Botticino Sera ist ein kleiner Ort in der norditalienischen Provinz Brescia. Im Ortszentrum, in der Kirche „Santa Maria Assunta“, befindet sich das Grab des 2009 heiliggesprochenen Priesters Angelo Tadini, der von 1885 bis 1912 hier Pfarrer war. Er gehört zu den Heiligen, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der sozialen Frage zuwandten.
Gleichzeitig verbrachte er, wie Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt zur Heiligsprechung sagte, dort viele Stunden vor der Eucharistie: „Er erinnert uns, dass wir den Sauerteig des Evangeliums nur dann, wenn wir eine dauerhafte und tiefe Beziehung mit dem Herrn besonders im Sakrament der Eucharistie pflegen, in die verschiedenen Arbeitstätigkeiten und in jeden Bereich unserer Gesellschaft einbringen können.“
Aufgewachsen mit zehn Geschwistern
Arcangelo Tadini wurde am 12. Oktober 1846 in Verolanuova bei Brescia geboren und wuchs zusammen mit zehn Geschwistern in einem großbürgerlich-liberalen Umfeld auf. Schon als Kind verspürte er eine Berufung zum Priestertum. Der antiklerikale Geist, der im italienischen Großbürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorherrschte, beeinflusste Arcangelo ebenso wenig wie seinen älteren Bruder Giulio, der Priester wurde. Durch sein Vorbild bestärkt, trat Arcangelo ebenfalls in das Priesterseminar von Brescia ein. Als Seminarist hatte er einen Unfall, bei dem er sich das Kniegelenk brach; infolgedessen blieb er gehbehindert. Nach seiner Priesterweihe 1870 war er als Kaplan in dem Bergdorf Lodrino tätig und wurde 1873 nach Noce in das Randgebiet von Brescia versetzt, wo er sich neben der pastoralen Tätigkeit für die Restaurierung der Pfarrkirche einsetzte.
1885 kam er schließlich auf die Pfarrstelle in Botticino Sera, wo er bis zu seinem Lebensende bleiben sollte. Sofort machte er sich an die Arbeit, um die Pfarrei, die aufgrund der langen Krankheit seines Vorgängers verwahrlost war, neu zu beleben, getreu seinem Motto: „Meine Wissenschaft ist das Kreuz, und meine Kraft ist die Stola.“ Er gründete ein Jugendzentrum und eine Musikkapelle, erneuerte die Bruderschaft vom Allerheiligsten Sakrament und gründete einen Franziskanischen Drittorden sowie eine Pia Unio für junge Mädchen und Frauen. Er führte ein sehr einfaches und bescheidenes Leben, ernährte sich vegetarisch und war ein Anhänger der Kneipp-Therapie. Vor allem aber war sein Tageslauf vom Gebet und von den Sakramenten geprägt. Er stand um vier Uhr morgens auf, um zu beten und dann die Eucharistie zu feiern, und verbrachte viele Stunden im Beichtstuhl.
Geprägt von Papst Leo XIII.
1891 veröffentlichte Papst Leo XIII. die Sozialenzyklika Rerum novarum, die Tadini veranlasste, sich der Arbeiterfrage in seiner Pfarrei zu widmen. 1893 gründete er einen katholischen Arbeiterverein. Sorge bereiteten ihm die jungen Mädchen, die den Ort verlassen mussten, um als Arbeiterinnen in einer der Spinnereien des Umlands von Brescia zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen. Um ihnen ein Weiterleben in der Familie zu ermöglichen, gründete er in Botticino Sera eine Spinnerei. Es genügte ihm jedoch nicht, den jungen Frauen den Lebensunterhalt zu sichern, sondern er wollte ihnen auch geistlichen Beistand geben. Das führte ihn zu der Idee, mit einigen Arbeiterinnen einen Schwesternorden zu gründen. Das Besondere daran war, dass die Schwestern sich nicht nur um die Arbeiterinnen kümmern, sondern selbst mit ihnen zusammenarbeiten sollten. So entstanden im Jahr 1900, trotz vieler Anfeindungen auch innerhalb der Kirche, die „Suore Operaie della Santa Casa di Nazareth“: Ordensschwestern, die selbst als Arbeiterinnen tätig sind und nach dem Vorbild der Heiligen Familie in Nazareth lebten.
Die Gehbehinderung fesselte Arcangelo Tadini im Laufe der Jahre an den Stock und schließlich in den Rollstuhl. Am 8. Mai 1912 brach er während der Feier der Heiligen Messe zusammen. Er starb 12 Tage später, am 20. Mai, im Alter von 65 Jahren, im Ruf der Heiligkeit. Die von ihm gegründeten „Arbeiter-Schwestern“ sind bis heute in Italien, England, Mali, Ruanda und Burundi tätig. Am 3. Oktober 1999 wurde er von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Die Heiligsprechung erfolgte durch Papst Benedikt XVI am 26. April 2009.
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