Interreligiöse Dialoge müssen kein unverbindlicher Austausch politisch korrekter Phrasen sein. Ein Aha-Erlebnis ist dem Leiter der Fürstlichen Hofbibliothek von St. Emmeran in Regensburg, Prälat Wilhelm Imkamp, zu Ostern mit dem jüdischen Journalisten Henryk Broder in der „Welt“ geglückt. Die Chance der Gottgläubigen, kritisches Korrektiv der Welt zu sein, wird hier mit Verve genutzt. Das Gespräch lebt von Broders geistreichen Fragen, Imkamps intelligenten Antworten und beider gläubigem Geschichtsbewusstsein.
Sich selbst und der biblischen Botschaft treu
Hunderte von Kommentaren, darunter enthusiastische Reaktionen von Lesern, die aus der Kirche ausgetreten sind oder sich aus Enttäuschung über deren Verweltlichung ins innere Exil zurückgezogen haben, zeigen, dass das Interview einen Nerv getroffen hat. Imkamp und Broder gelingt der Bogen von der Tagespolitik bis zur Frage, wie Gott Leid zulassen kann, ohne sich selbst oder die biblische Botschaft zu verbiegen. Keine Klage entfährt dem vormaligen Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, der im September sein 70. Lebensjahr vollendet, über „erstarrte Strukturen“ und „mangelnde Veränderungsbereitschaft“ in der Kirche, vielmehr analysiert er das Dilemma einer Gesellschaft, die sich von Gott verabschiedet hat: „Wir haben keine geistigen Ressourcen mehr, um auf einer metaphysischen Ebene etwas erklären zu können, das nicht offensichtlich ist.“
"Der Glaube ist die einzige Möglichkeit,
mit dieser Welt zurechtzukommen,
ohne verrückt zu werden.“
Der Prälat verkörpert, was etlichen Gemeinden fehlt: ein hochgebildetes priesterliches Original. Dass die Gläubigen mit der Pest seinerzeit besser fertig wurden als die Aufgeklärten heute mit Corona kann hierzulande nur äußern, wer selbst nicht der kirchlichen Funktionärsebene zuzurechnen ist. Für den Glauben werben, ohne klerikal zu wirken? Ja, das geht: „Wer glaubt, hat mehr vom Leben. Und der Glaube ist die einzige Möglichkeit, mit dieser Welt zurechtzukommen, ohne verrückt zu werden.“
Auf Broders Frage, ob Corona eine Strafe Gottes sei, antwortet Imkamp beherzt mit dem Hinweis auf den strafenden Gott in den Psalmen, auch wenn er selbst „ganz vorsichtig wäre, von einer Strafe Gottes zu sprechen“. Beim ersten Lockdown, so der Prälat, habe er den Eindruck gehabt, dass Politiker lustvoll durchregieren wollten. Eine Prise Kritik darf sein: „Selbstüberschätzung, lustvolles Durchregieren, den anderen zeigen, wo der Hammer hängt, was ,wir‘ alles können – das kann eine sehr toxische Mischung sein.“ Das Echo in den sozialen Medien dürfte den Brüdern im Geiste Neider bescheren. Was bleibt, ist die Zuversicht, dass „Fernstehende“ mit Glaube, Bildung und Verstand abseits von synodalen Irrwegen erreichbar sind.
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