Berlin

Das katholische Berlin hält verborgene Schätze bereit

Ein Schattendasein fristeten Katholiken in Berlin. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands unterscheidet sich das Lebensgefühl der Berliner Katholiken durchaus. Eine Neubesinnung auf das Erbe der Diaspora und Weltkirche könnte weiterhelfen.
Festival of Lights St Hedwig Kathedrale Bebelplatz Mitte Berlin Deutschland
Foto: Imago | Ob es dem seligen Dompropst Bernhard Lichtenberg gefallen hätte, beim Lichterfestival über den Bebelplatz zu leuchten?

Das aber muss ich aussprechen, der Unglaube wächst und das Katholische wächst auch. Und das Katholische, das ist das Schlimmere.“ Diese Worte legt Theodor Fontane seiner Romanfigur Adelheid von Stechlin in den Mund. Fontane, der Schriftsteller par excellence der Bismarck-Zeit, hatte selbst ein sehr differenziertes Verhältnis zum Katholizismus. Während ihm ein „von Borniertheit eingegebener Antikatholizismus“ stets „etwas ganz besonders Schreckliches“ gewesen sei, kannte der protestantische Preuße seine Landsleute in Berlin und der Mark Brandenburg nur zu gut. Die Figur drückt damit den Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Herzen Preußens aus: der Katholizismus als Fremdpartikel, der von außen kommt und Wurzeln schlägt; und ein Störenfried, der mit seinem Götzendienst zu wuchern beginnt.

Am Rand 

Fontane, der Chronist der „ersten“ deutschen Einheit von 1871, hätte angesichts seines norddeutschen, preußischen und protestantischen Publikums nicht das katholische Reizthema aufgreifen müssen. Doch mit seinen literarischen katholischen Figuren am Rand der Gesellschaft machte er auf den Diaspora-Status aufmerksam. Denn seit der Reformation hatte sich die Lage der Katholiken kaum verändert: Trotz Aufklärung und Säkularisierung fristete die katholische Kirche in den protestantischen Gebieten Mittel- und Ostdeutschlands ein Schattendasein. Nicht Bistümer, sondern Vikariate und Präfekturen zeichneten den reformierten Raum. Erst ab der Weimarer Republik war die Errichtung von Bistümern im selben Ausmaß möglich wie im Süden und Westen. Der evangelische Widerstand gegen das katholische Vordringen war einer der Gründe, weshalb es bis zum Jahr 1930 dauerte, dass in Berlin ein Bistum aus der Taufe gehoben werden konnte.

Kein Denkmal der Einheit

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Das Adelheid-Zitat aus Fontanes Feder hat sich heute in Teilen bewahrheitet. Längst ist das anti-römische Berlin mit seinem Dom, der als „Hauptkirche des Protestantismus“ galt, vom Zentrum einer protestantisch-preußischen Leitidee zu einem Kultort austauschbarer Beliebigkeit verkommen. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung hat Berlin zwar ein Lippenstiftmuseum – ein Museum zur Deutschen Currywurst hat mittlerweile dichtgemacht – aber bis heute kein Denkmal, das der Einheit gedenkt. Stattdessen erhitzt das Berliner Stadtschloss als neueste Attraktion vor allem deswegen die Gemüter, weil es mit Kreuz und Inschrift die religiöse Vergangenheit der Stadt in Erinnerung ruft.

Museales Berlin 

Ein Affront, ordnen sich schließlich 63 Prozent der Berliner keiner Religion zu. Das Erbe von westdeutschem Hedonismus und ostdeutschem Atheismus hat sich zumindest in dieser Hinsicht fruchtbar vereint. Lange vergessen ist, dass ausgerechnet das einstige Gegenrom den heiligen Petrus zum Schutzpatron hat. Dessen Gotteshaus, die Petrikirche, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen, da die DDR-Führung kein Interesse am Wiederaufbau hatte. Dabei soll es auch in Zukunft bleiben. Einer der Geburtsorte des modernen Berlins wird zu rein musealen Zwecken konserviert, während darüber das „House of One“ entsteht – ein Haus, in dem Muslime, Juden und Christen beten sollen. Damit realisiert sich eine Idee, von der schon Friedrich II. geträumt hatte: ein Pantheon, wo alle Religionen zusammen Gottesdienst in ihren jeweiligen Nischen feiern könnten. Geblieben ist vom nathan-gleichen Traum des „alten Fritz“ nur die Architektur. Das anberaumte Gebäude wurde stattdessen für die katholische Gemeinde erbaut: die Hedwigskirche.

Im Stadtbild vertreten

Als St.-Hedwigs-Kathedrale ist sie heute Sitz des Erzbischofs und damit das Zentrum für 330 000 Berliner Katholiken. Das sind zwar nur rund neun Prozent der Bevölkerung. Nach Einwohnern gilt die Hauptstadt aber immerhin als die drittgrößte katholische Stadt in Deutschland. Für die gewachsene Gemeinde ist auch das typische katholische Multikulti aus italienischen oder polnischen Zuwanderern verantwortlich. Rund jeder fünfte Katholik im Erzbistum Berlin gilt nicht als deutscher Muttersprachler. Zudem existiert eine rheinische Exklave als Überbleibsel Bonner Zeiten. Die schiere Größe der Stadt und ihre Hauptstadtfunktion haben Berlin zu einem Zentrum vielfältigster katholischer Einrichtungen gemacht, ob Krankenhäuser, Schulen, Orden oder Institute. Gottesdienste in Portugiesisch und Kroatisch sind ebenso üblich wie die alte Messe oder der maronitische Ritus. Dass heute über die Zukunft einer Pacelliallee debattiert werden kann, zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit der Katholizismus im Stadtbild vertreten ist.

Vereinigung inklusive Ressentiments

Zugleich ist die Hedwigskathedrale Sinnbild für die „katholische Wiedervereinigung“ des Landes – inklusive Ressentiments. Denn die Kirche war für die Katholiken in der DDR ein Symbol der Selbstbehauptung gegen das kommunistische Regime. Ganz bewusst wurde der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert mit dem Wiederaufbau betraut. Schwippert hatte 1949 das Bonner Bundeshaus entworfen. Die Katholische Kirche hielt nicht nur ideell an der Einheit fest: Das Bistum Berlin blieb ungeteilt. Die von Schwippert entworfene Bodenöffnung richtete den Blick auf die katholischen Märtyrer im Nationalsozialismus. Das architektonische Programm konnte demnach auch als Kampfansage gegen den kommunistischen Totalitarismus verstanden werden, den es nun ebenso zu überwinden galt. Den Westberlinern blieb die Identifikation spätestens ab den 1960ern unmöglich, als die Reise nach Ostberlin erheblich erschwert wurde.

Fast neupreußisch

Auf katholischer Ebene ähnelte der Dissens zwischen Ost- und Westdeutschen frappierend den Erfahrungen im persönlichen, politischen wie wirtschaftlichem Bereich. Der übereifrige Beglückungswille der Westdeutschen wurde als Bevormundung, wenn nicht Arroganz interpretiert. In einer fast neupreußisch anmutenden Mentalität wollte man eine „Hauptstadtkathedrale“ gestalten, auf die Gefühle der ostdeutschen Gläubigen wurde dabei wenig Rücksicht genommen. Der Kunstwissenschaftler Nikolaus Bernau konstatierte: „Wer Hand an diese Kirche legt, der ignoriert aus dieser Perspektive auch die Lebensläufe einer Generation von ostdeutschen Katholiken.“ Das emotionale Verhältnis der Katholiken zur Hedwigskirche, die mit ihrem gesamtdeutschen Programm die Einheitsidee einerseits, und als Zufluchtsort der Diaspora den Widerstandsgeist andererseits repräsentierte, spielte für die Neu- und Westberliner in ihrer Vorstellungswelt aus Effizienz und Großmannssucht keine Rolle. Es ist der alte, banale Witz vom Besserwessi, der dem etwas plumpen Cousin aus dem Osten erst mal zeigen muss, was wirklich gut ist. Dazu zählen auch die Schlichtheit und Kargheit westdeutscher Kirchen, die nunmehr auch in Sankt Hedwig einziehen soll.

Ein Feindbild

Nicht nur ein architektonischer, sondern auch ein geistig-theologischer Imperialismus der westdeutschen Glaubensbrüder führt bis heute zu Unverständnis. Während die westdeutsche Tradition vom Antiautoritarismus der sechziger und siebziger Jahre geprägt ist, und den „Klerikalismus“ als Feindbild begierig aufgenommen hat, ist eine solche Denkweise für die ostdeutschen Brüder, die den Staat als größte Bedrohung ausmachten, kaum nachzuvollziehen.

Ähnlich sieht es mit den progressiven Ideen des Synodalen Wegs aus. „Die Fragen des Synodalen Wegs sind im Wesentlichen nicht die Fragen, die unsere Gläubigen haben. […] Auch bei Visitationen stellt mir keiner die berühmte Frage nach Frauen und dem Amt“, sagt der Görlitzer Bischof Ipolt im Interview mit der „Tagespost“. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch auf katholischer Ebene ein Land der zwei Geschwindigkeiten geworden. Vielleicht würde es im Zeitalter der niedergehenden Volkskirche helfen, eher auf die Seite der Kirche zu schauen, die ihre Diaspora-Erfahrung bereits gemacht hat.

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