Diskretion ist im Schiff der katholischen Kirche bei hohem Wellengang ein Gebot der Vernunft. Konsequenterweise ersparte das Publikum dem langjährigen Privatsekretär des emeritierten Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, kürzlich im Rahmen der Sommerakademie der Gustav-Siewerth-Akademie in seiner Schwarzwälder Heimat heikle Fragen. Zur allgemeinen Erleichterung entfiel eine aufreibende Diskussion über das wenige Wochen zuvor veröffentlichte Motu proprio „Traditionis custodes“, mit dem der amtierende Pontifex die von Benedikt XVI. verfügte weitgehende Freigabe der „alten Messe“ stark einschränkt.
Benedikt XVI: Keine Theologie ohne Glauben
Erzbischof Gänswein beschrieb den emeritierten Papst als Zeuge der Wahrheit in krisenhafter Zeit: Benedikt XVI. habe die Sendung des Theologen darin gesehen, „Diener des Wortes zu sein“. Theologie setze einen neuen Anfang im Denken voraus, der nicht Produkt eigenen Nachdenkens sei, sondern aus der Begegnung mit einem Wort kommt, das uns immer vorausgehe. Erst dann stoße man auf jene Originalität, an der sich christliche Theologie ausrichten müsse. Die unumgängliche Selbstbescheidung des christlichen Theologen bedeute, dass er jede Vorgabe annehme, die mehr sei als das selbst Erdachte. „Christliche Theologie ist das systematische Nachdenken über das von Gott Vorgedachte und Vorgesagte“, fasste der Erzbischof das Denken Benedikts XVI. zusammen.
Teilnehmer sorgen sich um die Situation der Glaubensverkündigung
Gott selbst offenbare sich als die Wahrheit. Diese sei jedoch nicht abstrakt, sondern finde sich lebendig und konkret in der Gestalt Jesu Christi. Die erste Antwort auf die Offenbarung sei jedoch nicht die Theologie, sondern der Glaube. Die Theologie verstehe sich nur recht, wenn sie sich im Dienst des Glaubens vollziehe. Die Wahrheit, die christliche Theologen zu erkennen suchten, sei nur im Glauben zugänglich, unterstrich Erzbischof Gänswein. Er zitierte einen Vergleich Joseph Ratzingers: Der Verkündiger könne sich nicht verhalten wie ein Telegrammbote, der fremde Worte weiterleitet, ohne dass sie ihn etwas angingen.
Genau in diesem Punkt fallen Ideal und Wirklichkeit nördlich der Alpen teilweise dramatisch auseinander. Beim Austausch kam die Sorge vieler Gläubigen um die Verkündigung in der Gegenwart zur Sprache. Erzbischof Gänswein ermutigte zum festen Glaubenszeugnis. Dass Bischöfe in der Ausübung des Lehramtes Schwächen zeigten, sei nichts Neues. Auf die Frage einer Teilnehmerin, wie sich die Gläubigen angesichts der Krise des Lehramtes verhalten sollten, empfahl er Stabilität im Glauben, Bekenntnis ohne Besserwisserei und Gebet für die Bischöfe. Eine der Grundlinien Joseph Ratzingers ist Gänswein zufolge die Freude. Unter Applaus warnte Gänswein vor einem „freudlosen Lehramt“.
Italiener wundern sich über die kritische Haltung der Deutschen gegenüber Benedikt XVI.
Auf die Frage, warum sich deutsche Theologen so schwer täten mit Benedikt XVI., obwohl viele Zeitgenossen ihn bereits als Kirchenlehrer betrachteten und seine Werke intensiv studierten, antwortete Gänswein, dass er in Italien oft auf die kritische Haltung der Deutschen gegenüber Papst Benedikt angesprochen werde. Er selbst verstehe diese Haltung nicht. „Es ist mir ein Rätsel“, unterstrich der Erzbischof und erinnerte in diesem Zusammenhang an das kürzlich erschienene Interview des emeritierten Papstes in der Herder-Korrespondenz anlässlich des 70. Jahrestags der Aufnahme seiner Kaplanstätigkeit in der Münchner Pfarrgemeinde Bogenhausen. Das Interview sei „als Hommage“ gedacht gewesen, doch dann seien aus sechs Seiten zwei Sätze herausgezogen worden „und dann wird Feuer gelegt“. Für ihn sei das Ganze „bleibend unverständlich und manchmal auch beschämend“.
Kritik an dem Papa emeritus hat mit den Medien zu tun
Man habe den Eindruck, dass das Haar in der Suppe gesucht werden solle. Polnische Mitbrüder sagten ihm, es verhalte sich gerade umgekehrt zu Johannes Paul II. Wenn der Papst aus Polen angegriffen wurde, habe man einen Ring um ihn gebildet und ihn geschützt. „Wo Benedikt angegriffen wird, da ist man bei den ersten, die angreifen.“ Schaue man aber nach den Gründen, derentwegen der emeritierte Papst Benedikt angegriffen werde, dann „ist da mehr Luft als Substanz, aber es hat mediale Wirkung“. Gänswein fügte hinzu, dass jene, die es nicht gut mit Benedikt meinten, medial gut vernetzt seien.
Erzbischof Gänswein zeigte sich überzeugt, dass die Geschichte manches zum Guten klären werde. Sein Rat an die Zuhörer lautete „hören, schlucken und so gut es geht verdauen“. Das Phänomen betreffe den deutschsprachigen Raum. Manchmal machten die Schweizer und Österreicher mit. Die katholische Welt sei aber viel größer und einsichtiger „und in vielen Punkten weitsichtiger“.
Evangelisierung: Es geht nicht um Zahlen, sondern um das Heil der Seelen
Dass Joseph Ratzingers Gedanken über die konfessionellen Grenzen hinweg zu einem vertieften Verständnis der Heiligen Schrift anregen, zeigte Kurienkardinal Kurt Koch am Beispiel des Gleichnisses vom Senfkorn als Sinnbild für die Neuevangelisierung. Das Gleichnis wäre missverstanden, so der Kardinal, wenn angesichts des Anspruchs, dass das Evangelium für alle Menschen bestimmt ist, die Interpretation in die Versuchung großer Ungeduld führen würde. Die Suche nach Erfolgen und eindrücklichen Zahlen ist Koch zufolge verfehlt, weil „die neue Evangelisierung nicht der Zähl-Sorge gilt, sondern der „Heils-Sorge“. Daher orientiere sie sich am Gleichnis vom Senfkorn, das besage: „Gott rechnet nicht mit den großen Zahlen; äußere Macht ist kein Zeichen seiner Gegenwart.“
Joseph Ratzinger habe demgegenüber erkannt, dass die großen Dinge bei Gott immer im Kleinen beginnen. Was ergibt sich nun aus der Glaubensüberzeugung, dass in der Geschichte des Heils immer zugleich Ostern und Karfreitag und die Kirche immer zugleich ein großer Baum und ein winziges Senfkorn ist? Kardinal Koch wörtlich: „Die neue Evangelisierung muss sich dem „Mysterium des Senfkorns unterwerfen und darf nicht beanspruchen, sogleich den großen Baum hervorzubringen“.
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