Wut als Motiv für den Klostereintritt, das muss ja dann „heilige Wut“ sein: Der vom Niederrhein stammende Benediktiner Thomas Quartier, Mönch der Abtei St. Willibrord in Doetinchem im niederländischen Gelderland, erzählt in einem sympathisch ehrlichen Buch von seinem Weg als Rebell und Bob Dylan-Fan, der auch im schwarzen Habit seines Ordens das Fragen und Zweifeln nicht aufgegeben hat. Dabei behandelt der hauptberuflich als Liturgie-Professor Tätige in schonungsloser Ehrlichkeit Fragen christlicher Existenz, die auch die außerhalb des Klosters Lebenden umtreiben.
Revolution oder Kloster
Quartier, in der Zeit der Friedensbewegung nach dem Nato-Doppelbeschluss sozialisiert und heute mit der Occupy-Bewegung in Kontakt, erzählt, wie er daran arbeitete, das Aufbegehren, das er in sich spürte, fruchtbar zu machen: Er spricht vom immer stärker werdenden Gefühl, „dass die Welt einem nicht geben kann, wonach man sucht“. Doch war es ein weiter Weg vom jugendlichen Ministranten über den Besucher von Hard Rock-Konzerten zum Mönch. „Wut ist längst nicht immer so zweck- und zielgerichtet, dass man sie direkt in ein Lebensprojekt umsetzen könnte. Sie verlangt die Bereitschaft, sich dem Leben auszusetzen, einschließlich seiner destruktiven Seiten.
Wegrennen unmöglich
Im Kloster kann man nämlich nicht wegrennen.“ Der als Experte für Riten in Leuven, Nijmegen und Rom Dozierende plädiert dafür, seinen Wurzeln treu zu bleiben, auch und gerade, wenn man einen geistlichen Weg gehen will: Wenn man aktuelle Krisen überstehe, „kommt man dem Ideal des Klosterlebens gerade durch seine Wut ein Stückchen näher. Man muss seine Wut heiligen, wenn man ein klösterliches Leben führen will.“
Tatsächlich wird ein Mensch, der Ordenschrist werden will – Quartier weist darauf hin, dass die Kandidaten heute meist älter sind und ein „Leben mitbringen“ – auch hinter Klostermauern zunächst und vor allem mit sich selber konfrontiert. Kleinigkeiten, wie die Lautstärke beim Psalmengebet oder der biedere Brauch, in der Erholungszeit Brettspiele zu spielen, können zur Belastung werden, wenn man den Unfrieden in sich noch nicht erkannt und ausreichend bearbeitet hat. Der Autor weiß zu berichten, dass ihm ältere Mitbrüder immer wieder zu Hilfe gekommen sind.
Sie sagen ihm das deutende Wort, das er sich nicht selber sagen kann, wenn der Kopf voller Fragen oder Emotionen ist. Als er einmal das für Benediktiner übliche sieben Mal am Tag vorgesehene Psalmengebiet anzweifelt, stürzt ihn die trockene Aussage eines älteren Mönchs zunächst noch mehr in die Krise: „Unsere Gottesdienste haben keine ausdrückliche Bedeutung.“ Quartier: „Wie war das möglich? Konnten wir einen beträchtlichen Teil unseres Lebens mit etwas verbringen, das keine Bedeutung hat? Ich merkte, wie sehr ich doch ein Kind meiner Zeit und meiner Erziehung bin.“
Die Psalmen
Der junge Mönch lernte, dass den Psalmen nicht nur der Sinn innewohnt, den man ihnen aktuell zu geben bereit ist, abhängig von der Tagesverfassung. „Psalmen sind Spiegel unserer inneren Regungen, unserer Freude, unseres Kummers, aber auch unserer Sucht, die wir bekämpfen. Es gibt keine menschliche Regung, keine Emotion, die in den Psalmen nicht zu sehen, zu erfahren, zu besingen wäre. Die Poesie der Psalmen verarbeitet, artikuliert und bringt alles vor Gott.“ So darf jeder sich diesen Texten mit seinen Ansprüchen nähern, soll anderen aber eine andere Deutung zugestehen. Wichtig ist der treue Vollzug. Im übrigen sagte der alte Mitbruder damals zu Pater Thomas: „Wir singen den ganzen Tag, weil unsere einzige Botschaft darin besteht, Gott zu loben.“ Das Chorgebet hat als solches einen Wert, auch wenn man einmal nicht bei der Sache ist. Die Gemeinschaft tritt dann für einen ein.
Der zunächst als Wissenschaftler arbeitende Quartier hat erst mit vierzig Jahren den Weg ins Kloster gefunden, zum Erstaunen mancher, die ihn als Rebellen gegen das Establishment kannten. Der Berufungs-Wege sind viele, und kerzengerade sind sie meistens nicht. „Eine der ersten klösterlichen Weisheiten, die man lernt, lautet, dass man dasjenige, was man sicher zu haben glaubt, nun gerade nicht hat. Ich musste erst noch lernen, meine Umwege als den eigentlichen Weg zu sehen.“ Das Provisorische gehört zu jedem Menschenleben und macht auch vor der scheinbaren Unerschütterlichkeit der monastischen Lebensform nicht Halt. Heute kann Quartier sagen: „Vielleicht bin ich ,unterwegs‘ angekommen.“ Er, der als junger Mann immer die Welt verändern wollte, lernte, dass man dabei am besten bei sich selbst anfängt.
Nach Jahrzehnten am Anfang
Nicht zufällig beschreibt sein Ordensvater Benedikt das Kloster als Schule für den Dienst am Herrn. Das demütige Beispiel der Älteren, die den Jüngeren zu verstehen geben, dass man auch nach Jahrzehnten im Kloster ganz am Anfang steht, lässt Weltveränderungs-Träume schrumpfen, ermöglicht aber gerade so echtes, schrittweises Wachstum. Thomas Quartier hat das gelernt und gibt darüber authentisch Auskunft; sein Wunsch nach einem völlig anderen Leben hat sich anders erfüllt, als er sich das in jungen Jahren vorstellte: „Das Mönchtum hat mir in meinem Streben nach Radikalität einen Ausweg geboten. Ich merkte schnell, dass Ordensleute in mancher Hinsicht viel radikalere Menschen sind als jene, die öffentliche Statements abgeben oder offenen Protest üben. (...) Das eigentlich Radikale besteht darin, dass Mönche es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, sich mit ihrem Ego zu konfrontieren.“ Eine Aufgabe, mit der man nicht fertig wird, aber ein notwendiges Tun für einen Menschen und Christen.
Thomas Quartier
Heilige Wut – Mönch sein, heißt radikal sein.
Herder Verlag, Freiburg, 2020, 207 Seiten, ISBN 978-3-451-37987-, EUR 18,–
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