Vor zehn Jahren, am 30. September 2010, veröffentlichte Papst Benedikt XVI. das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Verbum Domini“ über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche. Darin forderte er die Gläubigen unter anderem auf, die marianischen Gebete zu fördern, und erwähnte den altehrwürdigen Hymnus Akathistos, „in der byzantinischen Tradition eine der höchsten Ausdrucksformen marianischer Frömmigkeit. Mit diesen Worten zu beten erweitert die Seele und macht sie bereit für den Frieden, der von oben kommt, von Gott – für jenen Frieden, der Christus selbst ist, der zu unserem Heil aus Maria geboren ist“, so Benedikt XVI.
Vom ganzen Volk gesungen
Dieser Marienhymnus wurde während der Belagerungen von Konstantinopel im 7. und 8. Jahrhundert ganze Nächte hindurch stehend vom Volk vor der Ikone der Gottesmutter Hodegetria – der Schutzpatronin der Stadt – in einer Kirche östlich der Hagia Sophia gesungen; zeitgenössischen Quellen zufolge ging eine große geistliche Kraft von ihm aus. Der Autor des Hymnus ist unbekannt, er wird jedoch häufig dem Theologen Romanus Melodus zugeschrieben, dem größten byzantinischen Hymnendichter, der sowohl in der orthodoxen als auch in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird; sein Gedenktag ist der 1. Oktober.
Benedikt XVI. widmete Romanus Melodus die Katechese der Generalaudienz am 21. Mai 2008, in der er das Leben des Heiligen kurz zusammenfasste und sein Werk würdigte. Um 490 in Emesa, dem heutigen Homs, in Syrien geboren, wo er sich die ersten Elemente griechischer und syrischer Kultur aneignete, studierte Romanus anschließend Rhetorik in Berytos, dem heutigen Beirut, und empfing um 515 die Diakonweihe. Drei Jahre später ging er nach Konstantinopel und ließ sich dort bei der Kirche der Gottesmutter nieder.
Gottesmutter erschien ihm im Traum
Das Synaxarion – das orthodoxe Pendant zum Martyrologium Romanum – berichtet, dass Romanus in der Heiligen Nacht die Gottesmutter im Traum erschien und ihm gebot, eine Pergamentrolle zu verschlucken. Am folgenden Morgen sang er vom Ambo aus einen wunderbaren Weihnachtshymnus und wurde dank dieser göttlichen Gnade zu einem der „repräsentativsten Verfasser liturgischer Hymnen“, so Benedikt XVI., die gleichzeitig „eine lebendige und originelle Form der Katechese“ waren: „Durch seine Kompositionen können wir uns eine Vorstellung machen von der Kreativität dieser Form der Katechese, von der Kreativität des theologischen Denkens, der Ästhetik und der sakralen Hymnendichtung jener Zeit.“ Zum Predigen „stieg er auf den in der Mitte der Kirche aufgestellten Ambo und sprach zur Gemeinde, wobei er eine ziemlich aufwendige Inszenierung anwandte: Er benutzte Wandbilder oder auf den Ambo gestellte Ikonen und griff auch auf den Dialog zurück. Seine Predigten waren metrisch gesungen.“ 89 seiner Hymnen sind erhalten, zugeschrieben werden ihm jedoch über tausend. Dabei verwendet Romanus „nicht das feierliche byzantinische Griechisch des Hofes, sondern ein einfaches Griechisch, das der Sprache des Volkes nahesteht“.
Die Christologie gepredigt
Ein zentrales Thema von Romanus‘ Predigt war die Christologie. Er geht dabei „nicht auf das Problem der schwierigen theologischen Begriffe ein, die in der damaligen Zeit heftig diskutiert wurden und die auch die Einheit nicht nur unter den Theologen, sondern auch unter den Christen in der Kirche zerrissen haben. Er predigt eine einfache, aber grundlegende Christologie, die Christologie der großen Konzilien.
Aber er steht vor allem der Volksfrömmigkeit nahe“, so Benedikt XVI. Damit führt er uns hin „zu diesem Augenblick der Wahrheit unseres Lebens, der Gegenüberstellung mit dem gerechten Richter, und mahnt uns deshalb zur Umkehr in der Buße und im Fasten. Positiv ausgedrückt muss der Christ die Nächstenliebe und das Almosengeben üben.“ So durchdringen „ergreifende Menschlichkeit, Glaubenseifer, tiefe Demut die Gesänge des Romanus Melodus“.
Romanus Melodus starb zwischen 555 und 565 in Konstantinopel. Außer seinen Hymnen und den spärlichen Notizen im Synaxarion gibt es keine gesicherten Daten zu seinem Leben, um das sich in späteren Jahrhunderten viele Legenden gerankt haben.
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