Juristische Verfahren laufen eigentlich anders. Zuerst kommt die Anklage – etwa einer Staatsanwaltschaft –, dann hat die Verteidigung das Wort, am Ende fällen Richter das Urteil. In der causa Becciu lief es genau andersherum: Zuerst verkündete der Richter, in diesem Fall der Papst selbst, das Urteil, das der vatikanische Pressesaal mit einer knappen Mitteilung öffentlich machte: Verlust des Amtes und der Rechte als Kardinal. Eine harte Strafe, die es so noch nie gegeben hat. Dann kam das Plädoyer des Verteidigers. Kardinal Giovanni Angelo Becciu musste diesen Part selbst übernehmen.
Normaler Nepotismus
Die Journalisten, die er am Tag nach der Urteilsverkündung hatte zusammenrufen lassen, waren etwas baff: Wenn es stimmt, was der entlassene Präfekt für die Heiligsprechungen sagte, handelte es sich um einen gemäßigten Akt von Nepotismus – im Vatikan wie in der ganzen Kirche zwar verboten, aber in der Kurie so üblich wie die Bettelei rund um den Petersplatz. Wenn man die Härte des Urteils über Becciu auf alle Kurialen anwenden würde, müsste da eine ganze Menge an violett und rot gekleideter Herren in Sack und Asche gehen. Was jetzt noch fehlt ist die Anklage, das Plädoyer des (vatikanischen) Staatsanwalts. Den ersetzen bisher noch die italienischen Medien, mit immer neuen Enthüllungen über angebliche Misswirtschaft im Vatikan, bei der Becciu als damaliger Substitut im Staatssekretariat eine zentrale Rolle gespielt haben soll.
Bizarrer Vorgang
Ein beispielloser und bisher bizarr verlaufener Vorgang. Seit bald acht Jahren weiß man, dass das Finanzgebaren des Vatikans einer strengen Reform bedarf. Deshalb, so meldete sich jetzt Kardinal George Pell zu Wort, habe man Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt. Und dieser machte sich als Franziskus auch gleich ans Werk. Eine Kommission wurde einberufen, COSEA genannt, die das Wirtschaften hinter den heiligen Mauern auf Herz und Nieren untersuchen sollte. Die Folge war der Prozess Vatileaks II, Akten der COSEA waren bei Enthüllungsjournalisten gelandet.
Nichts geändert
Dann kam das Wirtschaftssekretariat unter Kardinal Pell, es erhielt weitreichende Vollmacht, die der Papst selber dann aber Stück für Stück wieder einkassiert hat. Stattdessen berief er später zwei Vertraute in für die Vatikanfinanzen entscheidende Ämter: Den ehemaligen Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz, Nunzio Galantino, machte er zum Chef der Vermögensverwaltung des Heiligen Stuhls (APSA), und den Jesuiten und Ökonom Juan Antonio Guerrero Alves zum Nachfolger Pells im Wirtschaftssekretariat. Doch so richtig geändert hat sich in den vergangenen sieben Jahren eigentlich nichts.
Diese Wochen flogen die Inspektoren der Anti-Geldwäsche-Kommission Moneyval des Europarates aus Straßburg in Rom ein, um zwei Wochen lang die Fortschritte des Vatikans im Kampf gegen zwielichtige Geldgeschäfte und Terrorfinanzierung zu untersuchen. Vor diesen Herren hat Franziskus einen Mordsrespekt. Sie werden beurteilen, inwiefern der Vatikan wieder ein zuverlässiger Finanzplatz ist. Ob der Papst ihnen auf dem Silbertablett schon mal den Kopf des vermeintlichen Übeltäters Becciu präsentieren wollte? So wird spekuliert. Das passiert, wenn man keine ordentlichen Prozesse führt.
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