Rezension

Bedrohte Keimzelle

Die Verteidigung der christlichen Familie hat sich ein hochkarätig besetztes Symposium zur Aufgabe gemacht. Kürzlich ist der lesenswerte Tagungsband erschienen.
Familie. Keimzelle der Gesellschaft
Foto: Ekaterina Yakunina via www.imago-images.de (www.imago-images.de)

 Laut einer Insa-Umfrage von 2022 ist nach wie vor die Familie das Rückgrat der Gesellschaft und der Weg zu einem glücklichen Leben. Insbesondere die Bewährungsprobe der Pandemie habe dies erneut bestätigt. Trotzdem gibt es nicht wenige Herausforderungen. Papst Franziskus schreibt zum Beispiel in Amoris Laetitia: „Die Spannungen, die von einer überzogenen individualistischen Kultur des Besitzes und des Genusses in die Familien hineingetragen werden, bringen in ihnen Dynamiken der Abneigung und Aggressivität hervor.“


Ein im Jahr 2022 erschienener Band von Markus Graulich SDB nimmt sich verschiedener Gefahren und Entwicklungen an, denen sich die Familie entgegenstellen muss. Anlass für das Büchlein ist das Symposium mit dem Thema „Familie – Keimzelle der Gesellschaft und Kirche im Kleinen“, das am 10. Juni 2022 im Augustinianum in Rom tagte. Es wurde organisiert durch die Societas Theologiae Ecclesiasticae in Kooperation mit der Fundatio Christiana Virtus e.V. Das vorliegende Werk fasst die Beiträge der Referenten zusammen und erweitert diese durch einen weiteren Aufsatz. In ihnen kommt eine Neubesinnung auf das Wesen der christlichen Familie zum Ausdruck, die heutzutage in die Fahrwasser von Pride und Patchwork gerät. 
Markus Graulich ruft die vier Aufgaben der Familie in Erinnerung, wie sie Papst Johannes Paul II formuliert: Es geht um die Bildung einer Gemeinschaft von Personen, um den Dienst am Leben, um die Teilnahme an der Entwicklung der Gesellschaft sowie um die Teilnahme an Leben und Sendung der Kirche. In innerer Kohärenz verweisen die sich anschließenden Referate aufeinander und entfalten eine umfassende theologische und philosophische Betrachtung der (christlichen) Familie.

Die Wurzeln der „Ehe für alle“ und das Selbstverständliche der Zweigeschlechtlichkeit

Den Anfang markiert Stephan Kampowski mit dem Beitrag „Gottes Plan – die Familie?“ Der philosophische Anthropologe legt mit grundsätzlichen Überlegungen rund um die Schöpfungsordnung und ihre Ignoranz – zum Beispiel durch die „Ehe für alle“ – Fundamente, auf denen die weiteren Beiträge aufbauen. Er gräbt tief, wenn er die „Ehe für alle“ als das Ergebnis eines längeren Prozesses herausstellt, der unter anderem mit einer Trennung von Sexualität und Fruchtbarkeit einherging. Sex werde heutzutage ursprünglich steril gedacht, das heißt die potenzielle Entstehung neuen Lebens ist ganz aus dem Blickfeld geraten. Sehr hilfreich und pointiert bringt er eine Unterscheidung der Begriffe „Sinn“ und „Zweck“ der Ehe an, die neu über die Ehelehre nachdenken lässt.

Als nächstes nimmt sich Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz der Verschiedenheit der Geschlechter an und entfaltet das Selbstverständliche, das im postmodernen Denken nicht mehr selbstverständlich ist. Ihr Titel lautet „Zum Glück verschieden: Mann – Frau – Kind. Oder: Das Selbstverständliche neu entziffern“. In vergleichender Betrachtung verschiedener Konzepte stellt sie heraus, was unter Leiblichkeit und Geschlecht zu verstehen ist und wie diese anthropologischen Grundbegriffe nicht selbst entworfen werden, vielmehr Gabe und Aufgabe sind – nicht nur bei sich selbst, sondern auch beim eigenen Kind. Sie formuliert die „Leitplanken“ der Liebe als „Weidezaun“, in dem Liebe gedeihe: „Du allein – Du für immer – mit Dir fruchtbar.“

Familien aktiv an der Seelsorge beteiligen

Der dritte Beitrag stammt von Birgit Kelle und trägt den Titel „Familie in Europa zwischen Auflösung und Zukunft“. Sie zeichnet die düstere gesellschaftliche und politische Lage im Europa der Gegenwart bezüglich der Durchführung einer neuen, familienfeindlichen Agenda unter dem Vorwand der Antidiskriminierung und Toleranz. Sie entlarvt die „moderne Familienpolitik“ als Renaissance des Sozialismus weg von der natürlichen Familie und entfaltet dies am Beispiel der Abstammungsrechtsreform, des Selbstbestimmungsrechts, der Verstaatlichung von Erziehung, des Handels mit der Fruchtbarkeit und vielem mehr. Sie weist zu Recht darauf hin, dass eine neue sexuelle Revolution angestrebt werde.

Bischof Wolfgang Ipolt widmet sich daraufhin der „Seelsorge mit Familien“, wobei sein besonderes Augenmerk auf „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus liegt. So betont er, dass Familien nicht nur Objekt seelsorglichen Handelns seien, sondern kraft ihrer Taufe und Firmung Subjekte der Seelsorgesein sollen. Die Ehe- und Familienpastoral müsse wesentlich ausgebaut und Ehepaare selbst aktiv beteiligt werden. Ipolt zitiert Kardinal Kasper, der 2014 die Familien als „Testfall der Pastoral und Ernstfall der neuen Evangelisierung“ bezeichnet hat, und konkretisiert diesen Gedanken mit Blick auf die Vorbereitung der Sakramente, die „Mit-Evangelisierung“ von Familienmitgliedern, den Zeugnischarakter von Ehepaaren, die Bildung von Familiengruppen und eine evangelisierende Liturgie.

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Den Abschluss des Vortragsbands bildet Ralph Weimann mit dem Aufsatz „Ist die künstliche Befruchtung eine Option (für Christen)?“ Er fasst die kirchliche Position zusammen und scheut sich nicht, dieses höchst sensible Thema nüchtern und klar zu umreißen. Vor einer ethischen Bewertung der In-Vitro-Fertilisation ruft er in Erinnerung, dass ein Mensch von Beginn der Zeugung an Person mit intrinsischer Würde ist. Er fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich des Beginns menschlichen Lebens sowie theologische Aussagen über die Seele des Menschen zusammen, problematisiert die Abkehr vom christlichen Menschenbild und führt Stellungnahmen Roms zum Thema an. Daraufhin erklärt er, wie eine In-Vitro-Fertilisation abläuft, welche Aspekte gegen die kirchliche Lehre verstoßen, welchen Risiken insbesondere die Frau sich unterzieht und wie die Scheidungsrate bei betroffenen Paaren ansteigt.

Heilsame Klarheit über die Keimzelle der Gesellschaft

Insgesamt überrascht das doch dünne Büchlein mit der großen Dichte und Tiefe seines Inhalts. Die ausgewogenen Beiträge beleuchten das Thema aus verschiedenen Perspektiven und stellen sich den aktuellen Fragen und Problemen mit einer heilsamen Klarheit. Dem Leser wird ein regelrechtes Instrumentarium an die Hand gegeben, wodurch er selbst einstehen kann für die Familie als unverzichtbare Keimzelle von Kirche und Gesellschaft.

 Markus Graulich: Familie. Keimzelle der Gesellschaft und Kirche im Kleinen. Fe-Medienverlag, Kisslegg-Immenried 2022, 103 Seiten, ISBN 9783863573638, EUR 6,95

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