Washington

Katholische Glaubenstemperatur gegen Null

Die Ermahnung der Hirten untereinander war eine Kernkompetenz des goldenen Zeitalters. Nun ist es an der Zeit, dass die Bischöfe der Weltkirche den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vor den Gefahren des Synodalen Wegs mahnen.
Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Foto: Arne Dedert (dpa) | Der US-Theologe George Weigel appelliert an die deutschen Bischöfe, Bischof Bätzing in brüderlicher Zurechtweisung von der Illusion zu befreien, dass von Deutschland aus ein neuer Katholizismus entstehen könne.

Die Namen Ambrosius, Augustinus, Athanasius und Johannes Chrysostomos deuten an, dass die Jahrhunderte in der Mitte des ersten Jahrtausends, die Epoche der Kirchenväter, das goldene Zeitalter der katholischen Bischöfe waren. Die katholische Kirche erkennt fünfunddreißig Männer und Frauen als beispielhafte Lehrer an; vierzehn von ihnen – vierzig Prozent der gesamten Liste der „Kirchenlehrer“ – waren Bischöfe, die in dieser Epoche gelebt haben.

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Von der Praxis brüderlicher Zurechtweisung

Es waren keine ruhigen Zeiten. Doch obgleich diese mutigen Hirten Irrlehren innerhalb der Kirche und anmaßende Herrscher zu bekämpfen hatten, die versuchten, die Kirche ihrer Macht zu unterwerfen, haben sie ein geistliches Erbe hervorgebracht, von dem wir heute noch profitieren, da die Kirche im Stundengebet regelmäßig ihre Predigten, Briefe und Bibelkommentare betrachtet.

Eine Eigenschaft dieses goldenen Zeitalters der Bischöfe war die Praxis brüderlicher Herausforderung und Zurechtweisung innerhalb des Episkopats. Ortsbischöfe in der Mitte des ersten Jahrtausends glaubten einer weltweiten Gemeinschaft anzugehören und gemeinsam Verantwortung für diese zu tragen. Davon überzeugt, dass das, was in einem Teil des Körpers passiert, Auswirkungen auf das Ganze hat, zögerten Bischöfe wie Cyprian, Basilius von Caesarea, Ambrosius und Augustinus nicht, ihre Brüder im Bischofsamt zurechtzuweisen, wenn sie dachten, dass diese in ihrer Lehre oder disziplinarischen Praxis irrten – und zwar manchmal mit kraftvollen Worten.

Das Leugnen der Wahrheiten des katholischen Glaubens lässt eine Kirchenspaltung befürchten

Diese Vorstellung von der gemeinsamen Verantwortung der Bischöfe für die Weltkirche wurde von der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die bischöfliche Kollegialität wieder aufgenommen. Die von den Kirchenvätern ausgeübte Praxis brüderlicher Herausforderung und Zurechtweisung bleibt jedoch noch zurückzugewinnen.

Diese Zurückgewinnung erweist sich jetzt als dringend erforderlich, da die Kirche in Deutschland immer weiter vom Glauben abzufallen scheint: Ein Leugnen der Wahrheiten des katholischen Glaubens lässt ein dräuendes Schisma befürchten. Das Instrument dafür ist der sogenannte„Deutsche Synodale Weg“, ein mehrjähriger Prozess, der darauf abzielt, das Glaubenserbe in Fragen der Lehre, der kirchlichen Ordnung und des sittlichen Lebens wesentlich zu verändern und dadurch die Absichten des heiligen Papstes Johannes XXIII. hinsichtlich des Zweiten Vatikanums zu verraten.

Behauptung, legitime Anschauungen können
in der Kirche miteinander konkurrieren

Dem kürzlich veröffentlichten „Grundtext“ zufolge wird der deutsche Synodale Weg Jesus, den Herrn, im Hinblick auf die Verfassung der Kirche und ihre Führung durch die Bischöfe korrigieren („Über diese Modelle ist die Zeit hinweggegangen“, heißt es im Text), während er behauptet, er werde die Lehre der Kirche über „Geschlechtergerechtigkeit …, Bewertung queerer sexueller Orientierungen und im Umgang mit Scheitern und Neuanfang (zum Beispiel Wiederverheiratung nach Scheidung) richtigstellen und verbessern.

Wie ist das möglich? Dem Grundtext zufolge ist das möglich, weil es „nicht die eine Wahrheit der religiösen, sittlichen und politischen Weltbewährung und nicht die eine Denkform, die den Anspruch auf Letztautorität erheben kann“ gibt. So könnten in der Kirche „legitime Anschauungen und Lebensentwürfe sogar bei Kernüberzeugungen miteinander konkurrieren … theologisch gerechtfertigte Ansprüche auf Wahrheit, Richtigkeit, Verständlichkeit und Redlichkeit… widersprüchlich zueinander sein“.

Negierung der einen Wahrheit ist Abfall vom Glauben

Das ist nicht nur ein von ideologisch wankelmütigen Akademikern und machtgetriebenen Kirchenbürokraten zubereiteter Wortsalat. Das ist ein Abfall vom Glauben. Und zwar ein Abfall vom Glauben im Dienst des postmodernen Credos, dass es „deine Wahrheit“ und „meine Wahrheit“ geben könne, aber nichts, was sich als „die“ Wahrheit beschreiben ließe.

Und damit Sie nicht denken, dieses Vorgehen werde zu einer neuen Toleranz der Verschiedenheit führen, warnt der Grundtext diejenigen, die sich zum Credo von Nizäa statt zum postmodernen Credo bekennen, dass sie gezwungen sein werden, das, was sie als Abkehr vom christlichen Glauben ablehnen, zu „unterstützen“ und zu „fördern“. Der Instinkt, totalitären Zwang auszuüben, scheint sich in einigen Kulturen zäh zu halten.

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„Katholizismus light“ führt zum „Null-Katholizismus“

Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, behauptet, der deutsche Synodale Weg werde an anderer Stelle in der Weltkirche begeistert verfolgt. Falls das so ist, dann nur unter den schrumpfenden Kadern des „Katholizismus light“, die vom deutschen Beispiel nicht gelernt haben, dass der „Katholizismus light“ zum „Null-Katholizismus“ führt, der durch diesen Grundtext beispielhaft erläutert wird.

Es ist daher dringend erforderlich, dass Brüder im Bischofsamt Bischof Bätzing von der Illusion befreien, dass er, die große Mehrheit der deutschen Bischöfe und die aufgeblähte deutsche Kirchenbürokratie die mutigen Pioniere eines neuen Katholizismus seien. Die oberste Verantwortung liegt hier beim Bischof von Rom, Papst Franziskus, der sich verhalten sollte wie Papst Clemens I. gegenüber den randalierenden Korinthern in der unmittelbar nachapostolischen Zeit oder der heilige Papst Gregor der Große gegenüber den Brüdern im Bischofsamt in der Epoche der Kirchenväter: die deutschen Bischöfe zurückrufen zu dem „Glauben, der den Heiligen ein für allemal anvertraut ist“ (Jud 1,3).

Allerdings liegt diese Verantwortung nicht beim Papst allein. Andere Bischöfe in der Weltkirche sollten Bischof Bätzing ihre schwere Sorge über den zersetzenden Charakter des Grundtextes des Synodalen Wegs mitteilen. Das jedenfalls würden Männer des Kalibers von Ambrosius, Augustinus, Athanasius und Johannes Chrysostomos tun – denen angesichts der „Ambiguität“, die in diesem Grundtext gefeiert wird, schlecht geworden wäre.

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