Im liturgischen Kalender während der Fastenzeit hat es einen festen Platz: Das Evangelium über die Versuchung Christi in der Wüste (Matthäus 4,1 11; Markus 1,12 14 sowie Lukas 4,1 13). Immer am ersten Fastensonntag hören die Gläubigen, wie Jesus von Nazareth auf Anweisung des Geistes Gottes 40 Tage allein in der Wüste fastet und dabei den Versuchungen des Teufels widersteht, mit denen dieser ihn heimsucht. Und der große Widersacher gibt sich durchaus Mühe, den Sohn Gottes vom rechten Weg abzubringen - nämlich indem er ihn, unterstützt durch scheinbar sinnvoll gewählte Bibelzitate, letztendlich dazu auffordert, allzu menschlichen Bedürfnissen wie dem Stillen des Hungers sowie des Strebens nach Macht nachzugeben, anstatt Gottes Auftrag und Geboten treu zu bleiben. Doch Christus durchschaut diese Täuschungsversuche des Teufels nicht nur, sondern kontert selbst mit Zitaten aus der Heiligen Schrift - und bleibt seiner Sendung und somit Gott treu.
"Zum Wesen der Versuchung gehört ihre moralische Gebärde", erinnert Benedikt XVI. im ersten Band von "Jesus von Nazareth" mit Blick auf die Versuchungen Jesu: "Sie lädt uns gar nicht direkt zum Bösen ein, das wäre zu plump. Sie gibt vor, das Bessere zu sein Sie tritt zudem unter dem Anspruch des wahren Realismus auf: Das Reale ist das Vorkommende - Macht und Brot; die Dinge Gottes erscheinen demgegenüber als irreal, eine Sekundärwelt, derer es eigentlich nicht bedarf." (JRGS 6/1, S. 160)
Von den Wüstenvätern bis George Kardinal Pell
Doch das Beispiel Jesu zeigt noch etwas Anderes: Die Gelegenheit, als gläubiger Christ versucht zu werden beziehungsweise die Bereitschaft, sich von Gottes Plänen zu verabschieden, ist sicherlich zu kaum einem Zeitpunkt größer als in intensiv erlebten Phasen der Einsamkeit. Die christliche Tradition kennt zahlreiche Beispiele von Heiligen und Bekennern des Glaubens, die entweder in Zeiten der Einsamkeit sich vor Einflüsterungen des Leibhaftigen oder dessen Dämonen zu schützen hatten oder andererseits ungerechtfertigterweise isoliert und inhaftiert sich dazu zwingen mussten, den Glauben an Gott nicht zu verlieren.
Die Wüstenväter beispielsweise - jene ägyptischen Mönche, die im 3. und 4. nachchristlichen Jahrhundert genauso wie ihre Vorbilder Johannes der Täufer und Jesus Christus selbst die Einsamkeit der Wüste suchten, um entweder als Einsiedler (Eremiten) oder in Gruppen (Koinobiten) ein dem Herrn gewidmetes Leben in Askese, Arbeit und immerwährendem Gebet zu praktizieren - berichten in Textsammlungen wie den "Apophtegmata Patrum" oder auch mit Blick auf den Mönchsvater Antonius des Großen (circa 251-356) in der "Vita Antonii" des heiligen Athanasius von Alexandrien (300-373) immer wieder davon, wie ihnen Dämonen nachstellten sowie in Form von schlechten Gedanken versuchten, sie zur Abkehr von Gott und damit einhergehend zur Verzweiflung zu bringen. Doch ihr an der Heiligen Schrift orientiertes Leben - resultierend in einer unter der Anleitung eines geistlichen Begleiters ausgeübten Lebenspraxis, in der Gottesverehrung, Nächstenliebe, Gebet, Arbeit, Nachtwachen und Askese ihr richtiges Maß erhielten - ermöglichte es den meisten von ihnen, langfristig Wüste und Einsamkeit auszuhalten und im Kampf mit den Dämonen zu bestehen. Gemäß des Vorbilds Jesu taten sie dieses auch mithilfe der Heiligen Schrift selbst: So sammelte der Wüstenvater Evagrius Ponticus (345-399) in seinem Werk "Antirrhetikos Die große Widerrede" zahlreiche Bibelzitate, um diese zur Abwehr gegenüber Dämonen oder schlechten Gedanken verwenden zu können ein auch heute durchaus nachahmenswertes Vorgehen.
Ungerechtfertigterweise ins Gefängnis geworfen
Neben den sich letztendlich freiwillig in selbstgewählte Isolation begebenen Gestalten des frühen Christentums kennt die Kirche jedoch bis in die unmittelbare Gegenwart zahlreiche gläubige Christen, die zwar nicht mit ihrem Blut den Glauben bezeugten, jedoch zum Beispiel ungerechtfertigterweise ins Gefängnis geworfen wurden und hierbei in der Einsamkeit Zeugnis für ihren Glauben gaben. Einer von ihnen: François Xavier Kardinal Nguyên Van Thuên (1928-2002), dessen Seligsprechungsprozess gegenwärtig läuft. 13 Jahre war der frühere Bischöfe von Saigon nach der Niederlage Südvietnams gegen den Vietcong im Gefängnis - neun davon in Isolationshaft. Während seiner Gefängniszeit schmuggelte er Botschaften an sein Volk auf Papierfetzen hinaus: Diese kurzen Überlegungen wurden handschriftlich weiterkopiert und in der vietnamesischen Gesellschaft verbreitet. Sie wurden später im Buch "Hoffnungswege. Botschaft der Freude aus dem Gefängnis" gedruckt. Ein weiteres Buch, "Gebete der Hoffnung. 13 Jahre im Gefängnis", enthält seine Gebete, die er während der Gefängniszeit geschrieben hat. Am 21. November 1988 wurde Nguyên Van Thuên von der kommunistischen Regierung freigelassen, aber ins Exil gezwungen. Er wurde durch Johannes Paul II. im Vatikanstaat aufgenommen und leitete ab 1994 den Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden. Der polnische Papst nahm ihn zudem am 21. Februar 2001 als Kardinaldiakon in das Kardinalskollegium auf. Binnen einer Woche lockerte das vietnamesische Außenministerium die Restriktionen und Nguyên Van Thuên konnte kurz vor seinem Tod am 16. September 2002 als ausländischer Besucher in sein Heimatland reisen.
Auch der am 10. Januar 2023 in Rom verstorbene George Kardinal Pell musste immerhin über einen Zeitraum von vier Jahren in seiner Heimat Australien Beschuldigungen, Prozesse, öffentliche Demütigungen, Rufmord und Inhaftierung über sich ergehen lassen: Ein australisches Berufungsgericht verurteilte ihn am 19. März 2019 wegen vermeintlichem "sexuellen Missbrauchs zweier Chorknaben" zu 6 Jahren Haft. Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof von Australien ein knappes Jahr später am 7. April 2020 einstimmig aufgehoben und Kardinal Pell vollständig rehabilitiert. Er nutzte seine Zeit im Gefängnis als eine Art "ausgedehnter Exerzitien": In dieser Zeit schrieb er in seinem Notizbuch spirituelle Einsichten, Erfahrungen im Gefängnis, persönliche Gedanken über Ereignisse innerhalb und außerhalb der Kirche und Gebete nieder, die in Form von zwei "Gefängnistagebüchern" im Jahr 2021 veröffentlicht wurden.
Als zölibatär lebender Mensch mit der Einsamkeit umgehen
Das Alleinsein oder die Erfahrung von Einsamkeit stellten jedoch nicht nur für unschuldig Verurteilte wie die Kardinäle Van Thuên oder Pell sowie Wanderern in die Wüste wie den Wüstenvätern oder beispielsweise auch den heiligen Charles de Foucauld (1858-1916) eine Herausforderung dar. So kommt beispielsweise jeder Priester der katholischen Kirche aufgrund der dem Priestertum innewohnenden zölibatären Lebensweise gar nicht drum herum, sich Phasen der Einsamkeit zu stellen und diese entweder mithilfe des Glaubens oder mit anderen Methoden zu bewältigen.
"Ich lebe als zölibatärer Mensch alleine, was aber für mich nicht bedeutet, dass ich einsam bin", stellt Norbert Fink gegenüber der "Tagespost" fest. Fink, Jugendpfarrer im Erzbistum Köln und Autor dieser Zeitung, betont, dass in der Tat vollständige Einsamkeit auf Dauer keinem gut tue - "es sei denn, man ist ein Eremit aus Berufung. Aber auch Eremiten leben in ständiger Beziehung zu ihrer Umgebung und zu Gott." Deswegen braucht es laut Fink für Priester wie ihn eine gute Balance zwischen Zeiten des Alleinseins und Zeiten, die mit anderen Menschen verbracht werden, damit das Alleinsein nicht zur Einsamkeit wird.
"Ich muss zugeben", sagt der Jugendpfarrer, "dass ich, so gern ich auch mit anderen Menschen zusammen und für andere da bin, auch gerne mal für mich allein sein kann und einfach nur die Ruhe genieße". Gerade, wenn er nach einem Tag mit vielen zwischenmenschlichen Begegnungen nach Hause kommt, sei er durchaus froh, "dass ich die Tür hinter mir zu machen kann und dann keiner da ist, für den ich auch noch da sein muss." Zum Auftanken besucht Fink, wie er der "Tagespost" verrät, auch gerne abgelegene Orte, wie beispielsweise sein Lieblingskloster Chevetogne in Belgien, um in dem birituell ausgerichteten Benediktinerkloster entweder an der Göttlichen Liturgie teilzunehmen oder ausgiebige Wanderungen in der Gegend zu unternehmen. Umgekehrt erfahre er aber auch das Gegenteil, "dass ich an Tagen ohne viele Begegnungen mich nach zwischenmenschlichen Begegnungen und nach Gemeinschaft sehne." Insbesondere, als er 2022 zwei Mal innerhalb weniger Monate an Corona erkrankte und sich
in Quarantäne begeben musste, habe er "für mich noch einmal neu gemerkt, wie sehr ich andere Menschen und die Gemeinschaft mit anderen brauche und nicht gerne so lange Zeit alleine bin." Abhilfe lieferten ihm in dieser Zeit ausgerechnet die sonst viel gescholtenen sozialen Medien, die für Fink zu einem "Fenster zur Welt und zu Freunden" avancierten, "die mir geholfen haben, mich in dieser Zeit des Alleinseins mich letztlich nicht allzu einsam zu fühlen."
Was ihm persönlich wie auch anderen Menschen im Umgang mit der Einsamkeit helfe, sind laut Norbert Fink vor allem vier Dinge: ein gutes soziales Netzwerk bestehend aus Freunden und Verwandten, einen sinnerfüllenden Beruf zu praktizieren, vielen Hobbys nachzugehen und ein aktives Gebetsleben aufzubauen. "Es hilft mir, dass ich beten kann und allein schon durch das Gebet selbst immer wissen darf, dass ich nicht alleine bin - einerseits, da ich ja mit jemanden beziehungsweise Gott spreche und versuche, auf ihn und seine Stimme zu hören. Zum anderen, wenn ich beispielsweise das Vaterunser bete, lassen mich dieses Gebet und seine ersten beiden Worte wissen, dass ich nicht alleine bete, sondern immer im Kreis von Söhnen und Töchtern Gottes, zu denen ich auch gehöre - egal, ob ich das Gebet allein in meiner Kammer spreche oder physisch mit anderen zusammen." Hierdurch, so Norbert Fink, sei für ihn der Ausspruch Benedikts XVI. bewiesen: "Wer glaubt, ist nie allein!"
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