Würzburg

Romano Guardini: Theologie des Herzens

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist die wichtigste Deuterin des Werks von Romano Guardini.
Romano Guardini, Gründungsvater der jungen Bundesrepublik
Foto: KNA | Romano Guardini, Gründungsvater der jungen Bundesrepublik.

Romano Guardini (1885–1968), mit Karl Jaspers einer der intellektuellen Gründungsväter der jungen Bundesrepublik, zieht auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod noch Kreise. Nicht nur, dass Papst Franziskus sich in seiner Enzyklika Laudato si?“ ausdrücklich den kulturkritischen Ansatz des Religionsphilosophen zu eigen machte – auch Papst Benedikt bezog sich wiederholt auf den in Verona Geborenen, aber in Deutschland Aufgewachsenen – es gibt zudem Guardini-Tagungen, Guardini-Lehrstühle, seit 2007 sogar eine Guardini-Kantate für Orchester, Chor und Orgel, zu Texten des großen interdisziplinären Denkers.

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Besten Kennerinnen des vielschichtigen Werkes

Eine der besten Kennerinnen des vielschichtigen Werkes ist die gleichfalls als Religionsphilosophin wirkende Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, die zu seinem 100. Geburtstag 1985 eine Biographie vorlegte und jetzt mit einem Materialienband nachlegt, der verschiedene Aspekte in Leben und Wirken des vielseitig Begabten umkreist. Das bescheiden „Versuche“ genannte Werk untersucht die vielfältigen Freundschafts-Beziehungen des zeitlebens von Schwermut Geplagten, der ohne seinen Freundeskreis nicht hätte sein können, beleuchtet dessen Ansatz der Anschauung von Welt und Person und nimmt   sein bis heute wohl bekanntestes Werk „Der Herr“   in den Blick.

Einen bedeutenden Menschen erkennt man daran, dass er begabte und reife Menschen an sich zieht, zu Denk- und Lebensgemeinschaften ruft. Guardinis wichtigster Freund, der Rottenburger Priester Josef Weiger (1883–1966), mit dem er sechs Jahrzehnte lang unterwegs war, trat als geistlicher Schriftsteller und gesuchter Begleiter hervor, der einerseits seiner kleinen Pfarrei verbunden blieb und ehrenvolle Beförderungen ausschlug, andererseits das geistig-geistliche Format hatte, den Gedankenbögen des Freunds aus Studienzeiten zu folgen und Guardini immer wieder zu „erden“, auch durch die Gabe des Humors. Das winzige Mooshausen in Oberschwaben wurde zum Tusculum Guardinis, wo er zur Ruhe kam.

Auch Eugen Jochum, Joseph Bernhart, Fridolin Stier, Ida Friederike Görres kannten den Mann und den Ort, wo in NS-Zeiten manch diskrete Nächtigung möglich war. Die Haushälterin in Mooshausen, Maria Theresia Knoepfler, hatte gleichfalls Format, vertiefte sich schon in der Jugendzeit – ohne große formale Bildung zu haben – in Theologie und Philosophie und trug durch ihre „sprachschönen und verlässlichen Übersetzungen“ von Werken Newmans zur Gründung des deutschen Oratoriums bei.

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Quickborn als wichtiges Thema

Gerl-Falkovitz behandelt auch das zu wenig bekannte Thema der Guardini-Lektüre im Münchener Widerstandskreis der Weißen Rose. Sie ist belegt und bedeutsam, auch wenn Guardini keines der Mitglieder der Weißen Rose persönlich kannte. Eine seiner Berliner Studentinnen der 30er Jahre, Eva Zeller, vergaß Guardinis Vorlesungen dort nicht, weil er „die brüllende Gegenwart so eigentümlich durchkreuzte wie nichts sonst“.

Ein wichtiges Thema in Gerl-Falkovitz' Band ist der Einfluss des Denkers auf die katholische Jugendbewegung, insbesondere auf den Quickborn. Wenngleich Guardini im Alter mit kritischer Distanz auf sein Wirken in den 20er und 30er Jahren zurückblickte und von „Vergeblichkeit“ sprach, ist sein damaliger Einfluss auf tausende junger Frauen und Männer, die ihn in Burg Rothenfels hörten, unbestreitbar und kaum zu unterschätzen.

„In der programmatischen Schrift Quickborn (1922) entwickelte Guardini als Zielvorstellung nichts Geringeres als das ,Werden eines neuen Menschen, einer neuen Zeit‘. (...) In all dem ist nicht Romantik zu sehen.“ Vielmehr, schrieb damals Guardini, gehe es um „Wertzusammenhänge, aus denen allein unser in wahnwitziger Zerrissenheit verzuckendes Kulturleben wieder gesunden kann“.
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Die Lebensweise, die angezielt wurde, sollte Leben formen: Natürlich ging dieses Ringen 1933 scheinbar verloren, aber wie viele junge Menschen innerhalb und außerhalb des Widerstandes verdanken Guardinis Wort die Weisung in dunkler Zeit? Nicht nur zurückblickend schrieb er 1949: „Es geht darum, ob der Mensch Mensch bleiben darf – oder die anonymen Mächte, die überall am Werke sind: Staat, Sozialgefüge, Wirtschaft, Doktrinen, Schlagworte, öffentliche Meinung ihn fressen.“

Guardinis Ansatz ist nicht überholt, so die Autorin: „Kirche ist in seiner Erfahrung jener Ort, wo die Autorität zur Freiheit heranbildet und der Gehorsam zur Selbstständigkeit, zwei verwandte Paradoxe, die er „ergänzende Gegensätze“ nennt“. So sollte Kirche in den Seelen erwachen! Gerl-Falkovitz: „Das unterschwellige Fremdsein in der Kirche wurde damit gelöst zu einer befreienden Liebe zu ihr.“

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Reife, innere Kenntnis des Werkes

Wenn heute sich katholisch dünkende Jugendgruppen dem ,Gender-Stern‘ folgen wollen und dazu aufrufen, am Sonntagmorgen länger im Bett zu bleiben, kann man diese Diskrepanz noch nicht einmal zum Objekt von Witzen machen, so bemitleidenswert erscheinen einem die Heutigen. Die Jugendburg Rothenfels war übrigens, wie man nebenbei erfährt, Ort einer Begegnung zwischen Heidegger und Guardini; bemerkenswert, „dass der Existenzialist als erster den Metaphysiker aufsuchte“ – im blauen Trainingsanzug, denn er befand sich auf einer Flusswanderung. Das Gespräch fasste der Priester in dem Satz zusammen: „Gestern abend habe ich gemerkt, dass ich kein Philosoph bin“.

„Was für ein Atem geht durch Guardinis Texte! Am Menschen entscheidet sich merkwürdigerweise das Schicksal Gottes. Erregenderes kann man nicht denken.“
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz über „Der Herr“

Zum Überzeitlichen des Werkes Guardinis gehört sein Klassiker „Der Herr“ von 1937. Hier wird, so Gerl-Falkovitz, „christliche Theologie zur Sprache der Leidenschaft, zur Glut des Schauens. Guardini verdünnt den Herrn nicht rationalistisch, er zeigt, wie jeder Evangelist und auch Paulus eine andere Facette dieser nicht zu bewältigenden Gestalt nachzeichnet. Christus wird blutvoll. Und Guardini entwickelt etwas Seltenes: Dass Gott auch sein Schicksal an den Menschen fand, nicht nur umgekehrt.“

Es scheint, dass im „Herrn“ das Räsonieren des christlichen Philosophen ins Schauen übergeht, so die Autorin: „Was für ein Atem geht durch Guardinis Texte! Am Menschen entscheidet sich merkwürdigerweise das Schicksal Gottes. Erregenderes kann man nicht denken.“ Und besser kann man nicht darüber schreiben. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz hat eine reifes, die innere Kenntnis des Werkes in jeder Zeile verratendes Quellenbuch vorgelegt, geeignet, uns den Denker neu zu erschließen, der im Mahlstrom der Zeit Orientierung bietet. Zu ihm kann man beten, denn sein Seligsprechungsprozess ist eröffnet.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Geheimnis des Lebendigen – Versuche zu Romano Guardini.
Be & Be-Verlag, Heiligenkreuz, 2019, 337 Seiten, ISBN 978-3-903118-85-0, EUR 24,90

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