Würzburg

Ist die Corona-Epidemie die Strafe Gottes?

Die Frage wirkt auf den modernen Menschen provokativ, doch in der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte galt der strafende Gott lange als unstrittig. Nun ist die Debatte über die Strafen Gottes neu entflammt.
Theologische Deutung von Leid und Bösem
Foto: Rik Klein Gotink (Rik Klein Gotink for the Bosch R) | Der katholische Glaube lehrt: Gott ist ein gerechter Richter, der das Gute belohnt und das Böse bestraft. Die Moderne tut sich schwer mit der theologischen Deutung des Leids und des Bösen in der Geschichte.
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Naturkatastrophen, Seuchen und kollektiv wie persönlich erlittenes Schicksal wurde zu allen Zeiten auch religiös und theologisch gedeutet. Die Heilige Schrift erzählt vom Ringen Israels mit seinem Gott angesichts erlittenen Leidens; das Leiden Christi selbst findet nach der Überzeugung der Kirche eine Deutung in den Gottesknechtsliedern oder im Schicksal Hiobs. Das Leiden des Menschen und der Ratschluss Gottes sind in der Überlieferungsgeschichte nicht zu trennen. Aber straft Gott? Und straft er auch durch die Auferlegung zeitlichen Strafen wie Epidemien? Oder durch deren Zulassung? Was in der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte lange als unstrittig galt, wirkt auf den modernen Menschen – auch den Christen – als Provokation.

Auf die Äußerung des Churer Weihbischofs Eleganti, die einen Zusammenhang zwischen dem Glauben eines Volkes und seiner Betroffenheit von Corona herstellen wollte, wurde in der innerkirchlichen und säkularen Öffentlichkeit ebenso empört reagiert, wie auf ein Hirtenwort des Erzbischofs der russischen Auslandskirche in Deutschland, Mark Arndt, der die Epidemie als „gerechte Strafe Gottes für Sterbehilfe, Transsexualität, Abtreibungen und Leihmutterschaft“ bezeichnete.

„Pseudoreligiöse Verschwörungstheorien“?

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Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann warnt nun davor, die Corona-Epidemie als Strafe Gottes zu betrachten. Er bezeichnete diese theologischen Deutungen als „pseudoreligiöse Verschwörungstheorien“. Der Bischof erwartet durch die Krise vielmehr ein Umdenken der Menschen: Man befinde sich in ökonomischen Abhängigkeiten, die nun auch in Frage gestellt seien.

Der Mystiker Martin von Cochem konnte dagegen noch an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert den Beter das Handeln Gottes und seinen Weg mit Ihm betrachten lassen: „O Gott der Rache, der du die Übertretung deines Volkes mit allerlei Strafen heimzusuchen pflegst. O wie schwerlich haben wir deine Majestät beleidiget, dass du uns mit dieser schnell tötenden Krankheit heimsuchst und mit einem so schmerzvollen Tode züchtigst! Ist denn Niemand, o Herr, der deinen Zorn stillen und die Strafe von uns abwenden könnte? … Du hast ja ehedem wegen der Fürbitte deines Dieners David dich über dein Volk erbarmt und dem Würgengel befohlen, seine Hand einzuhalten.“

Aber mit der Wende zum 19. Jahrhundert veränderte sich das religiöse Empfinden. Wurden bis zur katholischen Aufklärung noch Messen und Prozessionen zur Abwendungen von Katastrophen und Seuchen gehalten, ist mit dem Aufkommen von Deismus und Idealismus auch die christliche Frömmigkeit im Westen karger in ihrer Rede von Gott geworden.

Die Unmittelbarkeit zu Gott löst sich auf

Die herrschenden Gottesbilder werden abstrakt, Zwischeninstanzen schieben sich ein, die Unmittelbarkeit zu Gott löst sich auf. Gott ist der Ferne, der mit unserem unmittelbar Erlebten in keinem Zusammenhang mehr steht, oder das, was Gott zukommt, wird von anderem aufgesogen: Kultur, Wissenschat, Staat. Die Religion verlagert sich auf die Moral und das subjektive Gefühl. Somit neigt man dazu, die Frage nach dem auch zeitlich strafenden Gott zu verneinen – oder sie wird „quietistisch“ auf einen Tun-Ergehen-Zusammenhang reduziert. Gott wird auch in der Krise als Möglichkeit wahrgenommen, nicht als Wirklichkeit.

Die Frage nach den zeitlichen Strafen, die Gott seinem Volk auferlegt, spielt dagegen im Alten und auch im Neuen Testament eine wesentliche Rolle. Der 1. Korintherbrief erinnert daran, dass Gott die untreuen Israeliten beim Durchzug durch die Wüste umkommen ließ: „Das aber geschah als warnendes Beispiel für uns: damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen, wie jene sich von der Gier beherrschen ließen.“ (Vgl. 1. Korinther 10, 5f.) Im Lukasevangelium mahnt Jesus selbst, dass seine Jünger alle ebenso umkommen werden wie die Anhänger Judas' des Galiläers, wenn sie sich nicht bekehrten. Judas Anhänger zogen sich den Zorn des Pilatus zu, da sie dem Kaiser die Achtung verweigerten.

Nach Cyrill von Alexandrien und Johannes Chrysostomos, die Thomas von Aquin in der Catena aurea anführt, ließ Gott diese Strafe zu, „damit die Lebenden, angesichts des schreckenerregenden Beispiels anderer, Erben des Reiches würden.“ Womit nicht gesagt sei, sie hätten den Tod erlitten, „weil sie schlimmer gewesen seien als diejenigen, die solches nicht erlitten hatten.“ Aber für diejenigen, die es sehen, sei es ein Anknüpfungspunkt, das Heil zu erlangen.

„Alles was geschieht, wird von Gott vorausgesehen“

Das heutige Missbehagen gegenüber der Vorstellung des durch Krieg und Naturkatastrophen richtenden Gottes sieht der italienische Historiker Roberto de Mattei dagegen in dem Einfluss Hegels motiviert, der die Urteile Gottes über die Geschichte durch die Urteile der Geschichte ersetzt habe. Dabei sei die Geschichte für den Christen jedoch eine Kreatur Gottes: „Alles, was in der Geschichte geschieht, wird von Gott für alle Ewigkeit vorausgesehen, reguliert und angeordnet.“

De Mattei antwortete damit in einem Vortrag unter anderem dem Mailänder Alt-Erzbischof Angelo Kardinal Scola, der die Vorstellung, Gott benutze den Coronavirus als „Element der Rache“, zurückwies. Nach Scola gehöre die Vorstellung von einer göttlichen Bestrafung nicht zur christlichen Vision – „auch nicht in so einer dramatischen Situation, wie wir sie gerade erleben.“ Natürlich sei das ein komplexes Thema, aber Gott greife nicht zur Bestrafung, um uns zu bekehren, so Scola weiter.

De Mattei führt dagegen Bernardin von Siena und andere Autoren an, die warnten, dass Naturkatastrophen im Laufe der Geschichte immer die Untreue und den Abfall von Nationen begleitet hätten. Auch die Liturgie der Kirche richte Bitten an Gott, dass er das Volk von Hunger, Pest und Krankheiten befreie, wie beispielsweise in den Bittlitaneien.

Sich der Allmacht und Liebe Gottes anvertrauen

Auch wenn die jüngeren Päpste zurückhaltend sind, Naturkatastrophen oder Kriege in den Zusammenhang mit dem Richten Gottes zu bringen, erinnerte Pius XII. im Kriegsjahr 1941 in seiner Radioansprache „In questa solennitá“ an den – so wörtlich – „göttlichen Chirurgen“: „Auf Gott vertrauen heißt, sich mit der ganzen Kraft seines von der Gnade und Liebe gestützten Willens der Allmacht, der Weisheit und der unendlichen Liebe Gottes anheimstellen.“ Wenn nichts Großes oder Kleines geschieht, das Gott nicht vorhersähe, hieße es zu glauben, „dass Gott bisweilen Prüfungen über Einzelmenschen und Völker hereinbrechen lässt, deren Werkzeug die Bosheit der Menschen ist, um gemäß den Forderungen der Gerechtigkeit die Sünden zu bestrafen.“ Das habe aber in Wirklichkeit den Zweck, „Einzelmenschen und Völker zu läutern in der Sühneleistung des zeitlichen Lebens und sie so zu Gott zurückzuführen. Wie schmerzlich auch die Hand des göttlichen Chirurgen empfunden werden mag, wenn er mit dem Messer ins lebendig Fleisch schneidet, so führt doch stets tätige Liebe diese Hand, und nur das wahre Wohl der Einzelmenschen und Völker veranlasst ihn zu diesen schmerzlichen Eingriffen.“

Die Frage nach der Vereinbarkeit des unbedingt liebenden Gottes und dem Schicksalsschlägen, die der Mensch der Moderne nicht mehr in Zusammenhang bringt, da Gott ihm mehr Option ist, nicht Grund und Ziel seiner Existenz – und sei es als Schöpfer und Richter.

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