Wie entstehen gute Predigten? Johannes von Ávila (1499/1500–1569) setzte bei der Ausarbeitung seiner Homilien auf Gebet und Studium: Jeweils zwei Stunden vor und nach der Predigtvorbereitung widmete der Patron des spanischen Klerus dem Gebet. Kontemplation hatte für den von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2012 zum Kirchenlehrer erhobenen Weltpriester Vorrang. Ein durchbetetes Predigtwort sage mehr als zehn ohne Gebet, schrieb Johannes einmal. „Evangelisiert wird auf den Knien“, charakterisierte Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung, das priesterliche Amtsverständnis des Heiligen. Dieser habe Christus nicht allein aus der Kenntnis der Lehre heraus gepredigt, sondern aus existenzieller Übereinstimmung mit dem Gekreuzigten.
Das geistliche Profil des Reformers beleuchtet
Beim Internationalen Kongress über Johannes von Ávila wurde Ende November in Córdoba das geistliche Profil des Reformers beleuchtet. Der „Verkünder des Evangeliums“ trug als Wanderprediger durch Volksmissionen sowie mit der Gründung der Universität Baeza und mehrerer Schulen maßgeblich zur Erneuerung des spanischen Weltklerus bei. Als „qualifizierter Gewährsmann für die Neuevangelisierung“ (Papst Benedikt XVI.) verkörpert er ein zeitlos gültiges priesterliches Ideal: verankert in der Heiligen Schrift und angetrieben von der Leidenschaft für die Wahrheit.
Dass der Rat des Absolventen der Universität Alcalá, einer Elitehochschule des Goldenen Zeitalters, in Kirchenkreisen geschätzt wurde, trug ihm unter seinen Zeitgenossen den respektvollen Beinamen „der Lehrmeister“ ein. Seine Memoranden für das Konzil von Trient und mehrere Regionalsynoden weisen ihn als exzellenten Theologen und klugen Seelsorger aus, während die Publikationsliste auf einen kreativen Kopf schließen lässt: Erzbischof Fisichella lobte pars pro toto den Kinderkatechismus aus der Feder des Johannes von Ávila.
Johannes von Ávila bekam die Folgen der Inquisition zu spüren
Nicht, dass kirchliche Reformen Geistlichen im sechzehnten Jahrhundert weniger abverlangt hätten als heute. Teresa von Ávila (1515–82) beschrieb die Jahrzehnte nach der Kirchenspaltung als „harte Zeit“. Kein Wunder, griffen doch die von Kardinal Cisneros eingeleiteten Reformen, wie etwa die vorgeschriebene Sonntagspredigt und Katechese, nur zögernd. Unter den Gläubigen herrschte Unwissenheit. Auf die Frage, was die Dreifaltigkeit sei, antworteten manche: die Muttergottes, andere: die heilige Mutter Kirche.
Auch fromme und pflichtbewusste Seelsorger mussten mit empfindlichen Gehorsamsproben rechnen. Johannes von Ávila bekam die Folgen der Inquisition 1531 zu spüren: Eine seiner Predigten, die falsch interpretiert worden war, trug ihm zwei Jahre Kerker in Sevilla ein. Die Haft entpuppte sich als schöpferische Pause. Im Gefängnis verfasste er sein bekanntestes Werk „Audi, filia“, einen Klassiker der Spiritualität. Ob er während dieser Zeit auch mystische Erfahrungen sammelte, wie Saturnino López Santidrián (Burgos) vermutete, lässt sich heute schwerlich beweisen. Jedoch steht fest, dass Tod und Auferstehung fortan zu Leitmotiven in den Texten des Johannes von Ávila wurden. López Santidrián zufolge erweist sich der Maestro dabei als Kreuzestheologe mit dem positiven Grundtenor des Goldenen Zeitalters: Dem Kreuz als Kulminationspunkt der Verkündigung Christi haftet nichts Trauriges an. Auch liege aus Johannes' Perspektive keine Seele so unheilbar zerstört am Boden, dass die Frohe Botschaft sie nicht aufrichten und trösten könne, sofern sie bereit sei, sich der Barmherzigkeit Gottes zu öffnen. Die von der heiligen Faustina Kowalska im 20. Jahrhundert verbreitete Spiritualität der Göttlichen Barmherzigkeit sei hier bereits im Keim angelegt, so López Santidrián.
Spiritualität mit ausgeprägt kirchlicher Gesinnung
Im priesterlichen Alltag verschmolz diese Spiritualität mit einer ausgeprägt kirchlichen Gesinnung. Mitbrüdern auf Reisen besorgte der Heilige willig eine Zelebrationsgelegenheit. Aus Gehorsam gegenüber Erzbischof Alonso Manrique von Sevilla verzichtete er auf seinen Wunsch, angesichts des Evangelisierungsnotstands in Neuspanien als Missionar nach Mexiko zu gehen. Der von Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus geprägte Theologe sollte auf Wunsch des Erzbischofs in Andalusien wirken. Dort steckte die Ortskirche in der Krise: Nicht wenige Maurenchristen hatten sich ohne innere Überzeugung taufen lassen, in vielen Pfarreien lag das geistliche Leben am Boden, während mystisch Erleuchtete die Bedeutung der Sakramente geringschätzten.
Wie erkannte Johannes von Ávila trotz Enttäuschungen und Rückschlägen seine priesterliche Identität? In der Tradition der Propheten des Alten Testaments, antwortete López Santidrián in Anspielung auf das Jesajawort „Jerusalem, ich habe Wächter über Deine Mauern bestellt“. Der Priester habe seinen Platz als Prediger Christi oben auf dem Wachtturm, während das Volk schlafe. „Wenn der Posten auf dem Wachtturm blind ist oder schläft, wie soll er das Volk vor dem heranrückenden Feind warnen?“, zitierte er den Heiligen, der in einer Predigt das Bild vom Papst gebraucht, der die Wasserkaraffe in der Hand hält. Darin sind die Heilige Schrift und die Sakramente.
Bereit, sich für den Willen Gottes zu demütigen
Dabei bedeutet Predigt für Johannes von Ávila mehr als bloße Schriftauslegung, schon gar nicht Belehrung von oben herab. Aus ihr wächst übernatürliches Leben. López Santidrián verwies auf zehn Briefe des Johannes von Ávila, denen zufolge der Prediger geistliche Söhne zur Ehre Gottes zeugen soll. Eine Mission, um derentwillen Ignatius von Loyola Johannes von Ávila gern für die Gesellschaft Jesu gewonnen hätte. Auch wenn sich dieser Plan zerschlug, blieb der Maestro den Jesuiten zeitlebens freundschaftlich verbunden. Als gemeinsamen geistlichen Nenner der beiden Heiligen hob der General der Jesuiten, Arturo Sosa Abascal, das Prinzip der ignatianischen Spiritualität – „magis“ (mehr) hervor. Beide hätten sich nicht mit wenig begnügt, sondern seien bereit gewesen, sich für den Willen Gottes zu demütigen. Vom Willen Gottes zog der „Schwarze General“ die Linien zur synodalen Kirche aus. Auch in ihr sei „leadership“ Aufgabe der Kirchenführer. Diese müssten den Willen Gottes suchen und ergründen, damit das Volk Gottes die vom Heiligen Geist gewiesene Richtung einschlage. Zur Kernkompetenz der Kirchenführung gehöre darum die Gabe der Unterscheidung.
Sie kommt auch dem Bild zugute, das sich die Gläubigen von Johannes von Ávila machen. Pater Martín María Morales SJ, Direktor des Historischen Archivs der Päpstlichen Universität Gregoriana, erinnerte an Paul VI., der bei der Heiligsprechung 1968 das Bild des Heiligen korrigiert habe: Dieser sei nicht der kritische Widerspruchsgeist gewesen, der zeitweise aus ihm gemacht geworden sei, sondern ein klarsichtiger Mann, der Übel aufgezeigt, kanonische Gegenmaßnahmen vorgeschlagen und eine Schule intensiver Spiritualität gelehrt habe.
Unsachgemäßer Umgang mit Quellen
Dass der unsachgemäße Umgang mit den Quellen zu Schieflagen in der Rezeption des Johannes von Ávila geführt hat, steht für Morales außer Zweifel. Literarische Zusätze oder Versuche, das Original sprachlich zu modernisieren, erschwerten den Zugang zur Botschaft des Kirchenlehrers. So hätten manche Herausgeber durch nachträglich eingefügte Zwischentitel in den Memoranden vereinfachte Schlussfolgerungen begünstigt. Morales kritisierte, dass Geschichte als Vorwand instrumentalisiert werde, um Themen anzuschneiden, die Menschen heute beunruhigten. Als Beispiel nannte er den in einer Edition der „Memoriales“ zu lesenden Zwischentitel „Was vom Papst erwartet wird“, eine Formulierung, die sich in keinem Originaltext findet. Angesichts „solcher Formen der Leserführung mit dem Stock des Treibers“ sprach sich der Jesuit mit Nachdruck dafür aus, die Originaltexte zu lesen. Zur Dokumentensammlung Monumenta Concilii Tridentini der Gregoriana gehören zwei handschriftliche Exemplare des zweiten Memorandums, das Johannes von Ávila auf Bitten des Erzbischofs Pedro Guerrero von Granada über die Reform der Kirche für das Konzil von Trient verfasste. Es ist den Ursachen der Häresien und den Heilmitteln gegen Irrlehren gewidmet und für die kritische Edition digitalisiert und transkribiert worden. (gate.unigre.it)
Dass Konkordanzen zwischen dem Goldenen Zeitalter und dem 21. Jahrhundert ein heikles Thema sind, bestätigte Morales auch in der Diskussion mit dem Auditorium über den ignatianischen Führungsstil. „Können Jesuiten denn nur „leader“ ausbilden?“, fragte er. „Wer soll dann eigentlich ,follower‘ sein?“
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe