Dagegen sind die Fragen des Synodalen Weges in den Hintergrund getreten. In Zeiten der Krise konzentriert man sich eben stärker auf die wirklich existenziellen Themen. Die Themen des Synodalen Weges scheinen hier nicht unbedingt dazuzugehören.
Verschafft Ihnen die Krise eine Pause?
Nein, diese Arbeiten gingen und gehen weiter. Ich bin zum Beispiel Mitglied des Synodalforums "Leben in gelingenden Beziehungen", und dieses Forum hat bereits zweimal getagt. Das erste Treffen fand kurz vor der Corona-Krise statt, das zweite vergangene Woche, allerdings als Videokonferenz.
Welche Erfahrung haben Sie dort gemacht?
Zunächst möchte ich das respektvolle und wertschätzende Umgehen miteinander hervorheben. Auch bei ganz unterschiedlichen Auffassungen haben wir einander zugehört und das alles in einer keineswegs aggressiven, sondern konstruktiven Atmosphäre. Gleichwohl ist auch in aller Offenheit und Klarheit der massive Dissens in Kernfragen zutage getreten.
"In meinen Augen ist die Kernfrage,
an der sich auch die Diskussion entzündet,
die Frage der Sinngehalte der Sexualität"
Können Sie solche Kernfragen, in denen es einen Dissens gab, benennen?
In meinen Augen ist die Kernfrage, an der sich auch die Diskussion entzündet, die Frage der Sinngehalte der Sexualität. Ich muss hier ein wenig ausholen. Gemäß der beständigen Lehre der Kirche integriert die Sexualität zwei Sinngehalte: die Mitteilung von Liebe und die Stiftung von Leben. Beide Sinngehalte sind so unlöslich miteinander verbunden, wie Leib und Seele im Menschen miteinander verbunden sind. Der Mensch lebt von Voraussetzungen, die er sich nicht selbst gegeben hat.
Was ergibt sich daraus für die Verkündigung?
Nach Überzeugung der kirchlichen Lehre sind diese beiden Sinngehalte in den Menschen eingestiftet und zwar von der Schöpfung an. Ausführlich ist dies dargelegt und begründet in der Enzyklika "Humanae vitae" des heiligen Papstes Paul VI. Weiter vertieft und entfaltet wurde diese Lehre insbesondere im Pontifikat des heiligen Papstes Johannes Paul II. Hier ist das apostolische Schreiben "Familiaris consortio" an erster Stelle zu nennen, aber auch weitere Veröffentlichungen. Johannes Paul II. ist es gelungen, die Schönheit und Würde der menschlichen Liebe zu verkünden.
Auf welchen Nenner würden Sie seine Botschaft bringen?
An erster Stelle steht die Botschaft: Du bist von Gott beschenkt. Sexualität ist eine Gabe Gottes. Erst an zweiter Stelle folgt die Herausforderung: Die Gabe wird zur Aufgabe. Alle Gebote wollen nur helfen, Sexualität so zu leben, dass sie Liebe und Leben wirklich dienen kann.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem Dissens. Was bedeutet das?
Grundlage unserer Diskussion in der vergangenen Woche war der Entwurf eines "Beschlusstextes", der in der Synodalversammlung vorgelegt werden soll. Inhaltlich orientiert er sich stark an dem Text, der in diesem Zusammenhang bereits bei der Synodalversammlung am 31.01./01.02.2020 veröffentlicht wurde. Die eben dargelegte Lehre der Kirche wird hier ersetzt durch die These, die Sexualität sei "polyvalent", das heißt sie integriere verschiedene Werte: nicht nur Fruchtbarkeit und Liebe, sondern zum Beispiel auch Lust und Identität. Innerhalb dieser Werte gäbe es keine Rangordnung. Zudem müssten nicht alle diese Werte gleichzeitig verwirklicht sein. Die Trennung von Fruchtbarkeit und Liebe wird damit - im Gegensatz zum Lehramt der Kirche - für möglich gehalten.
Was treibt die Befürworter einer "polyvalenten Sexualität" zu diesen steilen Thesen?
Die Einführung dieser These geschieht nicht ohne Grund. Damit können dann empfängnisverhütende Maßnahmen ebenso gerechtfertigt werden wie von der Fruchtbarkeit losgelöste sexuelle Praktiken wie homosexuelle Handlungen oder Masturbation. Und nicht zuletzt kann die künstliche Befruchtung damit gerechtfertigt werden. Schließlich will man damit auch die Situation von wiederverheiratet Geschiedenen neu bewerten. Und genau das ist Absicht der Einführung dieser These.
"Wenn das Fundament eines Hauses in Treibsand
gesetzt ist, vermag ich nicht daran mitzubauen"
Hier scheint es ja nicht nur um irgendwelche Randthemen der Sexualmoral zu gehen, sondern um deren Kern...
Genau das ist der Fall. Dementsprechend intensiv wurde auch darüber gesprochen. Eine "Generaldebatte" über die Grundthese der Beschlussvorlage wurde allerdings mit großer Mehrheit abgelehnt. Auf Basis dieser These soll nun weitergearbeitet werden. Das hat in mir den Entschluss reifen lassen, meine Mitarbeit in diesem Forum zu beenden. Um es in einem Bild zu sagen: Wenn das Fundament eines Hauses in Treibsand gesetzt ist, vermag ich nicht daran mitzubauen.
Aber wäre es nicht gerade in dieser Situation wichtig, für die Lehre der Kirche weiterzukämpfen?
Selbstverständlich werde ich mich weiter für die Lehre der Kirche einsetzen, und mir geht es nicht um ein formales Halten von Positionen. Die Lehre der Kirche ist ein Schatz, der zur Freiheit, Liebe und Glück führt. Das ist meine Überzeugung. Aber wie bereits gesagt, hat man sich im genannten Synodalforum für einen anderen Weg entschieden, der nicht der meine ist. Selbstverständlich bringe ich mich weiter im Synodalen Weg ein, aber eben nicht im Synodalforum, sondern in der Synodalversammlung.
In den Debatten der ersten Synodalversammlung spielte die Machtfrage eine wichtige Rolle. Hat der Entscheidungsstil während der Lockdown-Phase Öl ins Feuer gegossen? Immerhin hat ein deutscher Dogmatiker öffentlich vom teilweise patriarchalischem Gebaren gesprochen.
Wir müssen uns vor Augen halten: Die Corona-Krise ist nicht ein Ereignis, auf das wir uns ein Jahr mit ausgiebigen Debatten, Erwägungen und Planspielen vorbereiten konnten. Es musste von jetzt auf gleich entschieden werden. Die Bischöfe haben dies in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung getan.
"Gott bewahre uns davor, dass eine solche Krise
noch einmal kommt. Doch wenn dies der Fall ist,
werden wir in Kirche und Gesellschaft darauf anders vorbereitet sein"
Für viele Christen hat sich das Bild ihrer Kirche in den vergangenen Wochen verändert. Die ehemalige Ministerpräsidentin Thüringens warf den Kirchen Versagen vor. Rechnen Sie mit Auswirkungen auf die Themensetzung und Diskussion bei der nächsten Synodalversammlung?
Das ist eine spannende Frage, die ich nicht zu beantworten vermag. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das Thema "Corona-Krise" einfach bei der nächsten Synodalversammlung übergeht. Aber noch ein Wort zum Thema "Versagen der Kirche". Ich will versuchen, es mit einem Bild zu erklären: Wenn Sie mit einem Auto unterwegs sind und geraten plötzlich in eine Nebelwand, dann steigen Sie erst einmal voll in die Bremsen. Und erst wenn Sie sich besser orientiert haben, wenn Sie die Sichtweite ermessen haben, fahren Sie langsam weiter und nehmen allmählich wieder Fahrt auf. Selbst wenn man im Abstand und in der Rückschau dazu kommt, dass die Verantwortlichen in Kirche und Gesellschaft in der Krise überzogen gehandelt haben, stehe ich zu den betreffenden Entscheidungen. Gott bewahre uns davor, dass eine solche Krise noch einmal kommt. Doch wenn dies der Fall ist, werden wir in Kirche und Gesellschaft darauf anders vorbereitet sein.
Was haben Sie persönlich für Lehren aus der Krise gezogen für den Synodalen Weg?
Vieles an sehr emotionalen, angsterfüllten Reaktionen in der Krise haben mich sehr nachdenklich gemacht. Die Pandemie musste und muss sehr ernst genommen werden, um Menschenleben nicht unnötig zu gefährden. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Wenn allerdings der Glaube schwindet, dass wir in Gottes Hand geborgen sind, auch in Not und Krise, dann wächst die Angst. Wenn ich keinen Halt in Gott habe, werde ich haltlos. Kurzum: Das Zeugnis der Christen wird immer wichtiger: Wir nehmen die Pandemie ernst, aber sind in Gottes Hand geborgen. Diese Botschaft muss in alle Welt! Verhilft der Synodale Weg dazu? Ich habe meine Zweifel!
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe