Ulm

Ein Mohrenkönig an der Krippe kann nicht rassistisch sein

Der Mohr steht gleichberechtigt im Range eines Königs an der Krippe des Herrn. Das kann nicht rassistisch sein. Eine Cancel Culture auf evangelisch erreicht die Krippe des Ulmer Münsters.
Ulmer Münster.
Foto: Arnulf Hettrich via imago | Ulmer Münster.

Mit der Begründung, dass die geschnitzte Figur des Mohrenkönigs in der Krippe des Ulmer Münsters „rassistisch geprägte Stereotype bediene” verfügte der evangelische Dekan, dass am kommenden Dreikönigstag der Schwarzafrikaner nicht mit den anderen Weisen zur Anbetung des neugeborenen Gottessohnes aufgestellt werden darf. Zuvor hat bereits die Ankündigung von Facebook, Bilder von Menschen mit schwarz angemalten Gesichtern, sogenanntes Blackfacing, zu löschen, für Aufsehen gesorgt. Daraufhin geriet auch der Sternsingerbrauch in die Kritik. Gehört doch der schwarze König unverzichtbar zur Dreiergruppe der kostümierten Kinder und Jugendlichen, die für das Aachener Kindermissionswerk Spendengelder sammeln.

Blackfacing

Während sie für Hilfsprojekte auch in Afrika ihre Weihnachtsferien opfern und durch Schnee und Eis von Tür zu Tür gehen, müssen sie sich jetzt auch noch gegen den Rassismusvorwurf der politisch Korrekten wehren. Eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtskommissariats hat 2013 die Abschaffung des in den Niederlanden äußerst beliebten Festzugs des heiligen Nikolaus mit seinem Begleiter, dem Zwarten Piet (schwarzen Peter), wegen Rassismusverdachts verlangt. Da der Zwarte Piet mit geschminktem Gesicht einen schwarzafrikanischen Diener darstellt, sei der Tatbestand des Blackfacings erfüllt. Entstehungsgeschichtlich hat der schwarze höfische Page den Teufel als Nikolausbegleiter ersetzt. Aber gerade diese lustige und sympathische Gestalt gilt als Ausdruck des finstersten kolonialistischen Rassismus. Seitdem sind die Niederlande in dieser Frage in unversöhnliche Lager gespalten.

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Okzidentales Erbe

Warum häufen sich diese Konflikte? Kolonialismus und Imperialismus sind ein schweres okzidentales Erbe. Heute im nachkolonialistischen Zeitalter setzt sich die multikulturelle Weltgesellschaft durch. Sie wird bestimmt von säkularen Überzeugungen, die für sich Neutralität gegenüber allen Weltanschauungen beanspruchen und darin das oberste Richteramt ausüben. Seine Maßstäbe bezieht der Säkularismus rein aus der autonomen Vernunft, vollkommen unabhängig von religiösen Glaubensüberlieferungen. In der modernen Gesellschaft bestimmt allein die Vernunft darüber, was ein gutes und was eine schlechtes Argument ist. Damit geraten die religiösen Überlieferungen in Konflikt, weil sie ihre Argumente aus der Glaubenslehre aufrecht erhalten.

Traditionelle Geltung erlischt

Bisher besaßen christliche Überzeugungen, christliche Praxis und Brauchtum noch eine gewisse traditionelle Geltung, weil die Gesellschaft zwar säkular geworden, sich aber noch als vom Christentum geprägt verstanden hat. Zunehmend bricht dieser gesellschaftliche Rahmen in der multikulturellen Moderne weg. Das säkulare Denken urteilt von außen über die religiöse Überlieferung. Es lehnt die gleichberechtigte Anerkennung der religiösen Argumente ab. Sie werden als irrational und vorwissenschaftlich abgetan. Der Philosoph Jürgen Habermas sieht allerdings grundlegende Gesprächsregeln verletzt, „sobald sich die säkulare Seite von einem exklusiven Verständnis von Vernunft leiten ließe und dem religiösen Einbettungskontext, der für die andere Seite … eine kognitiver Bedeutung hat, den Respekt verweigerte”.

Verständigung unmöglich

Es ist kein Zufall, dass der Konflikt zwischen Christentum und Moderne gerade über den Vorwurf des Rassismus verläuft. Verkörpert sich doch die Moderne in der multikulturellen Weltgemeinschaft. Sollte das Christentum sich nicht entschieden von als rassistisch beurteilten Bräuchen trennen, dann würde es zusätzlich zu seiner sowieso unterstellten Irrationalität auch noch wegen Missachtung der Menschenrechte auf die Anklagebank geraten und von der weiteren Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Der Ulmer evangelische Dekan hat eingelenkt und sich dadurch zur „Modernisierung des religiösen Bewusstseins” (Habermas) entschlossen. Hierzu ist dem Protestantismus eine Neigung zu bescheinigen.

Damit bestätigt er, dass die Aufstellung eines schwarzen Königs an der Krippe mit negroiden Zügen den Tatbestand des Rassismus erfüllt. Entspricht dies überhaupt der Deutung derer, die diesen Brauch geschaffen haben? Um überhaupt weiterreden zu können, bedarf es im Konflikt zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung von religiösen Auffassungen nach Habermas auf der säkularen Seite der Anerkennung der Vertreter des Christentums als vernünftige Subjekte. Sonst ist eine Verständigung unmöglich.

Licht der Völker

Zur Selbstvergewisserung der Christen über ihr eigenes Brauchtum und als Grundlage für das Gespräch mit dem säkularen Denken können einige Argumente vorgebracht werden. Innerhalb der christlichen Kunst hat die Darstellung der Anbetung der Heiligen Drei Könige eine ähnlich herausragende Bedeutung wie die Darstellungen des Kreuzestodes und der Auferstehung. Dies entspricht der liturgischen Feier als Hochfest der Erscheinung des Herrn (griech. Epiphanie). Biblische Grundlage ist die einzig im Evangelium des Matthäus überlieferte Anbetung der Magier oder Weisen aus dem Morgenland (Mt 2,1-12). Aus den drei Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe wurde nachbiblisch die Dreizahl der Weisen geschlossen.

Da die Anbetung der nichtjüdischen Sterndeuter den Anfang der Universalisierung des Christusglaubens über das Judentum hinaus in alle Heidenvölker hinein bedeutet, sah man in der von Jesaja geschilderten zukünftigen Völkerwallfahrt nach Jerusalem eine Vorausschau darauf: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz“ (Jes 60,3).

Königswürde

Damit hat die Königswürde der Weisen einen alttestamentlichen Ursprung und Bezug. Im 3. Jhdt. wurde auch ein Psalmvers zur Grundlage der Königswürde: „Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, … Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen. Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat” (Ps 72,10-11). Mit der Menschwerdung zeigt Gott seine rettende Gegenwart in der Geschichte. Bereits an der Wende vom 3. zum 4. Jhdt. finden sich die ersten Darstellungen der Anbetung der Magier. Gleichursprünglich mit der liegenden Gottesmutter Maria tritt in der frühchristlichen Kunst die thronende Gottesmutter mit dem Kind auf, das nach den Gaben greift, oder segnend die Rechte erhebt.

Repräsentanten der Heidenvölker

Die Gaben werden angenommen, die Repräsentanten der Heidenvölker sind willkommen. Zum Neuen Bund sind Menschen aus allen Völkern zugelassen. Bildliche Darstellungen gekrönter Könige gibt es seit der Wende vom 10. zum 11. Jhdt. (Trierer Egbert Codex). Dahinter steht das sakrale Selbstverständnis der christlichen Könige Europas. Sie sahen sich als von Christus eingesetzte Herrscher. Damit wurden die Dreikönigsbilder zu Darstellungen christlichen Königtums und seiner Legitimation durch Gott selbst. Dies bedeutet eine Stabilisierung der weltlichen Macht und einer feudalistischen Gesellschaftsordnung. In dieser Absicht hat sich Otto IV. als vierter König hinter die Heiligen Drei Könige auf ihrem Kölner Reliquienschrein eingereiht.

Damals bekannte Erdteile 

Schon in der Spätantike wurden die Weisen als Vertreter der Lebensalter gestaltet. Ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar tragen sie seit dem 9. Jhdt. Im 15. Jhdt. wurden sie zu Repräsentanten der damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika. Mit der zunehmenden porträthaften Individualisierung der Malerei wurde der Schwarzafrikaner zu einer strahlenden jugendlichen Erscheinung in exklusiv modisch-höfischem Kostüm. Hier ergab sich für die Künstler eine große Gestaltungsfreiheit in der Vermittlung von Exotik, Luxus und märchenhaftem Zauber in der Darstellung des Afrikaners und seines Gefolges.

Zurückhaltende Darstellung

Auffallend ist, dass die großen Meisterwerke der flämischen Tafelmalerei bei der Umsetzung der afrikanischen Gesichtszüge zurückhaltend waren. Man vergleiche damit einmal von Afrikanern geschnitzte Krippenfiguren. Intention des biblischen Besuchs der Weisen in Bethlehem und seiner bildlichen Darstellungen ist die universale Heilszusage an alle Völker. Darum liegt ihr nichts so fern wie eine rassistische oder karikaturhafte Bloßstellung des Fremden. Weder in der christlichen Kunst noch in der Verkündigung gibt es dafür ernsthafte Belege. Gerade die kreative Aufnahme des Afrikaners in die Weihnachtsgeschichte zeigt, dass alle Bewohner dieses Kontinents gleichrangig mit anderen Völkern in die Heilsgemeinschaft eingeladen sind.

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