Als der Kölner Erzbischof Kardinal Josef Frings im November 1958 aus dem Konklave zurückkehrte, in dem Johannes XXIII. gewählt worden war, hatte er eine Vorahnung, die er seinem Sekretär gegenüber äußerte und Jahre später in seinen 1973 erschienenen Memoiren wiedergab: „,Ich habe das Gefühl, es muß jetzt bald ein allgemeines Konzil stattfinden.´ Ich kam darauf, weil ungefähr hundert Jahre seit dem Ersten Vatikanischen Konzil Jahre vergan-gen waren, aber auch deshalb, weil … ich meinte, es sei jetzt bald an der Zeit, dass auch die Bischöfe wieder einmal ihre Stimme erheben könnten.“ Nach der Ankündigung des Konzils durch Johannes XXIII. kam Frings umgehend der Aufforderung nach, Vorschläge für die kommende Synode zu unterbreiten.
Die Vorbereitungsphase: Stärkung der Bischöfe
In seinem Votum ging es ihm vor allem um eine Stärkung der Position der Diözesanbischöfe, um eine Klärung des Ursprungs der Autorität des Bischofs, seine Rolle in der jeweiligen Bischofskonferenz und das Verhältnis zur römischen Kurie. Er empfahl, die sogenannten niederen Weihen als eigenständige Dienste neu zu beleben und befürwortete in diesem Zusammenhang die Einführung des verheirateten ständigen Diakons. Weitere Vorschläge betreffen die Rolle der Laien in der Kirche und das Verhältnis der Katholiken zu Nichtkatholiken und Nichtgläubigen. Für zur katholischen Kirche konvertierte Protestanten schlug er eigene Gemeinden mit Liturgie in der Volkssprache und verheirateten Geistlichen vor.
Die Deutsche Bischofskonferenz verfasste unter Frings´ Vorsitz ein eigenes Votum, in dem es ebenfalls um die Notwendigkeit der Klärung und Stärkung der Befugnisse des bischöflichen Amtes ging, hier auch im Hinblick auf die Ökumene. Interessant der Vorschlag, eine Päpstliche Kommission für Fragen der Ökumene zu schaffen und die Anregung, nichtkatholische Beobachter zum Konzil einzuladen.
Während der Vorbereitungsphase des Konzils ab Juni 1960 gehörte Kardinal Frings der Zentralkommission an, die die Arbeit der einzelnen Vorbereitungskommissionen zu koordinieren und deren Vorschläge für die künftigen Schemata zu sichten hatte. Trotz seines Alters und seiner zunehmenden Erblindung nahm der Kölner Erzbischof eifrig an den Sitzungen teil. In dieser Zeit hielt er einen viel beachteten Vortrag in Genua über das Konzil unter dem Gesichtspunkt der Fragen der Zeit und im Vergleich zum Ersten Vatikanum. Zur Vorbereitung hatte sich Frings der Hilfe des jungen Professors Joseph Ratzinger bedient, seit 1959 Ordinarius für Fundamentaltheologie an der Universität Bonn. Damit begann für Ratzinger eine lange und intensive Zusammenarbeit mit dem Kölner Kardinal während des Konzils.
Während des Konzils: Mehr Autonomie
Auch in dieser Vorbereitungsphase lag Frings die Stärkung der bischöflichen Autorität am Herzen: Obwohl er persönlich über sehr positive Erfahrungen mit der Deutschen Bischofskonferenz berichten konnte, sprach er sich dagegen aus, die Institution zur Pflicht zu machen. Auch sollten die Beschlüsse der Bischofskonferenzen keine Rechtskraft haben, sondern jeder Bischof sollte frei bleiben, sein Bistum eigenständig zu leiten.
Ihm war es ein Anliegen, dass kein Verwaltungsapparat entstehe, der sich zwischen den Apostolischen Stuhl und den einzelnen Bischof stellen könnte. Bei anderer Gelegenheit sprach er sich entschieden gegen die Einrichtung pastoraler Sektoren in den Diözesen unter der Leitung eines Weihbischofs aus. Er war dagegen, den monarchischen Episkopat – den es nach Frings in der Kirche seit frühester Zeit habe, wobei er sich auf Ignatius von Antiochien berief –, in eine kollegiale Leitung der Diözese umzuwandeln. In den zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit mit der Zentralkommission verdiente sich der Kölner Kardinal die allgemeine Wertschätzung für seine nüchternen und präzisen Beobachtungen, die sich auf eine gute Kenntnis der Theologie und des Kirchenrechts und den Rat fähiger Mitarbeiter stützten, sowie auf eine lange und fruchtbare Erfahrung als Hirte einer großen Diözese.
Mit Konzilsbeginn wurde Frings von Johannes XXIII. in das zehnköpfige Präsidium berufen. Wegen seiner fortschreitenden Blindheit war er gezwungen, seine Konzilsreden mit seinen Mitarbeitern vorzubereiten, und dann aus dem Gedächtnis in lateinischer Sprache. Im Folgenden nur einige Beispiele: Am 13. Oktober 1962, dem Tag der ersten Sitzung nach der Eröffnung des Konzils, ging es um die Wahl der Mitglieder der Konzilskommissionen: Man wollte die Mitglieder der Vorbereitungskommissionen im Großen und Ganzen bestätigen und unverzüglich mit den Arbeiten beginnen, was aber unter den Konzilsvätern eine gewisse Unruhe auslöste, der nach Kardinal Achille Liénart auch der Kölner Kardinal Stimme verlieh. Unter dem Applaus der Anwesen-den schlug er vor, die Wahl für einige Tage auszusetzen, damit sich die Konzilsväter besser orientieren und geeignete Kandidaten für die Kommissionen suchen könnten.
Von Legenden umwoben: Frings gegen Ottaviani?
Mit dieser kurzen Wortmeldung setzte sich Frings dafür ein, dem Konzil selbst eine gewisse Autonomie zu sichern: Die Vorbereitungszeit war abgelaufen; jetzt mussten die Kommissionen im Dienste der Konzilsväter arbeiten und nicht umgekehrt. Legendenumwoben ist die Rede des Kardinals während 3. Sitzungsperiode am 8. November 1963. Thema der Debatte war das Schema über das Bischofsamt. Frings kritisierte zunächst die Theologische Konzilskommission, die in der Debatte um die Kollegialität der Bischöfe erst noch eine Klärung herbeiführen wollte, ehe das Konzil zu diesem Thema die Debatte fortsetzen könne. Frings vertrat hier wieder seine Ansicht, dass die Kommissionen dem Konzil zu dienen hätten, und nicht umgekehrt. Weiter bestand er auf klaren Verfahrensabläufen in der Zusammenarbeit der Bischöfe mit den Dikasterien der römischen Kurie, insbesondere dem Heiligen Offizium, dessen Vorgehensweise er in vielerlei Hinsicht als nicht mehr der Zeit angemessen ansah. Bei Lehrbeanstandungsverfahren sollten künftig die Angeklagten in angemessener Weise gehört werden, und auch der zuständige Ordinarius sei stärker einzubeziehen.
Schließlich kam er auf die Mitarbeit von Bischöfen und Priestern in der römischen Kurie zu sprechen. Er hielt ihre Zahl für zu hoch und er plädierte für ihre Verringerung und die Möglichkeit, Aufgaben an fachlich qualifizierte Laien zu übertragen. Die Rede erhielt lebhaften Applaus und hatte eine große Resonanz, die freilich von der Presse in der Folge zusätzlich aufgebläht wurde. Kardinal Ottaviani von Heiligen Offizium widersprach dem Kölner Kardinal in einer erregten Wortmeldung, in der er ihn geradezu beschuldigte, den Papst beleidigt zu haben, da er in der Kritik an der Praxis des Heiligen Offiziums, dessen Präfekt ja der Papst selbst war, einen Angriff auf diesen sah. Frings hatte sich jedoch nur zum Wortführer vieler Bischöfe gemacht.
Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Ottaviani war jedoch nicht von persönlichem Groll begleitet. „Am folgenden Tag kam er mir … entgegen, umarmte mich und sagte: ,Wir wollen ja beide nur dasselbe‘“, erinnerte er sich. Paul VI. jedenfalls bat den Kölner Kardinal, Vorschläge für eine Reform des Heiligen Offiziums zu machen, was dieser auch wenige Tage später mit einem Memorandum zur Reform der Kongregation tat. Auf der Grundlage dieses Vorschlags wandelte Paul VI. noch vor Abschluss des Konzils das „Heilige Offizium“ in die „Kongregation für die Glaubenslehre“ um, die dann 1967 im Zuge der Neuordnung der Kurie reformiert und 1971 mit einer neuen Verfahrungsordnung versehen wurde. Frings erinnerte sich mit Genugtuung an diese Entwicklung: „Die Reform der Kurie wurde in Angriff genommen, und zwar zunächst der obersten Instanz der Kurie, beim Heiligen Offizium. … In dem Statut, das dieser neuen Kongregation beigegeben wurde, waren alle Forderungen erfüllt, die ich in meiner Rede in der zweiten Sitzungsperiode aufgestellt hatte.“ In einer anderen Rede vom 30. September 1963 sprach Kardinal Frings zum Schema „De Ecclesia“. Er begrüßte die Vorlage, wünschte allerdings eine umfassendere und positivere Bewertung des Lehramtes der Bischöfe. Am 14. Oktober sprach er erneut in der Konzilsaula, dieses Mal über die „Kollegialität“ der Bischöfe, deren Begriff und Wirklichkeit er in der Tradition der Kirche grundgelegt sah.
Kollegialität und Bischofskonferenzen
In einer weiteren Rede zum künftigen Bischofsdekret ging er auf die Bischofskonferenzen ein. Hier trug er erneut seine Vorstellungen vor, die er seit der Vorbereitungszeit des Konzils immer wieder unterstrichen hatte. Bei allen guten Erfahrungen war er für einfache Strukturen, damit eine zu starke Konferenz nicht mit der Leitungs-vollmacht des einzelnen Bischofs in Konflikt trete. Das Dekret „Christus Dominus“ vom 28. Oktober 1965 gab den Weihbischöfen Sitz und Stimme in den Bischofskonferenzen, was freilich nicht im Sinne des Kardinals war, und forderte die Erarbeitung entsprechender Statuten. Andererseits fand die Übertragung von Fakultäten und Privilegien an die Bischöfe, wie er es immer wieder vorgeschlagen hatte, ebenso seine Zustimmung wie die Schaffung der neuen Institution der Römischen Bischofssynode durch Paul VI.: „Hier ist wirklich eine kollegiale Mitwirkung der Bischöfe mit dem Papst in Szene gesetzt, die man jahrhundertelang nicht gekannt hat.“
Am Ende soll eine Bemerkung des deutschen Kirchenhistorikers Hubert Jedin stehen: „Gegen Ende des Konzils sagte mir Professor Onclin von der Universität Löwen, dass seiner Meinung nach Kardinal Frings der am meisten geschätzte Konzilsvater des Zweiten Vatikanums gewesen sei; wohlgemerkt, der am meisten geschätzte, nicht der einflussreichste. In der Tat kann ich bezeugen, dass sich jedes Mal, wenn der Generalsekretär des Konzils eine Rede des Kölner Kardinals ankündigte, die Seitenschiffe des Petersdoms (einschließlich der Bar) leerten, weil man die Gelegenheit nicht verpassen wollte, ihn sprechen zu hören. Kardinal Frings hatte immer etwas Wichtiges zu sagen – und er hatte den Mut, es zu sagen.“
Der Autor lehrt Kirchengeschichte an der Päpstlichen Hochschule „Santa Croce“ in Rom.
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