Mailand

Im Blickpunkt: Eine Frage der priesterlichen Identität

Die spirituelle Dimension des Corona-Virus hat bisher kein Kleriker angefasst. Die Kirche des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hätte anders gehandelt.
Touristen fotografieren sich mit Mundschutz vor dem Mailänder Dom.
Foto: Claudio Furlan (LaPresse via ZUMA Press) | Touristen fotografieren sich mit Mundschutz vor dem Mailänder Dom.

Wenn in Italien Streiks verlegt werden, dann muss es ernst sein. Seit dem Wochenende hat der Ausbruch des Coronavirus den Norden des Landes im Griff. Das hat nicht zuletzt für den religiösen Alltag des katholischen Landes Konsequenzen. Das Erzbistum Mailand hat alle religiösen Dienste ausgesetzt. Dasselbe gilt für das Patriarchat Venedig. Das bedeutet: keine Messen, keine Taufen, keine Firmungen. Die Kirchen sind für die einzelnen Gläubigen offen, mancherorts sollen die Leute nur gestaffelt eintreten. Aschermittwochsmessen wurden über Youtube übertragen. Francesco Moraglia, der Patriarch von Venedig, appellierte an die Verantwortung der einzelnen Bürger und bat darum, nicht in Panik zu verfallen.

Die Reaktion auf das Virus ist eine rein weltliche

Vorneweg sei gesagt: die Kirche in Italien kann sich kaum gegen Verordnungen der Regionalregierung wehren. Schulen, Museen, Theater und Universitäten wurden geschlossen. Die Causa unterstreicht jedoch einen bemerkenswerten Mentalitätswandel. Denn die Reaktion auf das Virus ist eine rein weltliche, die Statistiken, Verordnungen und Risiken abwägt. Die spirituelle Dimension hat bisher kein Kleriker angefasst. Die Kirche des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hätte anders gehandelt: Die hätte die Krise umarmt, statt sie zu meiden. Die Unterschiede offenbart bereits das Messverständnis. Im Angesicht von Seuche und Tod hätte die alteuropäische Kirche eher mehr Messen denn weniger zelebriert – in Form der Stillen Messe, die in den Seitenkapellen eines Gotteshauses parallel zelebriert werden konnte.

Papst Gregor der Große scheute sich nicht, während der Justinianischen Pestwelle in Rom eine große Messe in Santa Sabina zu abzuhalten. In seiner Predigt unterstrich er den allgegenwärtigen Tod, ermunterte andererseits dazu, Gott anzuflehen, die Plage von der Stadt zu nehmen. Darauf folgte eine Bittprozession des gesamten römischen Volkes, barfuß und die Häupter in Asche getaucht. Die Pest endet mit der Erscheinung des Erzengels Michael über dem Mausoleum des Kaisers Hadrian, das ab diesem Zeitpunkt als Engelsburg bekannt ist.

Eine persönliche Herausforderung für den Klerus

Die gregorianische Legende ist der Prototyp des Umgangs der Katholischen Kirche mit Massenepidemien. Der heilige Karl Borromäus war Erzbischof von Mailand, als dort die Pest ausbrach. Statthalter und Adel flohen aus der Stadt, doch der Erzbischof blieb, weil er den Dienst an den Kranken und Sterbenden für unersetzlich hielt. Als die Pest im Jahr 1630 in Venedig wütete, gelobte der Doge Nicolò Contarini der Madonna eine große Kirche zu bauen, wenn diese bald beendet würde. Die gesamte Bevölkerung Venedigs zog in einer Bittprozession drei Tage und drei Nächte durch die Stadt, um für ein Ende der Plage zu beten. Als die Seuche tatsächlich endete, lösten die Venezianer ihr Versprechen ein. Bis heute findet alljährlich am 21. November eine Prozession statt, die an der Kirche Santa Maria della Salute endet.

Epidemien waren zugleich eine persönliche Herausforderung für den Klerus. Priester sahen ihre Bestimmung darin, nicht die Ansteckung zu verhindern, sondern die Sterbenden sicher ins Himmelreich zu führen. Das galt nicht nur in Zeiten der Pest, als Priester in Seuchengebieten die Sakramente spendeten, sondern auch für den Dienst in Leprakolonien oder den Typhusbaracken von Konzentrations- und Internierungslagern. Die passive Rolle, welche die Kirche heute spielt, wäre den damaligen Prälaten unverständlich gewesen.

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