Eichstätt

„Kirche muss an ihrer Psychostruktur arbeiten!“

Ist der Priester in der Kirche überhöht und wie sollte die Ausbildung der Priester in Zukunft aussehen? Eine Internationale Tagung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt versucht darauf Antwort zu geben.
Priesterweihe im Petersdom
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Wie soll die Priesterausbildung in Zukunft aussehen? Der frühere Regens von St. Georgen, Pater Stephan Kessler SJ., wirbt für eine Abschaffung der Seminare als Theologenkonvikte.

Das Ziel unserer Tagung ist ein konstruktiver Beitrag. Dabei haben wir bewusst auf die explizite Benennung der heißen Eisen der Gegenwart wie Zölibat, Frauenordination und Klerikalismus im Programm der Tagung verzichtet, denn die Argumente dazu liegen auf dem Tisch“, so Bernward Schmidt, Dekan der Theologischen Fakultät an der Katholischen Universität Eichstätt, das Ziel der Tagung, die kürzlich digital stattfand. Dass das Thema der Veranstaltung nicht leicht aus dem kirchenpolitischen Minenfeld herauszuholen ist, fiel dabei bereits während der Vorbereitung auf: Eine Referentin sagte ihren Vortrag ab, weil Frauen qua Geschlecht die Fähigkeit und die ontologische Möglichkeit abgesprochen werde, Priesterin zu werden, und alles, was sie im Rahmen der Tagung sagen könnte, zwangsläufig unter diesem Vorbehalt stehen müsste.

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Diese Diskursverweigerung mag Symptom einer Überforderung sein, welche sich im Umgang von Theologie und Kirche mit den Transformationsprozessen der Moderne ergeben. Diese waren Thema des Eröffnungsvortrages von Martin Kirschner, Professor für Theologie in Transformation in Eichstätt, der drei große Handlungsfelder aufzeigte im Übergang zur postsäkularen Gesellschaft, dem Spannungsfeld zwischen besonderem und allgemeinem Priestertum sowie den Fällen sexuellen Missbrauchs. Diese Konflikte könnten nicht einfach gelöst, ihnen kann nur durch eine „kreative theologische Arbeit“ begegnet werden – wozu die Kirche eine neue Streitkultur brauche: „Dazu gehört, Frontstellungen, ausschließende Alternativen und Feindbilder immer wieder neu zu öffnen, um Raum für ein ,Drittes‘, für neue Einsichten und Lösungen zu gewinnen“, so der Eichstätter Professor. Doch wie können diese neuen Einsichten und Lösungen aussehen?

Einige Ansätze blieben stark auf der Ebene des Symbolischen: So ist der Freiburger Weihbischof und Rektor des Priesterseminares Christian Würtz gebeten worden, den lateinischen Titel „Regens“ („Herrscher“) abzulegen und sich besser nur noch „Leiter“ oder „Begleiter“ zu nennen. Der emeritierte Tübinger Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath regte an, den Priester nicht mehr „Priester“ zu nennen, um eine Verwechslung mit dem einzigen Hohenpriester Jesus Christus zu vermeiden: Man könnte stattdessen kurz und bündig vom „geistlichen Amt der Gemeindeleitung“ sprechen, zu dem jemand „ordiniert“, aber möglichst nicht „geweiht“, wird.

Wahl und Erwählung - ein Gegensatz?

Eine optimistische Orientierung ermöglichte der Vortrag von Achim Buckenmaier, der Dogmatik an der Lateran-Universität in Rom lehrt und das Priestertum als wieder mehr am Wirken Christi auszurichten sieht: „Heute hält man den Anspruch der Sakramentalität des Priesteramts, Christus darzustellen, für unerfüllbar und gibt ihn deshalb auf“, so Buckenmaier. Dabei seien die Zeichen und Wunder nicht mit Jesus entschwunden, sondern eingegangen in das Leben der jungen Gemeinde in Form der Sakramente. „Der Priester hat den Auftrag, das messianische Wirken Christi fortzusetzen. Das ist mehr als korrekt gefeierte Liturgie und gute Theologie: Würden wir uns damit begnügen, fielen wir hinter das angebrochene Gottesreich zurück“, so der römische Theologe; „Priester sind nicht nur Seelsorger und Liturgen, sie repräsentieren den ganzen Christus.“ Zugleich müsse sich der Priester der Demut vergewissern, welche in der Sakramentalitäts-Definition Ratzingers gegeben sei: „Sakramentalität heißt: Ich gebe, was ich selbst nicht geben kann.“ Niemand könne die Kirche selbst machen, sondern sie nur empfangen.

Ein Ansatz, der durchaus Konfliktpotenzial birgt. Hilberath gab zu bedenken: „Wenn eine Gemeinde über lange Zeit keinen Priester hat, ist sie gleichwohl verpflichtet, Eucharistie zu feiern. Dann muss sie ad hoc eine Person ,erwählen‘, welche den Vorsitz führt.“ Er kritisierte die häufige Vergegensätzlichung von Wahl und Erwählung – wenn der Heilige Geist die Gläubigen begabt, sei gerade in einer demokratisch verfassten Kirche diese Gegensätzlichkeit aufgehoben, da der Geist durch den Wählenden handelt.

Ist der Priester in der Kirche überhöht?

Die Fragen der systematischen Theologie wurden ergänzt von pastoralpsychologischen Perspektiven. Die Linzer Pastoraltheologin Klara-Antonia Csiszar referierte über das Spannungsverhältnis der Priester zwischen den Perfektionsansprüchen der Gemeinde und einem Lebensentwurf, der durch den Bischof fremdbestimmt wenig Sicherheit ermögliche. Die Überhöhung der Priester, die sie in ihrer rumänischen Heimat kennengelernt habe, sei dabei genauso herausfordernd für die Psyche wie die Ablehnung, der Geistliche hierzulande ausgesetzt sind: „Wo erfahren Priester heute noch Wertschätzung? Im deutschen Sprachraum haben wir das Priestertum leider diskreditiert. Die Kirche muss an ihrer Psychostruktur arbeiten!“

Hierbei spielt auch die Priesterausbildung eine gewichtige Rolle. Die Tagung hielt auch französische und ostkirchliche Perspektiven bereit. Während Erzbischof von Bourges, Jérôme Beau, unverbindlich blieb, referierte der Rektor der ukrainisch-katholischen Universität Lwiw, Bohdan Prach, über die Zentralität der geistlichen Formung – in der täglichen Eucharistiefeier, dem Stundengebet und auch darin, das Studium der Ikonographie zu vertiefen: „Jeder Seminarist sollte während seiner Ausbildung wenigstens eine Ikone selbst schreiben.“

„Schuldhafte Lähmung“ bei der Reform der deutschen Priesterausbildung?

Revolutionär wirkte der Beitrag von Pater Stephan Kessler SJ. Der frühere Regens von St. Georgen sieht eine „schuldhafte Lähmung“ bei der Reform der deutschen Priesterausbildung und postuliert: „Seminaristen wohnen heute in einer Art betreutem Wohnen, wie es sonst nur alte Menschen tun. Das führt zu Regression.“ Dazu komme, dass die Kleingruppen der verbliebenen Priesteramtskandidaten als „U-Boot-Seminaristen“ oder durch ein Doppelleben „konservative Stilblüten“ vorantrieben und „Standesdünkel“ einforderten, der an die pastorale Wirklichkeit von Gemeinden nicht anschlussfähig sei. Als Negativbeispiel benannte Kessler die französische Gemeinschaft St. Martin. Konservativen Tendenzen setze die Ausbildung wenig entgegen: „Diese Unverbindlichkeit dient vor allem dem narzisstisch-soziopathischen Typ und muss an ein Ende kommen“, so Kessler. Er warb dabei jedoch selbst für eine Abschaffung der Seminare als Theologenkonvikte, ein freies Studium „mit geistlicher Begleitung, aber in studentischen Kontexten“ und eine nachgelagerte gemeinsame Probationsphase vergleichbar eines Referendariates aller, die sich für einen pastoralen Beruf interessieren.

Nach dem rhetorischen Frontalangriff forderte Kessler selbst bemerkenswerterweise binnenkirchliche Toleranz als Ziel der Priesterausbildung: „Es geht darum, zu verstehen, dass meine eigene Kirchlichkeit eben nicht die Kirchlichkeit der ganzen Kirche ist oder sein muss.“ Eine neue Psychostruktur dürfte so gerade da möglich werden, wo kirchenpolitische Engführungen vermieden werden.

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