Die Herbstferien haben gezeigt, dass das private Leben nördlich der Alpen wieder Fahrt aufnimmt. Urlaubsreisen sind angesagter denn je: Viele nehmen klaglos drei bis vier Stunden Wartezeit an den überfüllten deutschen Flughäfen ohne Einhaltung der Abstandsregeln in Kauf. Die Vorfreude auf die im letzten Jahr so schmerzlich vermissten Adventskonzerte und Weihnachtsmärkte wächst, und der Einzelhandel rät angesichts von Lieferengpässen zum frühzeitigen Kauf der Weihnachtsgeschenke. Bei so viel heiterer Betriebsamkeit fällt die Selbstverständlichkeit, mit der die Sonntagspflicht vielerorts ausgesetzt bleibt, besonders auf: Hier geht es nicht, wie der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt kürzlich treffend anmerkte um ein schönes Hobby, sondern um den Angelpunkt der christlichen Glaubenspraxis.
Ein Fehler
Dass es ein Fehler war, die Sonntagspflicht überhaupt auszusetzen – die Bistümer Regensburg und Osnabrück bilden hier positive Ausnahmen –, steht außer Frage. Die geringe Rückkehrquote der Kirchgänger spricht Bände. Viele, deren körperliche Verfassung nicht als fragil einzuschätzen ist, haben sich an die Fernsehmessen gewöhnt, andere haben den Eindruck gewonnen, auch der Kirche selbst sei die Sonntagsmesse nicht allzu wichtig, wenn sie über Nacht mit einem Federstrich ausgesetzt wird. Nur wenigen ist bewusst, dass Gläubige, die aus triftigen Gründen die Sonntagsmesse nicht besuchen können, durch das Sonntagsgebot automatisch zu den gebotenen Ersatzleistungen verpflichtet sind. Diese sind mit der Aussetzung der Sonntagspflicht aber ebenfalls erlassen.
Der verstorbene Münchener Professor für Kirchenrecht, Pater Stephan Haering OSB, hat bereits im ersten Pandemiejahr in dieser Zeitung darauf hingewiesen. „Man sollte nicht übersehen“, so Haering, „dass zum Sonntagsgebot nicht nur die Messpflicht gehört, sondern auch die Arbeitsruhe. Davon zu dispensieren bestand kein Anlass.“
"Dass es ein Fehler war,
die Sonntagspflicht überhaupt auszusetzen ,
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Problematische Sicht
Die Perspektive auf die Bedeutung der Sonntagsmesse hat sich pandemiebedingt verschoben: Viele Kirchgänger betrachten sie inzwischen eher als einen Akt privater Frömmigkeit. Genau das ist sie aber nicht. Die Sonntagsmesse ist das zentrale öffentliche Glaubensbekenntnis der Christen. Diese Praxis zum Beginn des neuen Kirchenjahrs zu beleben, ist für die Zukunft der Kirche erstrangig. Die Sonntagsmesse bleibt das Missionsfeld Nummer eins; es genügt daher nicht, sich mit der Rückkehr der Kirchgänger zu begnügen. Hier sind der individuellen Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Vielleicht bietet sich den reformfreudigen Kräften in der Kirche hinsichtlich der Wiederbelebung der Sonntagsmesse das ersehnte Feld für Kurskorrekturen. Die Rückkehrquote nach dem Lockdown hat gezeigt, dass die Gemeindeideologie endgültig ausgedient hat. Das Festhaltenwollen am Messbesuch im eigenen Pfarrsprengel, das durch Umstrukturierungen in der Pfarrseelsorge ohnehin erschwert wird, funktioniert in Pandemiezeiten weniger denn je. Dabei spielt nicht nur die Frage der Mobilität eine Rolle, sondern auch der Vitalität der Gemeinde.
Unerwartete Orte
Stabile Messbesucherzahlen weisen derzeit Orte auf, denen in Kirchenkreisen mitunter Misstrauen entgegengebracht wird. Dazu zählen traditionsverbundener Wallfahrtsziele und die „alte Messe“. Dass sich der Zusammenhalt in schwierigen Zeiten gerade unter Christen bewährt, die ein profiliertes Priesterbild haben, die eucharistische Anbetung und die Marienverehrung pflegen sowie die Verbundenheit mit der Weltkirche hochschätzen, sollte in die Überlegungen im Rahmen des Synodalen Wegs einfließen. Bei ihnen liegt die Zukunft der Kirche.
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