Berlin

Die Goesche- Frage

Wie ein Berliner Propst die Debatte um die Lockerung des liturgischen Shutdowns beflügelt.
Debatte um Gottesdienste in Corona-Zeiten
Foto: Alessandro Cristiano (332788617) | Wenn der Papst des deutschen Verbandskatholizismus und ein Berliner Propst, der die alte Messe feiert, auf demselben Standpunkt stehen, dann kann man das nur eine Querfront nennen.

Die Corona-Krise schmiedet denkwürdige Lager. Wenn der Papst des deutschen Verbandskatholizismus und ein Berliner Propst, der die alte Messe feiert, auf demselben Standpunkt stehen, dann kann man das nur eine Querfront nennen. Der Chef des Zentralkomitees deutscher Katholiken, Thomas Sternberg, vermisse den Gottesdienst "schon sehr", sagte er gegenüber dem Deutschlandfunk. Unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen sollten Messbesuche wieder möglich sein. Er erklärte diese als "systemrelevant", und zwar aus therapeutischen Zwecken: "Wo gibt es Orte, in denen man auch diese Ängste, die da aufgebrochen sind in der Corona-Krise, verarbeiten kann?" Schulterschluss also mit dem aufmüpfigen Propst Gerald Goesche? "Das sind zum Teil Traditionalisten, das sind nicht die Leute, die   sagen wir mal   besonders die wesentliche Rolle in der katholischen Kirche spielen", so Sternberg.

Er ging voran, als sich andere zurückhielten

Denkwürdig auch, dass es dennoch dieser Propst mit seiner unwesentlichen Rolle war, der voranging, als sich andere zurückhielten. Selbst die Wortwahl Goesches hat die Runde gemacht. Kaum ein Politiker, Journalist oder Kirchenvertreter, der sich nicht seines Vergleichs bedient. Das gilt für die AfD bis Jakob Augstein, von Philipp Amthor bis zur BILD-Zeitung   fast jeder verwendet mittlerweile die Formel, warum Baumärkte offen haben, Kirchen aber nicht. Die Goeschefrage droht die Gretchenfrage abzulösen. Das Bundesverfassungsgericht hat nach Goesches Klage nicht eingegriffen. Aber Karlsruhe hat bestätigt, was vorher nur wenige auszusprechen wagten: dass es sich bei dem Gottesdienstverbot um einen "schwerwiegenden Eingriff" in das Grundrecht auf Religionsausübung handelt. Da traute sich auch Heribert Prantl, das Schwergewicht der Süddeutschen Zeitung, aus der Deckung: "Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie gelten, weil sie auch in katastrophalen Fällen gelten müssen." Prantl, sonst nie um seine Meinung verlegen, habe auf Karlsruhe und die Kirchen gewartet, und sich deswegen zurückgehalten.

Eine dritte Denkwürdigkeit bildet der Zeitpunkt des plötzlichen Erwachens aus der coronalen Frühjahrsmüdigkeit. Dabei hat sich kaum etwas an der Bestandslage vor Ostern geändert. Die Kirche unterhält kein eigenes Institut, das mit neuen Ergebnissen zum Corona-Virus aufwarten kann. Erst nachdem ein Propst vor Gericht zieht und formell scheitert, wagen es Kirchenfürsten und Topjournalisten, aus der Deckung zu kommen. Die Frage danach, wie ehrlich das ist, angesichts vorösterlicher Festlegungen auf Abstinenz, bleibt unbeantwortet. Befremdlich auch, dass Politiker und Prälaten eine Mördergrube aus ihrem Herzen machten, statt den Vorsteher des Instituts Sankt Philipp Neri zu unterstützen, wenn dieser doch für ihr Anliegen eintrat; stattdessen distanzierte sich die Bischofskonferenz ausdrücklich von dem Alleingang.

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Keine Einigung auf gemeinsamen Weg

Was bleibt, ist die Auflage des Gerichts, bei einer Änderung der Corona-Maßnahmen auch die Verhältnismäßigkeit bei Gottesdienstverboten neuerlich zu überprüfen. Zur Enttäuschung der Gläubigen fiel diese negativ aus. Kanzlerin Angela Merkel verkündete am 15. April, dass es bis zum 3. Mai keine Lockerung geben werde. Doch schon wenige Tage später kippte der Vorsatz. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki preschte vor, Armin Laschet folgte im Schlepptau. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen unterstrich in einer Konferenz mit den Landeschefs und der Bundeskanzlerin das Recht auf freie Religionsausübung. Doch auch bei der Sitzung am 17. April konnten sich die Amtsträger auf keinen gemeinsamen Weg einigen. Der Vorschlag, die Messen in kleinem Rahmen und mit Hygienemaßnahmen wieder für Besucher zu öffnen, wurde abgewiesen. Die BILD-Zeitung spekulierte bereits darüber, dass Befürchtungen im Raum standen, ähnliche Auflagen nicht in Moscheen durchsetzen zu können. Die Muslime besitzen in Deutschland keinen zentralen Ansprechpartner. Der Ramadan, die muslimische Fastenzeit, beginnt am 23. April.

Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros, sieht zwar für Gottesdienste ab Mai gute Chancen. Die Gespräche ließen auf "grünes Licht" hoffen. Doch würden die Gottesdienste anders ausschauen als gewohnt. "Entscheidend ist, dass der Kommunionempfang würdig bleibt und gleichzeitig den Anforderungen des Infektionsschutzes Rechnung getragen wird", sagte Jüsten der Saarbrücker Zeitung. Die Überlegung reichte von der Hinterlegung der Kommunion auf dem Altar bis zur Ausgabe mit Maske und desinfizierten Handschuhen oder Zangen. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige zeigte sich dagegen kritisch gegenüber Lockerungen. Er könne sich nicht vorstellen, wie Gottesdienste mit solchen Maßnahmen gottgefällig und heilsdienlich sein sollten. "Sollten wir als Christen nicht eher verantwortungsbewusst und solidarisch mit dafür Sorge tragen, die lebensbedrohliche Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus einzudämmen ( ), als ähnlich wie verschiedene Lobbyisten versuchen, unsere Partikularinteressen durchzusetzen?", so Feige.

Nach verschlafenem Beginn eines Phase des Aktionismus

Die Corona-Krise setzt sich auf politischer Ebene fort, wie sie angefangen hat: dem Verschlafen des Epidemiebeginns schließt sich eine Phase des Aktionismus an, bei dem einzelne Entscheidungsträger vorpreschen und andere folgen. Eigentlich wollten Kanzlerin und Landesvertreter erst am 30. April wieder über die Lockerung beraten. Doch Sachsen hat bereits am Montag Gottesdienste wieder zugelassen: mit 15 Teilnehmern und Corona-Vorschriften. Laschet bekräftigte in einem Interview im Deutschlandfunk, dass, wenn Läden öffneten, auch Gottesdienste wieder stattfinden müssten. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke will zumindest wichtige Zeremonien wie Taufen und Trauerfeiern für 20 Teilnehmer öffnen. Rheinland-Pfalz will ab dem 1. Mai wieder Gottesdienste erlauben, doch müssten die Beteiligten ein "überzeugendes Schutzkonzept" vorlegen. In Berlin, der Heimat des widerständigen Propstes Goesche, sind ab 4. Mai wieder öffentliche Gottesdienste erlaubt. Mit maximal 20 Teilnehmern und strengen Hygienevorschriften; unter freiem Himmel dürfen es auch 50 Messbesucher sein. Fast so, wie es Goesche schon in Karlsruhe forderte.

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