Das 700-Einwohner-Dorf Sabiñán im spanischen Aragonien ist mehr als nur ein verschlafener Ort. Das bemerkten die Spanier, als im Jahr 2000 Jugendliche in den Palast der Grafen von Argillo einbrachen und den Totenschädel Papst Benedikts (XIII.) entwendeten. Die Diebe wurden gefasst! Ein Papstgrab? In Spanien? Wie die geklammerte Zahl XIII. anzeigt, wird dieser Benedikt nicht als rechtmäßiger Papst anerkannt und ist damit jemand, den Rom nicht für sich beansprucht. Der Palast gehörte den Nachfahren Benedikts (XIII.), der nach einigen Quellen 1328 als Pedro de Luna in Illueca, nur 13 Kilometer von Sabiñán entfernt, geboren wurde. Pedro war Neffe des mächtigen Kardinals Gil de Albornoz, der den jungen Kanoniker an die Kurie der Päpste von Avignon holte, wo er schnell Karriere machte. Papst Gregor XI. ernannte ihn 1375 zum Kardinal. 1394 wurde er zum Papst gewählt – als zweiter avignonesischer Papst des Abendländischen Schismas.
Es fällt nicht einfach, den damals fast Siebzigjährigen als Gegenpapst zu bezeichnen. Denn wo der saß, war bei seiner Wahl noch lange nicht ausgemacht. Mit Frankreich, den spanischen Königreichen, Schottland, Neapel-Sizilien und einigen deutschen Fürstentümern erkannte zunächst die Hälfte des Abendlandes Benedikt an – und seine Heimat Aragón hielt ihm bis zuletzt die Treue. Die Ursachen des Abendländischen Schismas stehen in diesem Papst gleichsam personifiziert vor uns. Da ist zunächst der verzweifelte Versuch, das von Gregor VII. im Investiturstreit proklamierte Primat der Päpste über die weltlichen Herrscher wieder aufzurichten. Denn damit war es seit 1303 mit der öffentlichen Demütigung Bonifatius‘ VIII. durch Abgesandte des französischen Königs Philipps des Schönen vorüber. Als 1305 mit Clemens V. ein Kandidat Philipps gewählt wurde, begab sich dieser ins „babylonische Exil der Kirche“ nach Avignon und damit in die zunehmende Abhängigkeit von Frankreich. Von alledem wollte sich Benedikt lösen, auch wenn er weiterhin in Avignon residieren musste.
Ein Papst vor verschlossenen Toren
Denn die Heilige Stadt blieb ihm versperrt. Gerade der Versuch Papst Gregors XI., die verlorene machtpolitische Stellung durch seine Rückkehr nach Rom 1377 wiederherzustellen, hatte zum abendländischen Schisma geführt. Er kam zu spät! Zu groß war das Misstrauen gegen Avignon, dessen Gouverneure sich im Kirchenstaat wie Despoten aufführten. Als der Papst im März 1378 starb, kam es zum Aufstand der römischen Bevölkerung, die die Wahl eines italienischen Papstes forderte. Die Kardinäle einigten sich unter großem Druck auf den Erzbischof von Bari, der als Urban VI. sein Amt antrat – und sofort reinen Tisch machte. In einer Kurienreform sollte das französische Kardinalskollegium entmachtet und durch Neuernennungen italianisiert werden, was mit Gewalt vorangetrieben wurde. Nach alledem war Pedro de Luna davon überzeugt, dass die Wahl Urbans erzwungen und deswegen ungültig sei. Er war eine der treibenden Kräfte hinter der Absetzung Urbans, die dieser niemals anerkannte, und der Wahl des Franzosen Robert von Genf als Clemens (VII.), der fortan wieder in Avignon residierte. Legalität, in Form einer korrekten Wahl, und Legitimität, dem Bewusstsein, dass die apostolische Sukzession nur durch Avignon gewahrt werden könne, gehörten zusammen mit der Frage des päpstlichen Primats zu den nicht hinterfragbaren Überzeugungen Benedikts.
Als der „Papa Luna“ gewählt wurde, regierte in Rom schon ein Nachfolger Urbans. Und die Unruhe in der Christenheit wuchs, denn niemand wusste wirklich, welchem Papst man, um des eigenen Heiles willen, folgen solle. Die Professoren der Pariser Universität, damals die theologische Autorität schlechthin, suchten nach einer Lösung. Die von ihnen favorisierte „via cessionis“ aber, der Rücktritt beider Päpste, scheiterte an Benedikts Auffassung, der legale und legitime Papst zu sein. Ganz gleich, ob Frankreichs König Karl VI. Benedikt die Gefolgschaft aufkündigte, Avignon mehr als vier Jahre (1399-1403) belagern ließ oder ein Konzil zu Pisa (1409) einberufen wurde, das einen dritten Papst wählte: Benedikt blieb standhaft! Dies machte einen solchen Eindruck, dass man ihn doch als von Christi erwählt betrachtete. Frankreich jedenfalls kehrte vorübergehend unter seine Obödienz zurück. Trotzdem musste später er 1413 seine Residenz ins sichere, weil zum Königreich Mallorca gehörende, Perpignan verlegen.
Ein Gespräch zwischen Papst und König
Die „via concilii“, die Lösung durch ein Konzil, war mit Pisa aber nicht vom Tisch! Den nächsten und letztendlich erfolgreichen Versuch startete der neu gewählte römische König Sigismund, der 1414 den Pisaner Papst Johannes (XXIII.) dazu bewegen konnte, das Konzil von Konstanz einzuberufen – mit ihm als Vogt der Christenheit. Die Päpste zu Rom und Pisa traten auf Konzilsbeschluss zurück – und Benedikt? Sigismund, der nach Perpignan gereist war, sah sich einem fast 90-jährigen Mann gegenüber, der die Konstanzer Beschlüsse durchaus logisch auseinandernahm. Wenn man alle drei Päpste absetze, dann bedeute das doch, dass es seit dem Tod Gregors XI. 1378 keinen Papst mehr gegeben habe und alle Kardinalsernennungen seitdem ungültig seien. Also könne der neue Papst nur von Kardinälen gewählt werden, die 1378 schon das Purpur trugen. Von diesen lebe aber nur noch ein einziger: Er selbst! Benedikt ließ keinen Zweifel daran, dass er sich sofort wieder zum Papst wählen würde. Sigismund reiste entnervt ab und überließ den Rest seiner Armee. Benedikt musste noch einmal fliehen: nach Peñíscola in seine Heimat Aragonien, die ihn als einzige noch anerkannte und wo er am 23. Mai 1423 im Alter von fast 100 Jahren starb – im festen Glauben der einzige und wahre Papst zu sein.
Die Kardinäle, die er vorher noch ernannt hatte, wählten Gil Sánchez Muñoz y Carbón als Clemens (VIII.) zum Papst. Und als sich dieser 1429 Papst Martin V. in Rom beugte, trat der Franzose Bernard Garnier als Benedikt (XIV.) an seine Stelle, dessen Pontifikat sich im Dunkel der Geschichte verliert. Der 2020 verstorbene Romancier Jean Raspail spann die Legende dieser geheimen päpstlichen Sukzessionslinie in seinem 1995 erscheinen Roman „L'Anneau du pêcheur“ bis in die Gegenwart weiter. Als Bettlerpäpste ziehen die Nachfolger Benedikts (XIII.) durch die Zeit, bis der letzte kurz vor der Begegnung mit Johannes Paul II. stirbt. Rechtzeitig zu Benedikts 600. Todesjahr beantragte die spanische Region Aragón bei Papst Franziskus die Aufhebung seiner Exkommunikation, und forderte damit auch dessen Anerkennung durch die Kirche. Kommen die Reliquien des spanischen Papstes nun doch noch nach Rom? Wohl kaum! Sein Schädel ruht seit 2021 wieder in Sabiñán, nachdem er fast 15 Jahre in einem Museumsmagazin aufbewahrt worden war. Und dort soll er nun auch bleiben.
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