Es hätte das erste normale Weihnachtsfest in Rom nach der Corona-Epidemie sein können. Hätte. Die in früheren Jahren mit klammen Gefühlen erwartete Ansprache des Papstes an die engsten Mitarbeiter im Vatikan war zahm geblieben. Kein „Knüppel aus dem Sack“, keine Krankheiten der Römischen Kurie, keine Arzneien zu deren Bekämpfung.
Papst entschuldigt sich
Franziskus sprach über die tägliche Gewissenserforschung und die beständige Bekehrung, auch bei denen, die glauben, bereits in Sicherheit zu sein: Gerade die, die im Zentrum der Kirche, im Vatikan, lebten und arbeiteten, müssten größte Vorsicht walten lassen, die daher rühre, „dass unser gegenwärtiges Leben formell zu Hause stattfindet, innerhalb der Mauern der Institution, im Dienst des Heiligen Stuhls, im Herzen der Kirche; und gerade deshalb könnten wir der Versuchung erliegen, zu denken, dass wir in Sicherheit sind, dass wir besser sind, dass wir uns nicht mehr bekehren müssen.
Wir sind in größerer Gefahr als alle anderen, weil wir vom ,gut erzogenen Dämon‘ versucht werden, der nicht lärmend daherkommt, sondern Blumen mitbringt.“
Und dann ging Franziskus doch noch auf seine harten Ansprachen ein, die er in früheren Jahren bei dieser Gelegenheit gehalten hatte: „Entschuldigt, liebe Brüder und Schwestern, wenn ich manchmal Dinge sage, die hart und streng klingen; es ist nicht so, dass ich nicht an den Wert von Sanftheit und Zärtlichkeit glaube, sondern weil es gut ist, Zärtlichkeiten für die Müden und Bedrängten zu reservieren und den Mut zu finden, ,die Getrösteten zu betrüben‘, wie der Diener Gottes Don Tonino Bello zu sagen pflegte, denn manchmal ist ihr Trost nur eine Täuschung des Teufels und keine Gabe des Geistes.“

Das war am 22. Dezember gewesen, die Weihnachtsfeiertage standen vor der Tür. Doch dann veröffentlichte Kardinal Angelo De Donatis, der Vikar des Papstes für die Diözese Rom, am Tag darauf eine Note im Namen des Generalvikariats des römischen Bistums, die den bestürzenden Fall des slowenischen Jesuitenpaters Marko Ivan Rupnik thematisierte, der als Künstler und beliebter Prediger seit den Jahren Johannes Pauls II. auch in Rom zu einer bekannten Größe geworden war. Rupnik hatte im für ihn typischen Stil seiner goldgewirkten Mosaiken im Auftrag des polnischen Papstes die Päpstliche Kapelle „Redemptoris Mater“ im Apostolischen Palast ausgeschmückt. In der Basilika von San Giovanni Rotondo hatte er die Krypta ausgestattet, in der Pater Pio seine letzte Ruhestätte fand – der Volksheilige ruht heute in einer Unterkirche aus Gold. Rupnik ist Direktor des künstlerisch-spirituellen „Centro Aletti“ in Rom, wurde 1999 Konsultor des Päpstlichen Kulturrats, gestaltet das Logo für das Jahr der Barmherzigkeit 2016 und erhielt 2017 die Ernennung von Papst Franziskus zum Konsultor der Kleruskongregation.
Exerzitien gehalten
Noch 2020 hielt Pater Rupnik in der vatikanischen Audienzhalle die Fastenexerzitien für die im Vatikan tätigen Priester, an denen auch Papst Franziskus und Kardinal Luis Ladaria teilnahmen. Da hatte schon zwischen der Generalkurie der Jesuiten und der von Ladaria geleiteten Glaubenskongregation ein Schriftwechsel stattgefunden, der den Pater betraf. Ordensfrauen beschuldigten Rupnik seit Jahren, sie in Slowenien und Italien sexuell missbraucht und sie in der Beichte von der gemeinsam begangenen Sünde gegen das sechste Gebot freigesprochen zu haben – ein Vergehen, das die Tatstrafe der Exkommunikation zur Folge hat, die wegen der Schwere der Tat nur der Papst persönlich aufheben kann.
Jetzt im Dezember waren die Vorwürfe der (zum Teil ehemaligen Ordensfrauen) im Internet öffentlich geworden. Am 19. Dezember veröffentlichte schließlich der Jesuitenorden eine Chronologie des Falls: Bereits im Juli 2019 hatte die Glaubenskongregation die Leitung der Gesellschaft Jesu aufgefordert, einen administrativen Strafprozess gegen Pater Rupnik zu eröffnen. Im Mai 2020 – der Pater hatte gerade die Fastenexerzitien in Anwesenheit des Papstes gehalten – fertigte die Glaubenskongregation das Dekret der Exkommunikation aus – und noch im gleichen Monat hob Franziskus mit einem weiteren Dekret der Glaubenskongregation diese Exkommunikation wieder auf, weil Rupnik alles zugebe und bereue, wie es heute heißt.
Schwere Anschuldigungen
Und nun gab Kardinal De Donatis als Papstvikar einen Tag vor Heiligabend eine Erklärung ab, in der er beteuerte, dass Pater Rupnik in der Diözese Rom eine herausragende Persönlichkeit gewesen sei und auch die Kapelle des römischen Priesterseminars dekoriert habe, aber in keiner Weise „unter der hierarchischen Leitung des Generalvikars“ der Diözese Rom stehe, sondern seine geistlichen Autoritäten in der Leitung des Jesuitenordens und der Glaubenskongregation habe. Das römische Bistum aber stehe allen nahe, die dieser Fall schmerzlich berühre und sie verunsichere, und es sei zu jeder Art von Zusammenarbeit mit der Leitung des Jesuitenordens bereit.
Diese öffentliche Distanzierung des römischen Generalvikariats von jeder Zuständigkeit für den Fall Rupnik sorgte dann am 24. Dezember für Schlagzeilen in allen italienischen Zeitungen. Eine schöne Bescherung.
Die im Dezember auf Internet-Seiten öffentlich gemachten Anschuldigen missbrauchter Nonnen hatten nur Eingeweihte erreicht. Jetzt aber zog der Fall Rupnik weite Kreise und beherrschte die Feiertagsgespräche hinter den Mauern des Vatikans. Es gibt Priester, die wegen weit geringerer Vorwürfe in den Laienstand zurückversetzt werden. Bei Pater Rupnik hat der Papst eine Exkommunikation innerhalb weniger Tage zurückgenommen. Was für Johannes Paul II. der Fall des Legionärs-Gründers Marcial Maciel war, drohe nun der Fall Rupnik für Papst Franziskus zu werden, schrieben einige Medien. Und es wiederholte sich in Rom, was wohl schon überall auf der Welt bei Missbrauchsverbrechen durch Kleriker geschehen ist: Ein Verfahren nach sündhafter Tat, das ganz im „Forum internum“, also in der Verschwiegenheit von Anklage, Reue, Lossprechung und Bekehrung angesiedelt war, wurde nun ins „Forum externum“ transportiert, auf die Schaubühne der Medien – befördert durch die öffentliche Note des römischen Kardinalvikars De Donatis.
Gedenken zu Weihnachten
„Schwierigste Tage für die Jesuiten in aller Welt und auch für Papst Franziskus“, schrieb der vatikannahe Online-Dienst „Il sismografo“. Man fragt sich allgemein, warum Pater Rupnik als Künstler- und Prediger-Star nach außen weitermachen durfte wie bisher, obwohl seine Oberen – im Jesuitenorden wie auch Glaubenskongregation und Papst – wussten, welche schweren Vergehen er an Ordensfrauen begangen hatte.
Papst Franziskus feierte Weihnachten nach Programm. Die Messe im Petersdom in der Heiligen Nacht, die Botschaft „Urbi et orbi“ zu Mittag am Weihnachtstag. Wie auch beim „Engel des Herrn“ am folgenden Tag des heiligen Stephanus nahm Franziskus bei der Botschaft vom 25. Dezember die Ukraine mit deutlichen Worten in den Blick: „Unser Blick möge die Gesichter unserer ukrainischen Brüder und Schwestern aufnehmen, die dieses Weihnachten im Dunkeln, in der Kälte oder weit weg von ihrem Zuhause erleben – aufgrund der Zerstörung, die zehn Monate Krieg verursacht haben. Der Herr mache uns bereit, mit konkreten Gesten der Solidarität denjenigen zu helfen, die leiden, und er erleuchte den Verstand derer, die die Macht haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen und diesem sinnlosen Krieg ein sofortiges Ende zu setzen!“
Leid der Unschuldigen
Auch in seiner Predigt während der Christmette hatte er das Leid der Unschuldigen und vor allem der Kinder angeprangert: „Auch dieses Weihnachten macht eine Menschheit, die unersättlich nach Geld, unersättlich nach Macht und unersättlich nach Vergnügen strebt, keinen Platz für die Kleinen, für die vielen ungeborenen, armen, vergessenen Menschen, so wie es bei Jesus auch war. Ich denke dabei besonders an die Kinder, die von Krieg, Armut und Ungerechtigkeit verschlungen werden. Aber Jesus kommt genau dorthin, als Neugeborener in die Krippe der Ausgrenzung und Ablehnung.“
Doch trotz des Kriegs in der Ukraine, trotz des jüngsten Missbrauchsskandals, der zu Weihnachten nicht nur das kirchliche Rom erschüttert hat, schienen die Bedrückungen der Corona-Maßnahmen vergessen zu sein. Zu Tausenden war man zum Petersplatz gekommen. Rom feierte endlich wieder ein normales Weihnachtsfest.
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