Es war Anfang dieses Monats einer der wenigen Momente auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe, in dem beide orthodoxen Kirchen in der Ukraine zusammen auftraten: Einen Tag vor Ende des weltweiten Ökumene-Treffens mit knapp 4000 Teilnehmern rang die Versammlung um eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine. Bereits im Juni hatte der Zentralausschuss des ÖRK den Angriff Russlands auf das Nachbarland verurteilt, nun sollte die Versammlung aller gut 350 Mitgliedskirchen diesem Beispiel folgen.
Doch das stellte sich als durchaus schwierig heraus: Denn neben einer russisch-orthodoxen Delegation waren auch die Ukrainer im letzten Moment eingeladen worden. Wer sich quasi informelle Friedensverhandlungen auf kirchlicher Ebene erhofft hatte, musste enttäuscht werden. Gespräche zwischen den Delegationen gab es Teilnehmerkreisen zufolge kaum, zwischen den Kriegsparteien herrschte auch auf dem Welt-Ökumenetreffen weitgehend Funkstille.
Konflikte spalten ukrainische Orthodoxie
Die Delegierten beider orthodoxer Kirchen in der Ukraine, der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die sich gerade erst im Mai dieses Jahres komplett vom Moskauer Patriarchat losgesagt hat, und der „autokephalen“, also selbstständigen orthodoxen Kirche der Ukraine, waren sich einig: Der Text sei nicht scharf genug. Er müsse Ross und Reiter, Angreifer und Opfer in diesem Krieg klarer benennen. Ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche lobte hingegen den Resolutionsentwurf – er würde weniger politisch ausfallen als befürchtet.
Wenn es um die Interessen des eigenen Landes geht, können sich die beiden Kirchen durchaus zusammenraufen, doch darüber hinaus bleiben die Beziehungen kompliziert. „Die Beziehungen zur orthodoxen Kirche der Ukraine sind wirklich schwierig“, sagt der 18-jährige Stepan Senchuk, der als junger Delegierter die zuvor zum Moskauer Patriarchat gehörende ukrainisch-orthodoxe Kirche in Karlsruhe vertreten hat. „Die großen Konflikte sind wie Gift, sie spalten unser Land in verschiedene Lager.“ So seien Kirchenmitglieder wegen der bisher immer noch bestehenden Verbindungen zu Moskau gefragt worden, ob sie Verräter seien. „Wie kann ich in meinem Zuhause ein Verräter sein?“, fragt Senchuk und verweist auf die lange Tradition seiner Kirche, die bis auf das Jahr 988, als in der Kiewer Rus durch eine Massentaufe die orthodoxe Kirche zunächst als Teil des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel entstand. Seine Kirche werde nicht nur von anderen Kirchen, sondern auch von Regierungsseite diskriminiert. „Ich will, dass sie aufhören, die Leute in dieser Weise zu beschuldigen“, sagt der junge Mann.
Für Oleksandra Khovalenko von der orthodoxen Kirche der Ukraine haben die Spannungen zwischen beiden Kirchen seit dem Kriegsausbruch allerdings nachgelassen. „Ich fühle, dass die Ukrainer jetzt in dieser Situation vereinter denn je sind“, sagt sie im Gespräch mit der „Tagespost“. Die Beziehungen zur Nachbarkirche seien schwierig, aber die Konflikte würden jetzt nicht mehr so sehr im Vordergrund stehen. Man arbeite in einigen Initiativen zusammen, unter anderem im Allukrainischen Rat der Kirchen, auch gebe es gemeinsame Gebete.
Wechselvolle Geschichte
Dass die ukrainisch-orthodoxe Kirche trotz ihrer langen Tradition und Verwurzelung in dem Land gesellschaftlich angefochten ist, geht auf ihre wechselvolle Geschichte zurück. Eigentlich Teil des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, erhielt ab 1686 der Moskauer Patriarch das Recht, den Metropoliten von Kiew zu ordinieren. Auch die dritte polnische Teilung 1795 förderte den Anschluss des nördlichen Teils der Ukraine an die russisch-orthodoxe Kirche. Die wurde vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen, als alle Kirchen des griechisch-orthodoxen Ritus der russisch-orthodoxen Kirche unterstellt wurden.
Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 spaltete sich schließlich eine „ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats“ ab, zudem entstand eine Ukrainisch Autokephale Orthodoxe Kirche. Die beiden letzteren fusionierten 2018 zur orthodoxen Kirche der Ukraine und repräsentieren mittlerweile die Mehrheit der orthodoxen Christen in dem Land, was die ukrainisch-orthodoxe Kirche allerdings bestreitet. Senchuk zufolge vertritt seine Kirche nach wie vor drei Viertel der Orthodoxen im Land – offizielle Zahlen geben allerdings ein anderes Bild. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche verblieb formell beim Moskauer Patriarchat, auch wenn sie bereits bei ihrer Wiederbegründung 1990 eine weitgehende Unabhängigkeit erlangt hatte. Erst infolge des russischen Angriffskriegs verkündete sie am 27. Mai dieses Jahres die endgültige Trennung von Moskauer Patriarchat.
Diese schwierige konfessionelle Situation nutzt auch die russisch-orthodoxe Seite, um den ausbleibenden Dialog mit den Ukrainern zu rechtfertigen. Vakhtang Kipshidze, stellvertretender Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Moskauer Synode, bezeichnete im Gespräch mit der „Tagespost“ die ukrainisch-orthodoxe Kirche als die einzige kanonische Kirche in dem Land. „Auf keinen Fall nehmen wir die Kirche von Epifanij zur Kenntnis“, sagte Kipshidze in Bezug auf die autokephale orthodoxe Kirche in der Ukraine – womöglich ein Versuch, die beiden Konfessionen gegeneinander auszuspielen. Die Schwierigkeiten seien entstanden durch die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, die Kirche des Kiewer Patriarchats anzuerkennen, meint Kipshidze. Dies sei auf Bitten des früheren ukrainischen Präsidenten Poroschenko geschehen und habe die interreligiösen Konflikte in der Ukraine „noch verschlimmert“, so der Sprecher der Moskauer Synode.
Not lehrt Beten
Trotz der konfessionellen Spaltung innerhalb der ukrainischen Orthodoxie sind sich beide Kirchen darin einig, in der jetzigen Situation den Menschen im Land wie auch den zehntausenden Flüchtlingen im Ausland so gut wie möglich zu helfen. So helfe die orthodoxe Kirche der Ukraine bei der Evakuierung von zerstörten Orten im Osten und Süden des Landes, sagt Oleksandra Khovalenko. Gerade jetzt, wo der Winter vor der Tür stehe und es in vielen Orten weder Wasser noch Strom gebe, habe sich die Regierung zu diesem Schritt entschieden. Und das mit Hilfe der Kirche: Die, so erzählt die junge Frau, helfe mit, provisorische Häuser für die Binnenflüchtlinge zu bauen, damit sie in der kommenden kalten Jahreszeit ein Dach über dem Kopf haben.
Auch Stepan Senchuk engagiert sich nach eigenen Angaben für seine Landsleute. So habe er mit anderen Jugendlichen zusammen die Organisation „Wing of Hope and Goodness“ (zu deutsch: Flügel der Hoffnung und Güte) gegründet, die gut 300 Flüchtlingen geholfen habe, in provisorischen Unterkünften unterzukommen. Auch hätten sie mehrere Hilfstransporte unter anderem in den Donbass organisiert, außerdem psychologische Hilfe für die Menschen aus den Kriegsgebieten.
Und auch das alte Motto „Not lehrt beten“ scheint sich in Kriegszeiten wieder zu bestätigen. Oleksandra Khovalenko hat nicht nur bei ihren Freunden beobachtet, dass Menschen, die früher eher weniger religiös gewesen seien, nun in die Kirchen kommen, um dort für den Frieden, ihre Familien oder Freunde zu beten.
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