Vatikanstadt

Amazonien als Heil der Kirche?

Der Geruch des Sakrilegischen lag über der Synode. Und sie endete mit einem Vorschlag, der Sprengkraft entfalten kann.
Traspontina-Kirche in Rom
Foto: Stefano Dal Pozzolo | Die Traspontina-Kirche war zum Feldlager der Initiative "Amazonia commune" geworden: Ein Boot, Paddel, bunte Teppiche und Töpfe zogen die Aufmerksamkeit auf sich.

Für viele Katholiken ist der Petersplatz wie ein Vorhof zu einer der heiligsten Reliquien der Christenheit, den Gebeinen des heiligen Petrus direkt unter dem Hauptaltar der Basilika. Und auch die wesentlich kleinere Traspontina-Kirche am Anfang der Via della Conciliazione zieht viele Besucher und Beter an, die Gottesdienste sind noch immer voll. Mit ihren reich geschmückten Seitenaltären und der Anbetungskapelle ist sie ein Kristallisationspunkt römischer Frömmigkeit. Für Verehrer des Heiligen, das von beiden Orten ausgeht, war die Amazonas-Synode fast wie ein Sakrileg. Egal, was in der Synodenaula gesprochen wurde – denn davon hat der einfache Katholik ja nichts mitbekommen.

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Die hölzernen Nackten mussten ein Bad im Tiber nehmen

Die Traspontina-Kirche war zum Feldlager der Initiative „Amazzonia comune“ geworden, ein Boot, Paddel, bunte Teppiche und Töpfe zogen die Aufmerksamkeit auf sich. Da, wo sonst Gläubige vor dem Allerheiligsten knien oder andächtig Kerzen entzünden. Und mitten drin wieder die beiden Holzstatuen zwei nackter schwangerer Frauen. Bei einem indigenen Kreuzweg auf dem Petersplatz waren sie dabei – und auch bei dem Baum-Ritus in den Vatikanischen Gärten vor Beginn der Synode standen sie im Mittelpunkt, wo Indio-Frauen vor ihnen auf dem Boden hockten und sie verehrten.

Ebenjene hölzernen Nackten mussten ein Bad im Tiber nehmen. Das Video, das zwei junge Männer zeigt, die die Statuen in der Traspontina-Kirche einsammelten und beim Morgengrauen und vor dem heiligen Michael auf der Engelsburg in das trübe Wasser warfen, ging wie ein Lauffeuer durch das weltweite Netz der Sozialen Medien. Und als Papst Franziskus sich in der Synodenaula dafür entschuldigte, dass die Holzfiguren in den Tiber geworfen worden waren, nannte er die Fruchtbarkeitsgöttinnen beim Namen: „Ich möchte ein Wort über die Statuen der Pachamama sagen, die aus der Kirche in der Traspontina entfernt wurden und ohne götzendienerische Absichten dort waren und in den Tiber geworfen wurden.“ Dies sei in Rom geschehen, „und als Bischof dieser Diözese bitte ich die von dieser Geste beleidigten Menschen um Verzeihung“. Nicht um Verzeihung bat der Papst all die Katholiken, die rund um den Erdball tief bestürzt darauf reagiert hatten, dass diese heidnischen Statuen zu einer Symbolfigur der Amazonas-Synode geworden waren.

Die Indigenen zeigten ihr amazonisches Gesicht mit Stolz

Entkolonialisierung der Kirche in Lateinamerika, hieß eins der Stichworte, die sich die Protagonisten des panamazonischen Netzwerkes REPAM und der Initiative „Amazzonia: Casa comune“ auf die Fahnen geschrieben hatten. 500 Jahre lang sind europäische Missionare aufgebrochen, um den Stämmen und Einwohnern des Amazonasbeckens das Evangelium zu bringen. Jetzt, zur Synode, waren die Indigenen nach Europa, nach Rom, gekommen, um ihr amazonisches Gesicht zu zeigen. Und sie taten das mit einem gewissen Stolz. Rom habe sich „amazonisiert“, sagte der peruanische Kardinal Pedro Barreto SJ, der Vizepräsident des Netzwerkes REPAM ist, zum Abschluss der Synode vor Journalisten – dank, wie er weiter meinte, „der indigenen Brüder und dank Bruder Franziskus“. Er sei überzeugt, so der Kardinal, dass Rom, das Zentrum der Christenheit und die Basilika mit dem Petrusgrab, amazonisch würden. „Für mich war dafür das bezeichnende Bild“, so Barreto, „als Papst Franziskus zu Beginn der Synode – von Indigenen Amazoniens umgeben, mit deren traditionellen Gewändern und vor ihnen ein Kanu, das ihr Transportmittel und ihre Arbeit charakterisierte, und einem Netz, was sehr evangeliumsgemäß wirkte – zur ,Aula Paolo VI’ zog“.

Der Text des Schlussdokuments geriet schwach

Das war draußen, rund um Vatikan und Synodenaula herum. Und drinnen, im Zentrum des Geschehens? Aufregung über den Entwurf des Schlussdokuments. Es war ein schwacher Text geworden, der nicht annähernd so detailliert und vielschichtig war, es bei den Interventionen während der Genaralkongregationen geklungen hatte. In der letzten Beratungswoche haben die Synodalen schließlich Druck gemacht: 600 bis 800 Eingaben sollen es gewesen sein, mit denen die zwölf Sprachgruppen der Versammlung den für viele viel zu gemäßigten Entwurf für das Abschlussdokument aus der Redaktionskommission auf die Linie der Synodenmehrheit brachten. Am späten Samstagnachmittag präsentierten die beiden Sondersekretäre der Synode, Kurienkardinal Michael Czerny SJ und Bischof David Martinez der Aguirre Guinea OP aus Peru, vor den Journalisten die Ergebnisse.

Die Amazonas-Synode votiert demnach laut Synodentext für die Priesterweihe verheirateter Ständiger Diakone im Einzelfall und schlägt dem Papst vor, die Frage des Frauendiakonats an eine neu aufgelegte Expertenkommission bei der Glaubenskongregation zu verweisen. Die Weihe von Diakoninnen sei auf der Synode „sehr präsent“ gewesen, heißt es im Schlussdokument. Die Empfehlung der Priesterweihe Ständiger Diakone und der weiteren Vertiefung der Frage des Frauendiakonats erhielten dann auch die meisten Gegenstimmen bei der Schlussabstimmung am Samstag, 41 beziehungsweise 30 der insgesamt 185 stimmberechtigten Synodalen.

„Sozioökologischen Krise“ noch nie dagewesenen Ausmaßes

Ansonsten spricht das Schlussdokument in vier von insgesamt fünf Kapiteln von einer vierfachen Bekehrung: der pastoralen – die Kirche der Zukunft solle eine samaritanische, barmherzige, solidarische Kirche sein, eine „magdalenische“ Kirche, „die sich geliebt und versöhnt fühlt und mit Freude und Überzeugung den gekreuzigten und auferstandenen Christus verkündet“. Sodann eine kulturelle Bekehrung: Das Schlussdokument wirbt für eine Allianz mit den amazonischen Völkern. Es spricht von der Notwendigkeit, „Attentate gegen das Leben und die Gemeinschaften Indigener“ anzuzeigen und Projekte zu demaskieren, die deren Rechte einschränken.

In den Abschnitten über die ökologische Bekehrung spricht der Synodentext von einer „sozioökologischen Krise“ noch nie dagewesenen Ausmaßes. Die Kirche müsse sich dringend mit der unbegrenzten Ausbeutung des „gemeinsamen Hauses und seiner Bewohner“ auseinandersetzen. Und schließlich die synodale Bekehrung: Für ein neues Miteinander brauche es eine Kultur des Dialogs und des Zuhörens, der geistlichen Unterscheidung und des Konsenses. Die Synode stellt diese Aufgabe als dringlich heraus, um „Klerikalismus und willkürliche Eingriffe“ zu überwinden.

Amazonischer Ritus soll geschaffen werden

Die ins Auge gefasste Weihe Ständiger Diakone zu Priestern könnte auch ein Stichwort für den „Synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland sein. Der Vorschlag der Bischöfe an den Papst lautet, Kriterien und Verfügungen zusammenzustellen, um geeignete und in ihrer Gemeinde anerkannte Männer zu Priestern zu weihen, die schon Ständige Diakone sind, eine angemessene Ausbildung für das Priestertum erhalten und in einer legitimen und stabilen Familie leben. Und einige Synodenväter schlugen vor, sich dieser Frage auch universalkirchlich zu nähern, heißt es in dem Synodentext.

Dann die Frauen. Das Frauendiakonat, das im Vorfeld und während der Synode von vielen herbeigesehnt wurde, solle der Papst, so der Vorschlag des Abschlussdokuments, an die erweiterte und/oder erneuerte Kommission zurückverweisen, die sich – ohne eindeutiges Ergebnis – zwei Jahre lang bis 2018 mit der Frage befasst hatte. Vorerst aber bittet die Synode, für Frauen, die in Amazonien Gemeinden leiten, ein dementsprechendes offizielles Amt einzurichten.

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Ein weiterer Vorschlag der Synode an den Papst ist schließlich die Schaffung eines amazonischen Ritus: Eine Kommission solle sich, angelehnt an die Gebräuche der einheimischen Völker, an die Ausarbeitung eines solchen Ritus machen, in dem das liturgische, theologische, disziplinäre und geistliche Erbe Amazoniens zum Ausdruck kommt. Dieser würde zu den bereits in der katholischen Kirche existierenden 23 Riten hinzutreten. Gemeint sind vor allem die ostkirchlichen Riten. Ein Vorschlag, den Kardinal Kurt Koch, der Präsident des vatikanischen Einheitsrats, skeptisch beurteilt: Die Ostkirchen seien aus alten orthodoxen Traditionen gekommen und hätten diese mitgebracht, als sie die Einheit mit Rom suchten. In der Amazonas-Region sehe er dagegen nicht viel, auf das man historisch aufbauen könnte, so Koch gegenüber dieser Zeitung. Auch zu diesem Abschnitt des Schlusstextes gab es mit 29 Neinstimmen eine relativ hohe Zahl an Ablehnungen.

Verheiratete Diakone zu Priestern weihen

Es wird erwartet, dass Papst Franziskus dem Schlussdokument noch in diesem Jahr ein postsynodales Apostolisches Schreiben folgen lässt, das dann bindende Kraft hat. Noch vor der Veröffentlichung des definitiven Synodentextes am Samstag gab das panamazonische Netzwerk REPAM eine Erklärung heraus, die sich vom Schlussdokument der Synode in gewisser Weise distanziert: Es sei zwar „ein sehr wichtiges Werkzeug“, aber es werde „letztlich nicht entscheidend sein“ für die „neuen Wege“, die die Kirche in Amazonien gehen wolle. Ausdrücklich fordert das REPAM dazu auf, „nicht denen in die Falle zu gehen, die nichts ändern wollen und die es gerne sähen, wenn das alles hier jetzt zu Ende wäre“.

Zum Thema umfassende Ökologie und zu den neuen Wegen der Kirche hat das Abschlussdokument sich am Ende in rhetorisch starken Worten geäußert, so wie es auch zum Ende des synodalen Prozesses zu Ehe und Familie 2014 und 2015 der Fall war. Und so erinnert der Ausgang der römischen Sonderversammlung zu Amazonien an den der Familien-Synode vor vier Jahren: Die Bischöfe hatten die Tür für die Kommunionzulassung wiederverheirateter Geschiedener im Einzelfall einen Spalt breit geöffnet – und mit „Amoris laetitia“ ging Papst Franziskus dann hindurch. Auch die Amazonas-Synode hat eine Tür aufgemacht: für die Priesterweihe verheirateter Männer im Einzelfall – und alle warten nun auf das postsynodale Schreiben von Franziskus, der diesen Spalt wohl kaum wieder schließen wird.

Kleine Fußnoten mit immensen Auswirkungen

Auch das Schreiben „Amoris laetitia“ hat in sieben Kapiteln umfassend und lang Richtiges und Schönes über Ehe und Familie gesagt, um aber dann mit zwei Fußnoten in Kapitel acht die Kirche zu elektrisieren. Kleine Fußnoten am Ende des synodalen Wegs zu Ehe und Familie haben damals gereicht, um quer durch die ganze Weltkirche einen völlig unterschiedlichen Umgang mit der Kommunion für zivil Wiederverheiratete und eine Infragestellung der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe zu fördern.

Mit Blick auf den „Synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland wird man nun erleben, wie die kirchensteuerfinanzierten Medien das synodale Ja zu den „im Einzelfall zu weihender Ständigen Diakonen“ zum Einfallstor für eine ganze Flut von Forderungen von Theologen, Verbandskatholiken und vielleicht auch Bischöfen machen werden, der den „Synodalen Weg“ mit der Forderung nach den „Viri probati“ zusätzlich unter Druck setzen wird. Bei dem entsprechenden Absatz des Schlussdokuments der Amazonas-Synode handelt es sich nur um einen einzigen von insgesamt 120. Aber der wird in Deutschland seine Wirkung entfalten.

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