Vatikanstadt

Halbchinese als roter Papst

Franziskus ruft Kardinal Luis Antonio Tagle nach Rom, der als heißer Papst-Kandidat ins nächste Konklave einziehen dürfte.

Bestellt Papst Franziskus seine Nachfolge? Als am Sonntag, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis – ein Tag, an dem der Vatikan normalerweise keine Personalentscheidungen bekannt gibt –, die Nachricht die Runde machte, dass der philippinische Kardinal und Erzbischof von Manila Luis Antonio Tagle Hausherr in der Missionskongregation „Propaganda fide“ wird, dachten viele dasselbe: Hier wird ein Mann in den Kreis der in Rom residierenden Kardinäle eingeführt und bekannt gemacht, den sich Papst Bergoglio auch als seinen natürlichen Erben vorstellen könnte. Von europäischer Warte aus kommt Tagle „vom anderen Ende der Welt“, von der Peripherie der Kirche. Er tritt nicht auf als Kirchenfürst, sondern hat den „Geruch der Schafe“. Er ist ein Kirchenmann, der mit seiner starken Ausstrahlung die Zuhörer auch bei Massenveranstaltungen für sich einnehmen kann. Mit Rom und der Kurie hat er auch in Studienzeiten nie etwas zu tun gehabt – dagegen führte ihn die Promotion in Theologie für vier Jahre an die „Catholic University of America“ in Washington. Und er ist ganz und gar ein „Schüler“ des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Schon beim Konklave von 2013 war er ein Kandidat: der damals erst 55 Jahre „junge“ Erzbischof von Manila, den Benedikt XVI. im November 2012 in den Kardinalsstand erhoben hatte. Tagle fiel in Rom sofort auf – wegen seiner frischen, freudigen, aber auch emotionalen Art. Unvergessen, wie er bei der Entgegennahme des Kardinalshuts vor dem deutschen Papst vor lauter Rührung in Tränen ausbrach. Bei der Papstwahl, die Kardinal Jorge Mario Bergoglio in Weiß verließ, galt der Philippine noch als Geheimtipp – nicht zuletzt, weil seine Mutter Chinesin ist: Viele schauten damals mit großen Hoffnungen auf die Kirche im Reich der Mitte, hatte Benedikt XVI. mit seinem Brief an die Katholiken Chinas im Jahr 2007 doch die Aufmerksamkeit der ganzen Kirche auf dieses vorchristliche Riesenland gelenkt, das, würde es sich in Zukunft mehrheitlich zum Christentum bekehren, die Physiognomie der Catholica völlig verwandeln würde.

Vor allem aber war mit seiner Ernennung zum Erzbischof von Manila im Oktober 2011 und seiner Aufnahme in das Kardinalskollegium ein Jahr später sein bereits 2005 veröffentlichtes Buch „The Easter People“ (Die österlichen Menschen) bekannt geworden, das dann 2014 auch auf Deutsch mit dem Titel „Glaube, Liebe, Hoffnung“ (Fe-Verlag) erschienen ist. Manche nannten es ein „Manifest der Kirche des 21. Jahrhunderts“ oder sahen darin ein Kursbuch der Evangelisierung, weil es sich nicht in geringster Weise mit Streitfragen wie Zölibat und Frauenweihe oder Sexualmoral und Aufwertung der Laien befasst, sondern mit mitreißender Begeisterung für die Wiederentdeckung des Wesentlichen ausspricht, für ein Leben mit Christus, von dem die Getauften in solidarischer Gemeinschaft Zeugnis ablegen.

Nun ist Kardinal Tagle schon einmal in Rom angelangt: als „roter Papst“, nicht als weißer. Aber der Präfekt der „Propaganda fide“ gehört zu den bedeutenderen Posten, die in der Kurie zu besetzen sind. Als „schwarzer Papst“ gilt in Rom der Jesuitengeneral, weil er einen weitverzweigten Eliteorden kommandiert.

Und als „roten Papst“ – wegen seines roten Kardinalsgewands – tituliert man den Präfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, weil er über die nicht selbstständigen Kirchenregionen, die noch als Missionsgebiete gelten, das Sagen hat und ihm nicht nur die dortigen Seminare und Hochschulen unterstehen, sondern er neben den Geldmitteln von allein vier Päpstlichen Missionswerken auch über einen beeindruckenden Fundus an Immobilien verfügt, die ihm als „Kriegskasse“ dienen.

Wenn die Kurienreform doch so wie in den Grundzügen geplant das Licht der Welt erblicken sollte, wird die Kongregation Tagles – und nicht mehr wie bis jetzt das Dikasterium für die Glaubenslehre – die ranghöchste Vatikanbehörde sein, zuständig für Mission und die Evangelisierung.

Im neuen Amt, das er im kommenden Januar antritt, ersetzt Tagle Kardinal Fernando Filoni, der als Großmeister des Ordens der als Grabesritter bekannten Ritter vom Heiligen Grabe zu Jerusalem den in den Ruhestand gehenden Kardinal Edwin Frederick O'Brien ablöst.

Filoni war unter Benedikt XVI. Substitut im vatikanischen Staatssekretariat und wechselte 2011 an die Spitze der Missionskongregation. Filoni hätte als Präfekt der „Propaganda fide“ erst im April 2021 die Altersgrenze erreicht. Dass er jetzt schon den Platz für Tagle räumen muss, interpretieren manche so, dass Franziskus große Pläne mit dem smarten Philippino hat – und das schon sehr bald.

Tagle ist seit 2015 Präsident der „Caritas Internationalis“, dem Dachverband für 165 nationale Caritasverbände. Als solcher folgte er ganz der Linie von Papst Franziskus: Offenheit gegenüber Migranten, eine Kirche an der Seite der Armen, der Primat der Pastoral vor der Dogmatik – obwohl Tagle in seiner Bischofskonferenz Vorsitzender der Glaubenskommission ist und bald war. Als Erzbischof von Manila hat sich Tagle ganz hinter das Papstschreiben „Amoris laetitia“ gestellt, wie sich auch die Bischofskonferenz der Philippinen für einen der weitesten Interpretationsrahmen bei der Kommunionzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen entschied.

Auf der anderen Seite ist der Halbchinese Tagle ein entschiedener Befürworter des Kampfs der Kirche gegen Abtreibung und Empfängnisverhütung und das, was er einen „praktischen Atheismus“ nennt.

Sein Buch „The Easter People“ beginnt Tagle mit einem überaus kritischen Blick auf die heutige Welt, spricht von einer „elitären“ oder „neoliberalen Globalisierung“ und kam mit seiner Verurteilung des modernen Turbokapitalismus der Wirtschaftskritik sehr nahe, die später auch Papst Franziskus formulieren sollte. Es gebe heute eine neoliberale Kultur, schreibt er, „die in alle Richtungen exportiert und als die einende Kraft schlechthin dargestellt wird: eine Kultur, die die ganze Menschheit einen wird, die aus uns eine einzige große Gemeinschaft macht“. Er beschreibt genau das „einförmige Denken“, das auch Franziskus beklagt und das völlig ohne religiöse Werte auskommt. Diese „globale Kultur“ sei laut Tagle „sehr neuheidnisch in ihren Grundlagen und auch sehr stark beeinflusst von den postmodernen Werten: sehr säkular, sehr individualistisch, sehr wettbewerbsorientiert und sehr materialistisch“. Misstrauen und Respektlosigkeit nähmen mit ihr zu, der Jugend fehlten Ideale und Visionen, was am Ende zu Langeweile und dem Ausbruch purer Gewalt führe.

Dem stellt Tagle eine Vision des Christlichen gegenüber, das nicht aus einer individualistisch gelebten Frömmigkeit besteht, sondern eine gemeinschaftliche Erfahrung ist: „Als christliche Gemeinschaft müssen wir die Kraft der österlichen Botschaft wiederentdecken, wir müssen sie zurückerobern und sie uns neu aneignen als das zentrale Element unseres Glaubens, als Hoffnung allen Lebens. Es ist das wirkungsvollste Zeichen unseres Glaubens, das alles verwandeln kann, unser Leben, unsere Kirche, unser Land und unsere Welt. Gerade die Berichte über die Auferstehung in der Heiligen Schrift können uns helfen, mit neuer Klarheit zu sehen, wie der Glaube an den auferstandenen Herrn Gemeinschaft entstehen lässt.“ Dieses „Zurück zu den Wurzeln“ mag etwas evangelikal klingen – „kurial“ oder gar klerikal ist es jedenfalls nicht.

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