Der Rahmen war majestätisch. Unter der schon im Juni sengend heißen Sonne bot das Münchener Schloss Nymphenburg eine herrschaftliche Kulisse, um Joseph Ratzinger zu ehren, den deutschen Papst, der am vergangenen Karsamstag 95 Jahre alt geworden war. Kein Wölkchen spendete Schatten, als sich am vergangenen Samstagvormittag die Besucher aus den klimatisierten Bussen und Pkw s schälten, um dem königlich bayerischen Anwesen ihre Aufwartung zu machen. Unter der Masse der Touristen fielen die dreihundert Gäste nicht sonderlich auf, die den etwas seitlich gelegenen Orangerietrakt des Schlosses ansteuerten, wo man im Hubertussaal dem emeritierten Papst wohl zum letzten Mal auf deutschem Boden einen Festakt widmete. Die Veranstalter hatten das Datum wegen der Corona-Schutzmaßnahmen vom 16. April in der Karwoche in den Juni geschoben.
Prominente Gäste
Immerhin: Prinz Ludwig von Bayern war gekommen und ebenso steuerte der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber mit seiner Frau Karin den Hubertussaal an. Erzpriester Apostolos Malamoussis vertrat den griechisch-orthodoxen Metropoliten Augoustinos in Deutschland. Und der Apostolische Nuntius in Berlin, Erzbischof Nicola Eterovi, repräsentierte nicht nur Papst Franziskus, sondern war auch gekommen, weil er unter Benedikt XVI. lange Zeit das römische Synodensekretariat geleitet hatte. Weihbischof Josef Graf aus Regensburg vermittelte zumindest einen Hauch des bayerischen Episkopats, zu dem einst auch Joseph Ratzinger gehört hatte. Ansonsten waren Schüler, Freunde und Verehrer der Einladung gefolgt, viele aus Deutschland, aber manche auch aus Belgien, Österreich, Irland, Südafrika, Polen, Frankreich, Italien und der Schweiz.
Der Festakt:
Einladender und Organisator der überaus gelungenen Matin e zu Ehren des deutschen Papstes, der das Vokalensemble ehemaliger Sänger der Regensburger Domspatzen unter der Leitung des langjährigen Chorleiters Karl-Heinz Liebl und der Regensburger Domorganist Franz-Josef Stoiber am Flügel immer wieder musikalische Glanzlichter aufsetzten, war nicht wie ursprünglich angedacht die Bayerische Staatsregierung. Deren Part hatten die "Hüter" des geistlichen Vermächtnisses des deutschen Gelehrten übernommen, die "Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung", die 2005 aus dem sogenannten Ratzinger-Schülerkreis hervorgegangen war, und das Regensburger "Institut Papst Benedikt XVI.", das die Gesammelten Schriften Ratzingers editiert.
Für die Stiftung fragte der Theologe und Vorsitzende des Stiftungsrats, Achim Buckenmaier, bei der Begrüßung, ob man angesichts der "Nachrichten der vergangenen Tage aus der Kirche in Deutschland" überhaupt noch feiern könne. Man könne zumindest danken, weil Gott "immer wieder aufrechte, lautere und gottesfürchtige Menschen in ihr erweckt". Und man müsse in Erinnerung rufen, was manche vergessen hätten oder nicht auszusprechen wagten: "dass die Kirche in unserem Land nicht nur einen Papst, sondern auch einen der wichtigsten Theologen und Denker des 20. und 21. Jahrhunderts hervorgebracht hat".
Papa emeritus schaut zu
Dieser Denker hat jedoch kein theologisches System erdacht oder nur für eine intellektuelle Elite geschrieben. Dass uns ein Papst eine Trilogie über Jesus von Nazareth geschenkt habe, meinte Christian Schaller, stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI., in seinem Grußwort, mache noch einmal deutlich, worum es Joseph Ratzinger ging: Um die Hinführung des Menschen zum Glauben an den Sohn Gottes, der "keine bloße Regel ist, kein ideologisches Gebäude, keine lebensfremde Kasuistik", sondern die Begegnung mit einer Person. Wie tröstlich sei ein Glaube, so Schaller, "in dem ich einem Du begegnen darf".
Dass dieser Theologe und Denker Joseph Ratzinger in gewisser Weise bei dem Festakt "dabei" war, machten die Moderatorin Gudrun Sailer von "Vatican News" wie auch andere Referenten auf dem Podium immer wieder deutlich: Sie sprachen Benedikt direkt an. Ein Techniker hatte am Vortrag das Fernsehgerät im Klösterchen "Mater Ecclesiae" im Vatikan so eingerichtet, dass der Emeritus die Veranstaltung über den Fernsehsender EWTN verfolgen konnte, der sie live übertrug. Und das wollte Benedikt auch tun, wie Erzbischof Georg Gänswein am Rande versicherte.
Gänswein war es auch, der als langjähriger Sekretär des amtierenden wie des emeritierten Papstes in seinem Grußwort den Theologen und Kardinal Ratzinger in das Spannungsverhältnis zwischen Katheder und Cathedra stellte.
Wie der heilige Bonaventura, neben Augustinus der große geistliche Lehrer Ratzingers, seine Tätigkeit aufgeben musste, weil er Generalminister des Franziskanerordens geworden war, so sei auch Joseph Ratzinger von seinem universitären Katheder wegberufen worden, um als Erzbischof, Präfekt und Papst höchste Verantwortung zu übernehmen. Dass auch in dieser zweiten Phase seine Schriften "die Seele seiner Regierung" gewesen seien und "dass er vor allem mit dem theologischen Denken die Kirche geleitet hat, kann man", so Gänswein, "zweifellos von Papst Benedikt XVI. genauso sagen wie von Bonaventura". Ratzinger habe dabei "Theologie nie als akademisches Glasperlenspiel betrieben", sondern als Beitrag zu einer glaubwürdigen Verkündigung des Wortes Gottes. Ratzingers Grundüberzeugung sei es gewesen: "Wer dem Menschen weniger gibt als Gott, gibt ihm zu wenig."
Festvortrag von Ratzinger- Preisträgerin
Diesen Aspekt Gänsweins griff Marianne Schlosser auf, die als Ratzinger-Preisträgerin des Jahres 2018 und an der Universität Wien lehrende Theologin den Festvortrag hielt. Sie sprach über den Geehrten als "Hirte und Lehrer", für den die Wahrheitsfähigkeit des Menschen eine der zentralen Fragen gewesen sei. Die Kirche müsse auch heute von der Wahrheit des Menschen und seiner transzendenten Würde sprechen, führte Schlosser anhand zahlreicher Zitate Ratzingers aus. Die Wahrheit sehen und die Wahrheit mitteilen das sei ein universaler Dienst an der Allgemeinheit: "Die Kirche muss mit ihrer Verkündigung das Auge im Leib der Menschheit sein", formulierte die Referentin. Und wenn das Auge nicht gesund sei, wenn die Kirche nicht Ausschau halte nach Jesus Christus, habe das schlimme Auswirkungen, nicht nur für die Kirche selbst, sondern für den ganzen Leib, die Menschheitsfamilie.
Marianne Schlosser kam auch auf den bekannten Aufsatz über "Die neuen Heiden und die Kirche" aus dem Jahr 1958 zu sprechen, in dem der junge Ratzinger bereits den Einzug eines rein weltlichen Denkens in die Kirche beschrieben hatte und zu einer so wortwörtlich "Entweltlichung" mahnte. Die Referentin stellte den Begriff der Entweltlichung als ein kirchliches Handeln dar, das auf alle Strategien verzichtet, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen. Es gehe bei der Entweltlichung eben nicht um den Rückzug von der Welt, nicht um Abkapselung, sondern um eine Verkündigung auf der Grundlage der gegebenen Situation, nicht darum, eine neue Taktik finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen.
Keine Ansammlung von Ideen
Jegliche Taktik sei abzulegen und stattdessen sei nach einer Redlichkeit zu suchen, die nichts von der Wahrheit ausklammere. Die tiefste Wurzel der Glaubenskrise für den Theologen Ratzinger wie für den Papst, so Schlosser, sei ein auch mitten in der Kirche vorzufindender Deismus, eine atmosphärisch verbreitete Haltung zu meinen, dass Gott in dieser Welt nicht handele und eingeschlossen sei in die subjektive Innerlichkeit der Gläubigen, dass Jesus Christus eine Person der Vergangenheit sei und sich Gott nicht für uns interessiere. Für Joseph Ratzinger aber sei der Glaube keine Ansammlung abstrakter Ideen, sondern der Fluss des neuen Lebens aus Jesus Christus bis in die Gegenwart.
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