Es ist ein ungewöhnlicher Schritt: Nachdem die Glaubenskongregation auf Wunsch von Papst Franziskus 2020 eine Befragung der Bischöfe über die Anwendung des Motu proprio "Summorum pontificum" durchgeführt hatte, analysiert nun die Französische Bischofskonferenz die Rückmeldungen ihrer Diözesen. Die Bilanz (www.paixliturgique.com) gibt eine deutliche Stoßrichtung vor. Schon rein materiell ist die Auflistung der negativen Aspekte des Motu proprio mit namenlosen Zitaten von Bischöfen dreifach so lang wie jene der positiven. Der Schlusssatz jedoch ist offenbarend. Die Maßnahme des Papstes werfe "letztlich mehr ekklesiologische als liturgische Fragen" auf.
Debatte erinnert an die der 70er Jahre
Zuvor liest man, dass "eine große Zahl der Gemeinschaften, die in der forma extraordinaria zelebrieren, ihre Kritik oder gar Missachtung des II. Vatikanischen Konzils nicht verbergen", was angesichts vieler Stellungnahmen verschiedener Oberer dieser Gemeinschaften eine böswillige Unterstellung ist. Der Text legt nahe, dass man unter der rechten Umsetzung des Konzils schlicht jene versteht, wie sie de facto erfolgt ist. In einer solchen Perspektive "berauben sich die Gläubigen" in der außerordentlichen Form "des liturgischen Reichtums" der Reform. Differenzierte Kritik wird also nicht zugelassen; Abweichungen sind ein Angriff gegen eine solchermaßen konstruierte kirchliche Einheit: "Die Eucharistie, die versammeln soll, trennt." Man fühlt sich in die Debatten der 70er Jahre zurückversetzt.
Zwar gibt der Text zu, das Motu proprio habe die liturgischen Grabenkämpfe der letzten Jahrzehnte beruhigt, knüpft aber auch hier die kritische Frage an, "ob diese ,Ruhe' nur eine gute Nachricht sei: Man hätte hoffen können, dass ein Dialog über die inhaltliche Übereinstimmung mit der Lehre des Konzils beginne." Bedeutet das im Ernst, dass die Lehre des II. Vatikanums nur in der forma ordinaria liturgisch und kirchlich angenommen und gelebt werden kann? Offenbar darf nur diese Form in exklusiver Weise gefeiert werden, die forma extraordinaria erscheint als lehrmäßig nicht "up to date". Papst Benedikt scheint sich geirrt zu haben, wenn er lehrt, dass es "keinen Widerspruch zwischen der einen und der anderen Ausgabe des Missale Romanum" gibt.
Beide Messformen gehören zur katholischen Kirche
Joseph Ratzinger war sich bereits seit den 1970er Jahren bewusst, dass die Frage der Weitergeltung der traditionellen Liturgie eine ekklesiologische ist. Es geht um die eine Kirche, die im Lauf ihrer Geschichte wesentlich mit sich selbst identisch bleibt. Wenn die Bischofskonferenz nun bemerkt, das Motu proprio führe zu einem Verständnis der Liturgie "nach persönlichem Geschmack", zu "zwei Kirchen", dann wollte Papst Benedikt genau dies ausschließen. 2001 hatte Kardinal Ratzinger in Fontgombault die Frage gestellt, wie man die traditionelle Form der Messe fördern und neben der neuen bestehen lassen könne, ohne zu einer Kirche " la carte" zu kommen, was "wirklich die Struktur der Kirche verletzen [könnte]".
Damals suchte er noch ein objektives Kriterium der Ermöglichung beider Formen. Er fand es im Motu proprio mit der Formulierung der "zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus". Dies meint keine Übereinstimmung der Feiergestalt, sondern die römische Kirche erkennt beides als das aktuell Ihre, und beides bleibt aufeinander bezogen. Beide Formen können sich entwickeln. Geeint aber sind sie durch die lex credendi der Kirche, die natürlich auch die Lehren des II. Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Lehramtes im Licht der gesamten Tradition einschließt.
Nicht nur die Liturgie ist für die Theologie entscheidend
Man will offensichtlich keine fraglose Großzügigkeit. Obwohl die Instruktion "Universae Ecclesiae" schon die nötige Klärung bringt, diskutiert man über "die stabile Gruppe von Gläubigen", die ein Recht auf diese Liturgie haben. Der Text gibt zu, dass sich hier "junge, kinderreiche Familien" finden, unterstellt aber diesem Bereich der Kirche zugleich "eine schwache missionarische Dimension", obwohl allein die jährliche Wallfahrt nach Chartres mit bis zu 15 000 Teilnehmern starke Beachtung findet.
Ein Vorwurf lautet, die liturgische Ausbildung in den Gemeinschaften der forma extraordinaria sei "rituell und nicht theologisch". Dahinter versteckt sich eine alte Kontroverse über das rechte Verhältnis von Liturgie und Theologie. Der Mainstream der Liturgiewissenschaft sieht die Liturgie selbst als theologia prima. Aus Gottes gegenwärtigem Handeln ist die Liturgie "Quelle der Theologie schlechthin" (Jeggle Merz). Wenn hier auch unleugbar Richtiges ausgesagt wird, so ist dies nicht mehr dasselbe wie die theologische Erklärung der Liturgie selbst. Liturgie als theologia prima kann zuweilen zur uferlosen Spekulation am Ritus vorbei führen.
Ritus wird als verzichtbar angesehen
Genauer gesagt relativiert diese Übertheologisierung der Liturgie bewusst das menschlich-kirchliche Handeln im Ritus. Wichtig sei, dass Gott handele, dass die Kirche sich versammle; der Ritus selbst wird rein kontingent. Er erscheint gerade nicht mehr als "gestaltgewordener Ausdruck der Ekklesialität und der geschichtsüberschreitenden Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Betens und Handelns" (Ratzinger), sondern muss vor dem theologischen priori der jeweiligen Zeit bestehen können. Man versteht, warum die traditionelle Form plötzlich als veraltet gelten kann.
Das Dokument verkennt, dass "Summorum pontificum" nicht nur eine legitime Form christlicher Nachfolge rechtlich absichern, sondern vor allem die Kirche mit ihrer Vergangenheit versöhnen und einen theologischen Bruch heilen will. Vieles, was sich seitdem gut entwickelt hat, setzt man damit aufs Spiel.
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