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John Henry Newman: Ein Kirchenlehrer für das dritte Jahrtausend

Er zeichnet sich durch die außergewöhnliche Breite und Tiefe seiner theologischen Reflexion aus: Der heilige John Henry Newman kann noch heute bei der Wahrheitssuche helfen.
Heiliger John Henry Newman
Foto: privat | John Henry Newman, dargestellt in der Kirche der Oratorianer in Wien.

Das Heilige Jahr setzt mit dem Jubiläum der Bildungswelt einen Glanzpunkt: Am Hochfest Allerheiligen wird der heilige John Henry Newman (1801–90) von Papst Leo XIV. feierlich zum Kirchenlehrer erhoben. John Henry Newman, der Gründer des Oratoriums des heiligen Philipp Neri in England, zählt zu den prägenden Intellektuellen und Theologen der Moderne. Sein Denken steht exemplarisch für die Verbindung von Glaube, Vernunft und Bildung.

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Die drei Grundvoraussetzungen, damit ein Heiliger der katholischen Kirche als Kirchenlehrer verehrt werden kann, sind (a) eine herausragende Glaubenslehre (eminens doctrina), (b) eine hervorstechende Heiligkeit und (c) die Erklärung durch den Papst oder durch ein legitim versammeltes Allgemeines Konzil. Diese von Kardinal Prospero Lambertini, dem späteren Papst Benedikt XIV. (1675–1758), aufgestellten Merkmale gelten bis heute. Die eminens doctrina stellt eine zentrale und „qualifizierte“ Voraussetzung für die Proklamation eines Heiligen zum Lehrer der universalen Kirche dar; sie ist gleichsam das konstitutive Moment, das diese Erhebung begründet.

John Henry Newman hätte wohl am wenigsten damit gerechnet, dass er eines Tages als Seliger, Heiliger oder gar als Kirchenlehrer verehrt werden würde. Kurz vor seinem Tod, als man ihn einmal als Heiligen bezeichnete, entgegnete er mit seiner charakteristischen Bescheidenheit: „Ich tauge nicht zu einem Heiligen – es ist schlimm, das zu sagen. Heilige sind keine Literaten; sie lieben die Klassiker nicht, sie schreiben keine Geschichten. Ich bin vielleicht auf meine Weise gut genug, aber es ist nicht die hohe Linie … Mir genügt es, den Heiligen die Schuhe zu putzen – falls der heilige Philipp [Neri] im Himmel Schuhcreme braucht.“

Die gesunde Lehre

Interessant ist auch, dass Newman bereits 1874 in einem Brief an den ehemaligen anglikanischen Geistlichen James Spencer Northcote, der nach seiner Konversion 1855 zum katholischen Priester geweiht wurde, sein Unverständnis darüber äußerte, dass bisher noch keine Frau den Titel einer Kirchenlehrerin erhalten habe: „Ich begreife nicht recht, warum nie eine Frau zum Kirchenlehrer ernannt worden ist; denn wenn auch der heilige Paulus sagt, sie ‚soll in der Kirche schweigen‘, so spricht er von kirchlicher und formeller Lehrtätigkeit, nicht von den übernatürlichen Gaben und großen Werken wie bei einer heiligen Katharina von Siena.“ Erst im Jahr 1970 verlieh Papst Paul VI. den ersten Frauen, den beiden großen Mystikerinnen Teresa von Ávila und Katharina von Siena, den Titel einer Kirchenlehrerin.

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Worin besteht nun die spezifische Bedeutung eines Kirchenlehrers? Ein doctor ecclesiae ist ein Mann oder eine Frau aus dem Volk Gottes, von herausragender Heiligkeit und Gelehrsamkeit, dessen Lehre und Weisheit nicht auf seine Epoche beschränkt blieb, sondern bis heute Orientierung, Erkenntnis und Inspiration schenkt. Er trägt in einem beträchtlichen Maß zum Fortschritt der heiligen Wissenschaft und zur Vervollkommnung des kirchlichen Lebens bei. Eine Erhebung zum Kirchenlehrer ist daher weit mehr als ein bloßer Ehrentitel. Sie bedeutet die offizielle Anerkennung der Glaubenslehre eines Heiligen als herausragend – als Lehre, die mit Sicherheit vom ganzen Volk Gottes angenommen und fruchtbar genutzt werden kann.

In der Liturgie der Kirche verehrt

Diese Lehre erfährt durch die höchste Autorität der Kirche eine besondere Zustimmung und wird daher als gesunde Lehre bezeichnet. Die Proklamation eines Kirchenlehrers ist somit eine Empfehlung der Kirche selbst – insbesondere für den religiösen und theologischen Unterricht.
In der theologischen Diskussion werden die Argumente der Kirchenlehrer – anders als jene der Kirchenväter – meist unter den „Theologen“ eingeordnet. Ihrem dogmatischen Konsens kommt dabei, kraft der kirchlichen Erhebung, ein besonders gewichtiger Rang zu. Hinzu kommt, dass ein Kirchenlehrer im Römischen Generalkalender einen gebotenen oder nicht gebotenen Gedenktag erhält und dementsprechend in der Liturgie der Kirche weltweit als solcher verehrt wird.

Der heilige Kardinal John Henry Newman zeichnet sich durch die außergewöhnliche Breite und Tiefe seiner theologischen Reflexion aus. Sein Einfluss erstreckt sich über zahlreiche Bereiche der Glaubens- und Morallehre, und seine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Glaubens bleibt bis in unsere Zeit von beeindruckender Aktualität. Als ungemein produktiver Schriftsteller hinterließ Newman ein umfangreiches Œuvre, das von theologischen Abhandlungen und Predigten über geistliche Betrachtungen und Briefe bis hin zu Tagebuchaufzeichnungen (über 30 Bände, Gedichte, Gebete, Romane und Essays) reicht.

In seiner Angelusansprache vom 28. September 2025 hob Papst Leo XIV. hervor, dass John Henry Newman „auf maßgebliche Weise zur Erneuerung der Theologie und zum Verständnis der Entwicklung der christlichen Glaubenslehre“ beigetragen habe. Newman erkannte, dass das Christentum – wie jeder lebendige Organismus – Zeit brauche, um zu seiner vollen Gestalt zu reifen. In seinem bahnbrechenden Werk „An Essay on the Development of Christian Doctrine“, das er im Jahr seiner Konversion verfasste, zeigte er, dass die Glaubenslehre der Kirche kein starres Gebilde ist, sondern sich im Lauf der Geschichte organisch entfaltet. Diese Entwicklung verstand Newman nicht als Verfälschung, sondern als Ausdruck innerer Lebenskraft: Die Wahrheit bleibe dieselbe, doch ihre Gestalt vertiefe und kläre sich im Laufe der Jahrhunderte. Mit jeder Generation vertieft sich das Verständnis der Kirche vom Glauben – ähnlich wie der heilige Kirchenlehrer Thomas von Aquin ein tieferes Verständnis von der Dreifaltigkeit gehabt hatte als die frühen Kirchenväter.

Offen für aktuelle Fragen

Damit legte Newman den Grundstein für ein vertieftes theologisches Verständnis der Kontinuität des Glaubens. Seine sieben „Kennzeichen“ (darunter zum Beispiel die Bewahrung der früheren Lehre et cetera), die zwar einzeln und für sich genommen kein absolut gewisses Urteil erlauben, aber doch zusammen betrachtet zu einem rational verantworteten Urteil führen, sollen helfen, echte Weiterentwicklungen von bloßen Abweichungen zu unterscheiden. Der Gedanke, dass die Kirche in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen neue Ausdrucksformen derselben Wahrheit finden könne, wurde zu einem entscheidenden Schlüssel für das moderne katholische Denken – und beeinflusste maßgeblich unter anderem das Zweite Vatikanische Konzil, insbesondere die dogmatische Konstitution Dei Verbum über die göttliche Offenbarung (DV, 8). Kardinal Joseph Ratzinger bezeichnete Newmans Lehre über die Entwicklung der Glaubenslehre später als einen der „entscheidenden und grundlegenden Begriffe des Katholizismus“ – sie habe, so Ratzinger, „den Schlüssel in unsere Hand gelegt, um das historische Denken in die Theologie einzubringen … um theologisch historisch zu denken und so die Identität des Glaubens in allen Entwicklungen zu erkennen“.

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Die bevorstehende Erhebung John Henry Newmans zum achtunddreißigsten Kirchenlehrer durch Papst Leo XIV. würdigt nicht nur das Lebenswerk eines herausragenden Denkers, sondern auch die bleibende Aktualität seines geistigen Erbes. In einer Zeit, die von Unsicherheit, kulturellem Wandel und theologischen Spannungen geprägt ist, weist Newman den Weg zu einem Glauben, der in der Wahrheit verwurzelt und zugleich offen für die Fragen der Gegenwart bleibt. Sein Denken ist und bleibt – ganz im Sinn des Titels, der ihm verliehen wird – ein lumen ecclesiae, ein Licht für die Kirche.

Der Verfasser ist Universitätsseelsorger in Wien.

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