Im Januar 1899 sandte Papst Leo XIII. dem Erzbischof von Baltimore, Kardinal James Gibbons, das Apostolische Schreiben „Testem benevolentiae“. Er verurteilte darin die Theorie des „Amerikanismus“. Dieser Versuch, die katholische Kirche in die freiheitlich-demokratische Gesellschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zu inkulturieren, zeichnete sich zwar – bei wohlwollender Interpretation – dadurch aus, dass er den Menschen den Weg in die Kirche bahnen sollte. Aber „Amerikanismus“ bedeutete auch, „aufgeschlossener für moderne Bestrebungen und Theorien“ zu sein.
Eine Kirche
So weit, so gut. Dies sollte jedoch gelten „auch für jene Lehren, die in dem der Kirche hinterlegten Glaubensgut enthalten sind“. Der „Amerikanismus“ wolle deshalb, so fasste Papst Leo XIII. zusammen, „gewisse Lehren als weniger wichtig mit Schweigen übergehen oder so abschwächen, dass sie nicht mehr den gleichen Sinn haben, den die Kirche ihnen bisher zugeschrieben hat“.
Papst Leo XIII., der alles andere als ein Hitzkopf war, lehnte ruhig, aber mit Festigkeit dieses Ansinnen ab. An Kardinal Gibbons gerichtet, aber für alle Bischöfe in den Vereinigten Staaten von Amerika bestimmt, hielt er fest: „Tatsächlich erweckt er [der Amerikanismus] den Anschein, als gäbe es unter euch Menschen, die für Amerika eine andere als die auf der ganzen Erde verbreitete Kirche planen und wünschen.
Es gibt nur eine Kirche, die eine ist durch die Einheit der Lehre wie durch die Einheit der Leitung, und das ist die katholische Kirche; und weil Gott als ihr Zentrum und ihre Grundlage den Stuhl des heiligen Petrus gestiftet hat, wird sie zu Recht die römische genannt, denn ,wo Petrus ist, ist die Kirche‘ (Ambrosius, In Ps. 11, 57). Deshalb muss jeder, der katholisch genannt werden will, sich aufrichtig die Worte des heiligen Hieronymus an Damasus zu eigen machen: ,Ich folge keinem anderen Herrn als Christus und bleibe deshalb Eurer Heiligkeit, das heißt dem Stuhle Petri verbunden; ich weiß, dass die Kirche auf diesen Felsen gegründet ist und dass jeder, der nicht mit Euch sammelt, zerstreut.‘“
Kirchlicher Amerikanismus
In den Vereinigten Staaten von Amerika ließen sich Teile der Kirche vom gesellschaftlichen Machbarkeitswahn blenden und wollten eine systemkonforme „amerikanisch-katholische“ Kirche bauen. Durch dogmatische Abrüstung sollte sie sich dem damals herrschenden Zeitgeist anpassen. Wenn man den Glaubenseifer der amerikanischen Katholiken des 19. Jahrhunderts kennt, darf man ihnen nicht nur unedle Motive unterstellen. Den Vorwurf der Naivität und des unklugen Enthusiasmus kann man ihnen jedoch nicht ersparen.
Was in Deutschland mit dem „Synodalen Weg“ grassiert, könnte man in Analogie zum „Amerikanismus“ als „Teutonismus“ bezeichnen. Es ist auch ein Versuch, die Kirche in einer ihr weltanschaulich-kulturell fremden Gesellschaft aufgehen zu lassen, um sie wieder „erfolgreich“ zu machen. Den Verfechtern des zeitgenössischen „Teutonismus“ kann man diesbezüglich zwar ebenfalls Eifer attestieren, aber eher so, wie Papst Leo XIII. in „Testem benevolentiae“ den heiligen Augustinus zitierte: „Große Anstrengungen, schneller Lauf, aber abseits der Wege (In Ps. 31, 4).“
Über Motive zu urteilen, ist heikel. Aber es ist nicht zu verkennen, dass die Advokaten des „Teutonismus“ gesellschaftlich systemrelevant bleiben wollen mittels des Versuchs, systemkonform zu sein. In einer postchristlichen Gesellschaft geht dies nur, wenn bestimmte Elemente der Glaubens- und Sittenlehre mit Schweigen übergangen oder so verändert werden, „dass sie nicht mehr den gleichen Sinn haben, den die Kirche ihnen bisher zugeschrieben hat“.
Man hüte sich
Man möchte deshalb den „Teutonisten“ in Erinnerung rufen, was Papst Leo XIII. den Katholiken Amerikas ins Stammbuch schrieb: „Man hüte sich also davor, von der von Gott empfangenen Lehre irgendetwas wegzunehmen oder auszulassen, aus welchem Grunde auch immer, denn derjenige, der es täte, würde eher die Katholiken von der Kirche trennen, als diejenigen zur Kirche zurückführen, die sich von ihr getrennt haben.“
Der „Synodale Weg“ in Deutschland ist inzwischen in einem Maß vom Weg abgekommen, dass gegen den „Teutonismus“ ein neues Apostolisches Schreiben „Testem benevolentiae“ erforderlich geworden ist. Übersetzt heißen diese Worte übrigens „Zeichen des Wohlwollens“. Denn es sind Werke der Barmherzigkeit, die über den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirche Trauernden zu trösten, die bezüglich der Glaubensinhalte Unwissenden zu lehren und den an der Zukunft der Kirche Zweifelnden zu raten.
Der Autor ist habilitiert in Kirchenrecht und Residierender Domherr in Chur. Zuvor amtete er als Generalvikar des Bistums Chur.
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