Vor 200 Jahren, im Januar 1822, erklärte die griechische Nationalversammlung, die sich im Dezember 1821 gebildet hatte, Griechenland für unabhängig und verkündete eine Verfassung. Eine mehrere hundert Jahre dauernde Epoche der Fremdherrschaft ging zu Ende. Seit der Osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 war das orthodoxe Griechentum im östlichen Mittelmeer fast ganz unter islamische Kontrolle geraten.
Christen praktizierten weiter ihren Glauben
Dieser Prozess hatte bereits viel früher begonnen. Die Schlacht von Manzikert (heute Malazgirt) 1071 war ein Schlüsselereignis für das türkische Vordringen nach Kleinasien, dessen Westen fast ganz christlich-griechisch war. Damals fügten die muslimischen Seldschuken dem Byzantinischen Reich eine entscheidende Niederlage zu. Dieser Dammbruch führte zwar noch nicht zur sofortigen vollständigen Eroberung Kleinasiens, wohl aber zur stetigen Durchdringung des Raumes mit turkstämmigen Nomaden.
Es kam zur Entstehung kleiner türkischer Fürstentümer, die sich im Zeichen des Islams immer weiter nach Westen auf Kosten des Byzantinischen Reiches ausdehnten. Als wichtigstes und bald mächtigstes unter diesen Grenzfürstentümern kristallisierte sich das des Osman und seiner Dynastie heraus, der Nukleus des Osmanischen Reiches. Dieses stieg im 15. Jahrhundert zur Großmacht auf, als der Islam im Westmittelmeer gegen die katholische Reconquista längst auf dem Rückzug war.
Identität bewahrt
Auch nach der Einnahme Konstantinopels und fast aller anderen christlichen Regionen griechischer Prägung lebten Griechen, die ihre Sprache und auch ihre Religion behielten, unter türkisch-islamischer Herrschaft. Der griechische Klerus war auch für die anderen Ethnien orthodoxen Glaubens im Osmanenreich zuständig.
So bewahrten die Griechen weiter ihre Identität, die Phanarioten (benannt nach dem Stadtteil Phanari, heute Fener) – die privilegierten griechischen Bewohner von Istanbul, wie Konstantinopel unter den Türken hieß – spielten eine wichtige Rolle und bildeten eine Elite unter den zahlreichen Christen des Osmanenstaates.
Doch als Ende des 18. Jahrhunderts die Großmachtrolle der Türkei ernsthaft durch die europäischen Mächte infrage gestellt wurde, erwachten auch bald die verschiedenen Ethnien des Osmanischen Reiches, allen voran die Christen unter ihnen. Serben und Griechen erhoben sich in den ersten Jahren und Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Der 25. März 1821, Tag des Beginns der griechischen Revolution, ist heute der griechische Nationalfeiertag. Wenn auch bereits 1822 ein griechischer Staat proklamiert werden konnte, bedeutete dies nicht das Ende des Unabhängigkeitskrieges.
Befreiung der Wiege abendländischer Kultur
Krieg um die griechische Unabhängigkeit wurde freilich zunehmend auch zwischen den christlichen Mächten Europas und dem Osmanischen Reich geführt, schien doch die Befreiung der Wiege der abendländischen Kultur eine europäische Aufgabe. Entscheidender Durchbruch war dabei die Schlacht von Navarino 1827, in der die türkisch-ägyptische Flotte vernichtet wurde.
Die Osmanen mussten jetzt die griechische Souveränität akzeptieren und formell anerkennen. Während des griechischen Aufstandes kam es zu Grausamkeiten auf beiden Seiten – etwa der Griechen gegen Türken auf der Peloponnes-Halbinsel, die viele Menschenleben kosteten, und türkische Massaker an Griechen auf der Insel Chios im April 1822, als auch viele Christen in die Sklaverei verschleppt wurden. Dies belastete die Beziehungen zwischen Griechen und Türken schwer.
Nachdem das entstehende Griechenland zuerst eine Art Republik gewesen war, beschlossen die europäischen Mächte 1832 infolge der instabilen Lage nach der Ermordung des griechischen Präsidenten Capodistrias, einen europäischen Monarchen als König von Griechenland einzusetzen. Der Wittelsbacherprinz Otto von Bayern, dessen Vater, König Ludwig von Bayern, die griechische Unabhängigkeit von Anfang an unterstützt hatte, wurde erster König von Griechenland, wo er 1833 eintraf. Fast 30 Jahre regierte König Otto Griechenland.
Getrübte Beziehungen
Diese Zeit war von großen Schwierigkeiten geprägt, zu denen auch die Rivalität der Großmächte um Einfluss im neuen Staat gehörte und die – teilweise in Verbindung damit stehende – Religionsproblematik. König Otto liebte zwar Griechenland und sprach bald fließend griechisch, war aber als überzeugter Katholik nicht bereit, zur orthodoxen Kirche überzutreten. Orthodoxe Politik aber betrieb vor allem Russland, das sich als Schutzmacht aller Orthodoxen, vor allem auch im Orient und in Südosteuropa, fühlte.
Besonders der Krimkrieg, in dem starke griechische Sympathien auf russischer Seite waren, führte zu Spannungen mit England und Frankreich. Auch die Beziehungen zum Osmanischen Reich waren ständig getrübt, da die Griechen dort christliche Aufständische gegen die Türkenherrschaft unterstützten. Innerhalb des Landes gab es ebenfalls scharfe Gegensätze. Als die bayrischen Truppen König Ottos vereinbarungsgemäß das Land verließen, kam es zu Aufständen, und 1862 musste das Königspaar Griechenland fluchtartig verlassen.
Unmittelbar im Anschluss an den Ersten Weltkrieg brachen in der ganzen Türkei, parallel zum Armeniergenozid und im Kontext des griechisch-türkischen Krieges 1919-1922, schwere Ausschreitungen gegen Griechen aus, die zwischen 1913 und 1922 mindestens 300 000 Menschenleben, möglicherweise aber bis zu einer Million Todesopfer forderten. Ähnliche ethnische Säuberungen gab es unter den assyrischen Christen im Osten des Landes. Danach kam es zwischen der Türkei und Griechenland 1923 zu einem Bevölkerungsaustausch.
Spannungen bis ins 20. Jahrhundert
Der Gegensatz zwischen Türken und Griechen dauerte bis ins 20. Jahrhundert fort. Im September 1955 kam es zu einem Pogrom in Istanbul, das mindestens 13 Menschenleben forderte. Auslöser war ein angeblicher Anschlag auf das türkische Generalkonsulat in Thessaloniki, der allerdings von türkischer Seite ausgeführt worden war, um eine Gewaltwelle gegen die Griechen im Land auszulösen. Fast alle Griechen haben die Türkei inzwischen verlassen. Human Rights Watch schätzt, dass es 2006 noch etwa 2 500 Griechen in der Türkei gab.
Otto von Bamberg
Zahlreiche Touristen besuchen jedes Jahr den zauberhaften Rosengarten der Neuen Residenz der Bamberger Fürstbischöfe (seit 1604). Wenigen von ihnen fällt jedoch die unscheinbare Gedenktafel auf, die hier in deutscher und griechischer Sprache an König Otto von Griechenland erinnert. Der Wittelsbacher verbrachte seine letzten Lebensjahre hier. 1866 unterstützte Otto aus eigenen Mitteln den kretischen Aufstand gegen die Osmanen. Es gab täglich einige Stunden, in denen an Ottos Hof nur griechisch gesprochen wurde. 1867 verstarb Otto in Bamberg, ist jedoch in München beigesetzt.
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