Die deutschen Bischöfe haben bei ihrer Vollversammlung in Fulda neue Leitlinien für die Jugendpastoral verabschiedet. Die Freundschaft mit Christus ist ein wichtiges Motiv, das im Vorfeld von dem ehemaligen Jugendbischof Stefan Oster SDB als Leitmotiv vorgeschlagen wurde. Es hat immerhin Eingang in den Text gefunden. Vor dem Hintergrund der Abschiedsreden Jesu wird entfaltet, dass das Ziel der Kirche darin bestehe, den Jugendlichen eine Freundschaft mit Christus zu ermöglichen.
Nicht gegendert
Das so oft geforderte Gendersternchen fehlt. Eine gendersensible Sprache ist dennoch wahrnehmbar, unter anderem durch partizipiale Wendungen für Gruppenbezeichnungen. Angesichts der lauten Forderungen auf dem Synodalen Weg und der Befürwortung des gegenderten Gottesbegriffs durch den neuen Jugendbischof Johannes Wübbe überrascht diese Zurückhaltung. Es zeigt sich eine rege Zitationskultur im Text, wobei der Anteil der Franziskus-Zitate auffällt. Nur einmal wird Benedikt XVI. zitiert, Johannes Paul II., der "Jugendpapst" schlechthin, wird gar nicht einbezogen.
Die neuen Leitlinien sind umfangreicher als die alten. Es besteht der erste Eindruck einer redundanten Aufgeblasenheit. Dazu kommt eine teilweise unklare Ausdrucksweise, die Fehlinterpretation und Instrumentalisierung begünstigen kann. Wenn zum Beispiel das Prinzip einer "lernenden Jugendpastoral" ins Feld geführt wird, fehlt eine Verhältnisbestimmung zur Offenbarung, die als Grundkonstante verdeutlicht werden sollte. Dies wird in den Leitlinien von 1991 noch klar benannt. Stattdessen wird formuliert, dass die Kirche das Geoffenbarte neu lernen muss. Zugleich wird eine verstärkte Christozentrik und Synodalität beziehungsweise Partizipation der Jugend beansprucht.
Aus der Jugendsynode ist der Dreischritt "wahrnehmen-interpretieren-wählen" in die neuen Jugendleitlinien eingeflossen. Diese Trias wird auf drei Handlungsfelder der Jugendpastoral angewandt, die wahrnehmende Sozialpastoral, die deutende Kulturpastoral und die wählende Berufungspastoral, gemeinsam mit den Jugendlichen in einer Mentalität der Gegenseitigkeit umgesetzt. Die drei pastoralen Aspekte sollen nicht hierarchisch, sondern gleichwertig und sich gegenseitig durchdringend begriffen werden. Quantitativ zeigt sich dennoch ein Ungleichgewicht: Während dem Aspekt der Wahrnehmung ein weiter Raum zugestanden wird, erhalten die anderen beiden Aspekte weniger Beachtung.
Viel Theorie
Ein großer Teil der Leitlinien widmet sich einer theologisch-pädagogischen Grundlegung. In der Theorie wirkt beides durch die Bezeichnung von den zwei "Lungenflügeln" der Theologie und Pädagogik noch sehr ausgewogen. Doch wenn in der konkreten Entfaltung die Begleitung der Jugendlichen um den Preis des Evangeliums geschehen soll, Evangelisierung unter den Generalverdacht der Übergriffigkeit gestellt wird oder Mission synonym mit interreligiösem Dialog verstanden wird, steht die angekündigte Ausgewogenheit auf wackligen Beinen.
Es erfolgt gemäß dem ignatianischen Dreischritt eine Wahrnehmung der Lebenswelt der Jugend, die unter anderem von Wertepluralismus, gebrochenen Familienkonstellationen und einer moralfreien Sexualität geprägt ist. Korrekt wird zusammengefasst, dass sich die Jugend in einer Phase der Identitätsbildung und Festigung befindet, bei der die Kirche sensibel unterstützen muss. Dies sollte jedoch nicht um den Preis des Evangeliums geschehen. Mit einem beinahe pelagianischen Optimismus ist von Selbstbestimmung die Rede, als ob bei der heute überragenden Qual der Wahl ein verantwortungsvoller Umgang mit der Freiheit ohne Anleitung möglich sei. Das Konzept eines wenig evangelisierenden Mitgehens ist in der Pastoraltheologie schon länger zu beobachten. Ein verbindliches Wertesystem wie die Zehn Gebote zu kommunizieren, wird demnach auch in den Leitlinien relativiert und als übergriffig empfunden. Die Leitlinien lassen die Tendenz erkennen, jegliche Form von christlicher Ethik als Moralisierung zu verunglimpfen. Das ist ein ungerechtes und irreführendes Wording.
Chance für junge Menschen
Der zweite ignatianische Schritt der Interpretation fällt deutlich kürzer aus. Immerhin ist positiv anzumerken, dass die Verabschiedung von der Volkskirche als Chance für junge Menschen herausgestellt wird, die frohe Botschaft aus Überzeugung und nicht aus Gruppenzwang anzunehmen. Das ist eine wichtige Beobachtung, zugleich eine große Herausforderung im Kontext vieler Sinnangebote. Die Verkündigung muss umso heller strahlen, umso salziger sein, was sich aber als Schlussfolgerung nicht deutlich genug im Text findet. Wenn dann noch zentrale Begriffe umdefiniert werden und "volkskirchliches Denken" synonym mit dem Wahrheitsanspruch Christi, der Weg, die Wahrheit und das Leben zu sein, verstanden wird, kehrt Verwirrung ein. Der Abschied von der Volkskirche als Abschied vom Wahrheitsanspruch Christi?
Als dritter Aspekt wird der Vorgang des Wählens in den Blick genommen, wobei auch hier wieder der Eindruck einer recht optimistischen Definition von Selbstbestimmung und verantwortlicher Wahl vorausgesetzt werden. Freiheit muss im theologischen Kontext immer zugleich als Freiheit für Gott begriffen werden, eine Freiheit, die kultiviert werden muss, weil sie angreifbar ist. Es werden sodann Konsequenzen für die Jugendpastoral gezogen, wiederum orientiert an der ignatianischen Trias. Dabei zeigt sich die Bestrebung einer offenen Jugendpastoral, übrigens auch schon in den alten Leitlinien. Zudem steht sie unter dem Motto der Zurückgewinnung von Vertrauen angesichts der Erschütterung durch die Missbrauchsskandale.
Kritik an moralischen Aussagen
Dem Prinzip der Wahrnehmung gemäß sollen beispielsweise Räume zum Austausch und für Fragen geschaffen werden. Dem Prinzip der Interpretation gemäß sollen Möglichkeiten geschaffen werden, den Jugendlichen christliche Deutungen des Lebens anzubieten. Dem Prinzip der Deutung gemäß sollen Gelegenheiten zur geistlichen Vertiefung geschaffen werden, aber auch Begleitmöglichkeiten bei der Berufswahl, Ausbildung und Berufung. Es soll auch die Unterscheidung der Geister verstärkt in die Pastoral einfließen ein nicht zu unterschätzender Kompass im Dschungel heutiger Sinnangebote.
Der große Kritikpunkt betrifft die Aussagen über Familie und Sexualität. Es erschließt sich nicht, wie einerseits unkritisch jegliche sexuelle Erfahrung der Jugend respektiert werden soll unter dem Deckmantel der "Wahrnehmung", fast schon ängstlich und schambehaftet die eigene Sexualmoral totgeschwiegen, kein Wort über Keuschheit bei der Persönlichkeitsbildung erwähnt, eine Sexualität der Vielfalt angedeutet, andererseits großer Wert auf Missbrauchsprävention gelegt wird. Im Vergleich zu den emotional diskutierten sexualmoralischen Forderungen auf dem Synodalen Weg durch Vertreter der Jugendverbände bleiben die Leitlinien überraschend zurückhaltend, doch fallen ihre wenig profilierten Aussagen schnell einer Instrumentalisierung zum Opfer.
Fazit:
Insgesamt nehmen die neuen Leitlinien wichtige Themen der heutigen Zeit auf und machen ignatianische Grundlagen für die Jugendpastoral fruchtbar. Dennoch büßen sie an theologischer Tiefe und Eindeutigkeit ein. Die Schwerpunktverlagerung auf die Wahrnehmung und lernende Jugendpastoral versäumt ein wenig die Neuausrichtung auf das Evangelium in pluralistischer Gesellschaft. Dies ist in den alten Leitlinien trotz detaillierter Wahrnehmung der "Zeichen der Zeit" ein zentraler Aspekt.
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