Zweites Vatikanum

Erneuerung aus dem Ganzen

Eine weitere Folge in der Reihe über „Köpfe des Konzils“ – „Großes musste geschehen“: Joseph Ratzinge als junger Theologe und Peritus des Zweiten Vatikanums.
Joseph Ratzinger als Konzilstheologe
Foto: Erzbistum München und Freising | Der Kölner Kardinal Joseph Frings (rechts) nahm den jungen Theologieprofessor Joseph Ratzinger als Berater mit zum Konzil nach Rom (undatiertes Foto).

Als Josef Kardinal Frings den jungen Bonner Theologieprofessor Joseph Ratzinger zu seinem theologischen Berater berief, der ihn nach Rom zum Zweiten Vatikanischen Konzil begleiten sollte, waren die Themen und die Schwerpunkte des Konzils bereits in dessen Gedanken und teilweise in seinen Schriften vorhanden: Sakramentalität der Kirche, Offenbarung, Missionstätigkeit, Ökumene und die Reflexionen über das Wesen der Kirche. Es wundert also nicht, dass Ratzinger für den fast erblindeten Kardinal insgesamt elf Redetexte entwarf, die dieser in Sankt Peter vorgetragen hat. Wie intensiv sich die inhaltlichen Auseinandersetzungen mit den Entwürfen der Dokumente gestaltete, zeigt vor allem, dass Ratzinger in seinem theologischen Denken die Probleme reflektiert hat, für die das Konzil als Ganzes eine Antwort bieten wollte.

Nach zwei grausamen Weltkriegen und einer sich neu orientierenden Welt- und Geistesgeschichte wurden der Kirche die fundamentalen Fragen nach ihrer eigenen Rolle in der Welt und nach ihrem ureigenen Wesen gestellt. Und Ratzinger plädierte für eine Erneuerung, für das berühmte „aggiornamento“, damit die Kirche ihren Auftrag auch weiterhin erfüllen könne – jedoch im Koordinatensystem von Schrift, Tradition, ergangener und darin bezeugter Offenbarung, also mit dem Blick auf das bisher Geglaubte und Gedachte.

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Weiterentwicklung statt Bruch

Es ging ihm nicht um einen Bruch, sondern um eine dynamisch-organische Weiterentwicklung, die in der Freilegung des Wesens von Kirche, Glaube, Liturgie und Theologie zu finden ist. Dass er auch zum offiziellen Peritus (Konzilsberater) ernannt wurde und auf diese Weise bei der Erarbeitung und endgültigen Formulierung einiger Konzilsdokumente mitarbeiten konnte, verdeutlicht noch einmal mehr die enge inhaltliche wie biographische Verbindung von Joseph Ratzinger mit dem Konzil und seiner Lehre.

Mit großem Engagement diskutierte er während des Konzils im universitären und öffentlichen Bereich die sich abzeichnenden Entwicklungen und Ergebnisse der Versammlung. Rückblicke auf die einzelnen Sessionen des Konzils wurden zu Klassikern der Interpretation und Kommentierung des aufsehenerregenden Weltereignisses. Sein immer geltender Anspruch, hinter den Vereinzelungen und Spezialisierungen das zusammenhängende Ganze zu suchen und zu erschließen, macht ihn zu einem Konzilstheologen par excellence. Die Herausforderungen, die bewältigt werden mussten, können nur stichpunktartig aufgezählt werden, sind aber in ihrer Komplexität im Grunde immer eine Infragestellung kirchlicher Identität und ein Zurückdrängen der Gottesfrage in der Gesellschaft.

Die Internationalisierung durch neue Kommunikationsmittel hatte zu einer erstmals wahrgenommenen Vielfalt geführt. Da war eine Philosophie, die den Menschen und das Sein denkt ?– ohne Gott. Dazu die heraufkommenden Naturwissenschaften, die den Schöpfer nicht kennen. Und nicht zuletzt die leidvollen Kriegserfahrungen, die einen entmenschlichten Menschen zeigten. Alle diese Fragen waren nicht zu vergleichen mit dem zeitlichen Kontext früherer Konzilien, die sich meist einer reinen – wenn auch oftmals entscheidenden – theologischen Frage widmeten.

Den Glauben aus der gesamten Überlieferung nähren

Für Ratzinger war klar, dass die Antwort im Freilegen der Essenz zu finden ist. In einem Rückblick zehn Jahre nach dem Konzil fasst er daher aufschlussreich die Intention der Konzilsväter und ihre Sicht der theologischen Diskussion zusammen, wenn er schreibt: „Es handelt sich um eine Theologie und eine Frömmigkeit, die sich wesentlich von der Heiligen Schrift, von den Kirchenvätern und von dem großen liturgischen Erbe der Gesamtkirche her aufbaut. Auf dem Konzil war es dieser Theologie darum gegangen, den Glauben nicht nur aus dem Denken der letzten hundert Jahre, sondern aus dem großen Strom der gesamten Überlieferung zu nähren, um ihn so reicher und lebendiger, zugleich aber einfacher und offener zu machen.“

Systematisch ist sein Schwerpunkt – neben der immer wieder aufscheinenden Durchdringung des Begriffes der Kirche – in der Christologie zu sehen. Das entscheidende Moment von Ratzingers Denken im Vor- und Umfeld des Konzils liegt sichtbar darin begründet, dass die Kirche ihr Subjektsein in ihrer Ausrichtung auf Jesus Christus hat. So erklärt sich das Liturgieverständnis (Suche nach dem inneren Wesen), die ökumenische Grundhaltung (Einheit von Christus durch das gemeinsame Bekenntnis zu ihm), die Einordnung der Begriffe „Volk Gottes“ und „Leib Christi“ (mit der trinitarischen Grundausrichtung) von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Letztlich ist alles denkbar im Horizont des Heraustretens aus dem eigenmächtigen Denken, das abgrenzt, und des Hineintretens in die Wahrheit, die wir allein in Gott finden und von ihm her empfangen.

Ohne Ratzinger ist das Konzil nicht zu verstehen

Biographisch sind die unzähligen internationalen Begegnungen und die damit einhergehenden Diskussionen für Ratzinger prägend geworden für sein ganzes Leben. Traf er nicht in Karl Rahner, Yves Congar, Henri De Lubac, Jean Daniélou und Alois Grillmeier wirkmächtige Denker und Gelehrte, denen er nicht nur im gemeinsamen wissenschaftlichen Ringen verbunden blieb, sondern auch in einer persönlichen Weise? Im Spiegel der Weltkirche sind bleibende, weiterführende und weitergedachte Impulse und Gedankenfelder zur Arbeit Ratzingers hinzugetreten, die er aber letztlich selbst durch seine Mitarbeit auf dem Konzil mitgestaltete und positionierte.

Ein Zweites Vatikanisches Konzil ohne Person und Theologie von Joseph Ratzinger zu denken und zu verstehen, ist nicht möglich. Dass er bewusst sein eigenes Pontifikat auch in den Dienst der Vertiefung der konziliaren Lehre in allen Facetten gewidmet hat, zeigen nicht zuletzt die letzte Ansprache als amtierender Papst an den Klerus seiner Diözese Rom wie das Vorwort zu Band 7 der „Joseph Ratzinger Gesammelten Schriften“, der die Texte im Umfeld des Konzils systematisch geordnet zur Verfügung stellt. Sowohl für die zukünftige Interpretation und historische Einordnung des Pontifikats sind die in der Rede und im Vorwort vorgenommenen Kommentierungen und umfassenden Darstellungen der Dokumente des Konzils von außerordentlicher Bedeutung.

Die Spannung, die von den damaligen Konzilsteilnehmern empfunden wurde, drückt er in der letzten großen Ansprache seines Pontifikats mit den Worten aus: „Es gab eine unglaubliche Erwartungshaltung. Großes musste geschehen.“ Die Verantwortung, die sich darin findet, wurde aber mit Freude und Liebe zur Kirche und zu den Menschen angenommen und mit einer Bescheidenheit wahrgenommen, die einer Erneuerung der Kirche in der Welt durch ein tieferes Verstehen ihres Wesens als Kirche Jesu Christi dienen wollte.

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