In konservativen Kreisen hört man den Namen des Dominikanerpaters Edward Schillebeeckx nicht gern. Während in diesen Gruppen seine Theologie und die daraus folgenden Probleme mit dem Heiligen Offizium und der Glaubenskongregation gegen ihn angeführt werden, sind sie im anderen kirchenpolitischen Lager der Grund, ihn zu feiern und jede Menge Aufmerksamkeit auf ihn zu ziehen. Ganze Generationen von Theologen haben über seine Bücher und Schriften Diplomarbeiten verfasst und promoviert.
Schillebeeckx wurde im Jahr 1914 in Antwerpen in einer kinderreichen Familie geboren. Trotz des Besuchs der Jesuitenschule in Tornhout und trotz der Berufung seines Bruders in die Gesellschaft Jesu trat er 1934 in den Dominikanerorden ein. Er studierte Philosophie und Theologie und lehrte Dogmatik an der Katholischen Universität in Löwen. Als Kardinal Alfrink ihn 1962 als seinen persönlichen Berater zum Zweiten Vatikanischen Konzil mitnahm, geschah das sicher zu Recht: Schillebeeckx war inzwischen Professor an der Universität Nijmegen und er war – hauptsächlich aufgrund seiner Sakramententheologie – in Fachkreisen bekannt und geschätzt.
Sah Aufgabe der Theologie begrenzt
Was er auf dem Konzil tat, wie er sich verhielt, kann man auch in seinen nur wenige Seiten umfassenden Konzilsaufzeichnungen lesen, die eine Art Tagebuch sind. Der „Ghostwriter“ vieler Reden holländischer Bischöfe auf dem Konzil enttäuscht hier mit seiner ständigen Kritik an den wirklichen oder vermutlichen Machenschaften der Kurie. Damit ähnelt er aber seinen Beraterkollegen auf dem Konzil.
Auch Yves Congar OP, Otto Semmelroth SJ und Karl Rahner SJ schreiben in Tagebüchern und Briefen Ähnliches. Und doch ist Schillebeeckx auch anders als sie. Er sah die Aufgabe der Theologie, vor allem gegenüber der Leitung der Kirche, als begrenzt an. Die Theologen hätten in der Kirche die Aufgabe und Pflicht, „die kirchliche Autorität zu fragen, inwieweit sie tatsächlich alle Daten eines sehr komplexen Themas berücksichtigt hätten oder nicht“. Aber die Theologie ist nicht der „Chef“, sie bleibt dem Lehramt unterworfen.

Ein Höhepunkt des Konzils: Die Lehre über die Kirche
Der Theologe – und da dachte er wohl auch an sich – hat nur das „vorletzte Wort“, und „er muss sich äußern, auch wenn er überzeugt ist, dass die kirchliche Autorität andere Entscheidungen treffen wird“. Diese Pflicht zur Redlichkeit, formulierte er so: „Jeder hat in diesem Punkt die besondere Verantwortung, in vollem Gewissen zu handeln, im Bewusstsein der möglichen kirchlichen ,Konsequenzen‘, auch für sich selbst.“
Dem eigenen Gewissen folgte Schille- beeckx auf dem Konzil, lange bevor er diese zitierten Zeilen schrieb. Das trug ihm Hochachtung auch in Kreisen ein, die mit seiner Theologie nicht einverstanden waren: Ende Januar 1965 erschien in der niederländischen Zeitschrift „De Bazuin“ ein Artikel, der ein „kurialer Bestseller“ wurde, denn Ausschnitte davon beschäftigten den Papst, den Staatssekretär und die Konzilsväter der Theologischen Kommission. In diesem Artikel äußerte sich Schillebeeckx zu den Ereignissen, die sich kurz vor der Verkündigung der Konstitution über die Kirche ereigneten.
Im Herbst 1964 erlebte das Konzil ja einen seiner Höhepunkte: Es wurde endlich die Lehre über die Kirche – die wegen der Unterbrechung des Ersten Vatikanischen Konzils nicht vervollständigt werden konnte – zu Ende diskutiert. Der besondere Streitpunkt war die Lehre über die Bischöfe. Hatte das Erste Vatikanum die Rolle des Papstes definiert, musste nun klargestellt werden, welche Rechte die Bischöfe als einzelne und als Kollegium haben sollten. Und vor allem: Wie sollte das Verhältnis zwischen diesem Kollegium von Bischöfen und dem Papst definiert werden?
Idee der päpstlichen Kollegialität
In der Konzilsaula wurden mächtige Reden gehalten, aber noch viel stärker wurde am Nachmittag in der Theologischen Kommission diskutiert. Es wurde um jedes einzelne Wort, um jeden Ausdruck gerungen. Schillebeeckx hätte gerne gesehen, dass das Konzil die „päpstliche Kollegialität“ festlegen würde, nämlich dass der Papst im Gewissen verpflichtet sei, auf das Urteil des Weltepiskopats zu hören.
In dem zitierten Artikel machte er keinen Hehl aus seiner Enttäuschung darüber, dass seine Position nicht in „Lumen gentium“ zu finden war. Wie würde er jetzt reagieren? Würde er einfach von einem „Geist des Konzils“ sprechen und behaupten, die „päpstliche Kollegialität“ sei doch auf dem Konzil klar gewesen? Oder würde er die Unwissenheit der Katholiken ausnutzen, um seine Positionen doch „hintenrum“ modern zu machen?
Zweideutige Konzilstexte später interpretieren
Beide Türen verschließt er sich selbst ganz bewusst: In dem Artikel schrieb er, dass er während der Diskussion um eben die Kollegialität einem Kollegen in der Theologischen Kommission seine Enttäuschung mitgeteilt hatte, dass ihre Position nicht durchkommen würde. Da hätte dieser, so schreibt Schillebeeckx, ihm geantwortet, dass man einen bewusst zweideutigen Text verabschieden und nach dem Konzil dann die „Schlussfolgerungen“, die nur impliziert im Text stünden, ziehen könne.
Von seinem Mitbruder Congar schreibt Schillebeeckx fast getröstet: „Congar selbst hatte schon lange vorher Schwierigkeiten mit einem Konzilstext, der bewusst zweideutig war.“
Und dann ergänzt er noch: „Ich hielt dies für unehrlich und glaubte andererseits nicht an eine konziliare Auslegung, bei der eine Kategorie von Wählern die päpstliche Kollegialität leugnen und die andere sie implizit anerkennen würde. Es musste entweder einen klaren Text geben, in dem der Maximalismus der Kollegialität unmissverständlich formuliert wurde, oder einen Text, in dem die eher minimalistische Konzeption (die im Text explizit formuliert ist) von der zweideutigen Unklarheit befreit wurde, die sich aus dem Schweigen über das eigentliche Problem ergab.“
Versuche der Auslegung gegen die kirchliche Tradition
Ein solcher Text wurde nicht verabschiedet. Aber jeden Zweifel an der korrekten Auslegung beseitigte Papst Paul VI. selbst, denn er war gewarnt worden, dass man versuchen würde, die Dokumente bewusst gegen die kirchliche Tradition auszulegen. Das vereitelte der Papst durch eine „Nota praevia“ (Vorbemerkungen), die er dem Text der Kirchenkonstitution hinzufügen ließ und die autoritativ darlegt, wie die strittigen Ausdrücke interpretiert werden müssen.
Schillebeeckx hat durch seinen Artikel dargelegt, warum diese „Nota praevia“ nötig war, aber er hat damit auch seine wahre Größe gezeigt. War er zunächst gegen die Kurie eingestellt, machte er sich nun um das Konzil, um den Papst und auch um die konservativeren Konzilsväter verdient. Er zeigte darin nicht nur, dass ihm sein Gewissen wichtiger ist als theologische Erwägungen.
Und er findet einen guten Anwalt. Heribert Schauf schreibt in seinem Tagebuch: Der Sekretär der Theologischen Kommission, der Landsmann von Schillebeeckxs, Sebastian Tromp, habe ihn bei der maßgeblichen Sitzung verteidigt. „Die beiden niederländischen Patres hatten weit auseinanderliegende theologische Positionen. Aber es vereinte sie ein wohl geformtes Gewissen, eine große Liebe zur Kirche, die beide jedoch auch wirklich leiden ließ, und eine große Ehrlichkeit.“
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