Auch drei Wochen nach dem unrühmlichen Abgang von Kardinal Giovanni Angelo Becciu (siehe DT vom 1. Oktober) hat der Vatikan noch nicht die geringsten Angaben dazu gemacht, was dem in päpstliche Ungnade gefallenen ehemaligen Präfekten für die Selig- und Heiligsprechungen angelastet wird. Auch der Inhalt des etwa halbstündigen Gesprächs, das Franziskus am Montag mit Kardinal George Pell geführt hat, blieb im Dunkeln. Als ehemaliger Präfekt des Wirtschaftssekretariats hatte Pell herausgefunden, dass aus Mitteln des „tesoretto“, des „kleinen Schatzes“ im vatikanischen Staatssekretariat, Zahlungen an ausländische Fonds und Spekulanten gegangen waren. Als Pell die finanziellen Reserven des Staatssekretariats unter Kontrolle bekommen wollte, kam es zum Streit mit dem damaligen Substituten Becciu. Dass dieser wiederum Geld nach Australien überwiesen haben soll, um das Missbrauchsverfahren gegen Pell zu dessen Lasten zu beeinflussen, ist das böseste Gerücht, das über Becciu bisher zu lesen und zu hören war. Ob aber jetzt Franziskus mit dem rehabilitierten Australier darüber gesprochen hat, bleibt ein Geheimnis zwischen den beiden. Der Anwalt von Becciu, Fabio Viglione, hat jedenfalls schon vor einer Woche erklärt, dass es von Seiten seines Mandanten „nie eine Einflussnahme auf den Prozess gegen Kardinal Pell gegeben hat“.
Dafür hat der Anwalt von Kardinal Pell, Robert Richter, die australischen Behörden dazu aufgefordert, mögliche Geldflüsse vom Vatikan nach Australien in der Zeit des Prozesses gegen Pell aufzuspüren und bekannt zu machen. Italienischen Presseberichten zufolge sollen in den vergangenen Jahren etwa siebenhunderttausend Euro von Vatikankonten in die Heimat Pells geflossen sein. Die Geldüberweisungen seien angeblich in einem Dossier mit Beweisen dokumentiert, das von Ermittlern und Staatsanwälten des Vatikans gegen Becciu zusammengestellt worden sei, berichteten italienische Medien. Kardinal Pell war im Sommer 2017 in seine Heimat zurückgekehrt, um sich persönlich dem Missbrauchsprozess zu stellen. Becciu war dann noch bis Mitte 2018 Substitut im Staatssekretariat. Dann trat er sein Amt als Präfekt für die Heiligsprechungen an und der Papst machte ihn zum Kardinal.
Hat Becciu versucht durch Bestechung Pell hinter Gitter zu bringen?
Neben diesem bösen Gerücht, für das aber keinerlei Beweise öffentlich gemacht worden sind, kursieren derzeit fast zahllose Nachrichten über Finanzspekulationen und Geldtransfers des vatikanischen Staatssekretariats in der Zeit des Substituten Becciu, die zwar als bizarr und erstaunlich zu bezeichnen sind, denen aber ein wirklich kriminelles Element fehlt.
Schon die Zahlung von hunderttausend Euro an die diözesane Caritas des Heimatbistums Beccius auf Sardinien, deren operativer Arm eine von dem Bruder des Kardinals geführte Kooperative ist, erwies sich nicht als Straftat, da der dortige Bischof mitteilen ließ, dass diese Gelder immer noch auf den Konten der Diözese liegen. Und dass das Staatssekretariat einer diözesanen Caritas finanziell unter die Armen greift, klingt nicht nach einem Kapitalverbrechen, sondern hat allenfalls ein gewisses „Geschmäckle“, da ausgerechnet der Bruder des verantwortlichen Kurienprälaten irgendwann mit diesem Geld arbeiten soll.
Für Kopfschütteln sorgten auch die Veröffentlichungen über Zahlungen aus dem Staatssekretariat an eine ganz außergewöhnliche „Beraterin“, die 39 Jahre alte Italienerin Cecilia Marogana, die eine kleine, etwas undurchsichtige Firma in Slowenien betreibt. An diese Firma soll eine halbe Million Euro aus den Kassen des Staatssekretariats für nicht näher genannte „diplomatische Missionen“ in Afrika geflossen sein, zu dem Zweck, Attentate auf Nuntiaturen und Missionsstationen zu verhindern. Die Dame hatte diese Zahlungen in bunten Interviews bestätigt. Und der Anwalt Beccius, der bereits zitierte Viglione, ließ in seiner Erklärung nur knapp verlauten, „die Kontakte mit Cecilia Marogna betreffen ausschließlich institutionelle Fragen“. Dass die von den Medien als „Dame des Kardinals“ getaufte Frau dann am Dienstag auf Antrag der vatikanischen Staatsanwaltschaft in Mailand von der Finanzpolizei verhaftet wurde, wirft nochmals ein schräges Schlaglicht auf die „Partner“ des Staatssekretariats.
Spekulative Derivatgeschäfte des Vatikan
Auch dass Journalisten der „Financial Times“ mit der Meldung aufwarteten, das Staatssekretariat habe sich an sehr spekulativen Derivatengeschäften beteiligt, bei denen es um Ausfallrisiken von Anleihen, Krediten oder Schuldnern ging, konkret um die Kreditwürdigkeit des Autovermieters Hertz, ist pikant, da Papst Franziskus selber 2018 diese sogenannten „Credit Default Swaps“ als „unethisch“ verurteilt und als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet hatte. Aber unter Strafe steht das auch nicht.
Die vatikanische Staatsanwaltschaft muss nun nachweisen, dass Papst Franziskus seinen einstigen Vertrauten Becciu zu Recht das Präfektenamt und die Rechte eines Kardinals genommen hat – die schlimmste Strafe, die seit Menschengedenken einem amtierenden Kurienkardinal auferlegt wurde. Medien nennen schon den Hauptbelastungszeugen: Den sechzig Jahre alten Prälaten Alberto Perlasca, der von 2009 bis 2019 Leiter der administrativen Sektion des Staatssekretariats und damit einer der engsten Mitarbeiter Beccius war. Er soll die fragwürdigen Finanztransaktionen für den Substituten ausgeführt haben, bis er im Sommer 2019 von Franziskus an den Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur (straf)versetzt wurde. Prälat Perlasca scheint nun vor den vatikanischen Ermittlern über das „System Becciu“ auszusagen.
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