Ist die kirchliche Verkündigung ein Minenfeld für überzeugte Lebensrechtler geworden? Mit der Frage, wie das Stichwort in der Seelsorge zur Sprache gebracht werden könne, um die Menschen für das Recht auf Leben zu sensibilisieren, befasste sich am Montag eine Online-Schulung der „Aktion Lebensrecht für Alle“. Anlass war ein Eklat an Weihnachten im Bistum Görlitz. Eine Weihnachtspredigt in Wittichenau hatte Anstoß erregt, weil der Zelebrant, Pater Joachim Wernersbach OSB, in der Predigt die biblische Schöpfungsordnung gegen moderne Strömungen verteidigt und sich unmissverständlich für die traditionelle Familie positioniert hatte.
Die spontanen Reaktionen in den sozialen Netzwerken schwankten zwischen Zustimmung und Kritik, nachdem zwei Frauen aus Wittichenau in einer Petition gegen den Priester Unterschriften gesammelt hatten. Sollte die Stimme der Kirche durch öffentlichen Druck zum Verstummen gebracht werden? Wer die Grenzen des Sagbaren auch im Kirchenraum enger ziehen möchte, stützt sich dabei nicht unbedingt auf Sachkompetenz. Die Unwissenheit über das, was Leben bedeute, sei groß, stellte der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt fest. „Ob wir etwa in der Frage des assistierten Suizids noch 50-60 Prozent der Katholiken auf unserer Seite haben? Da wären wir schon gut!“ Auch Getaufte teilten die Position der Kirche nicht mehr. Auf die Debatte um die Predigt in Wittichenau angesprochen, unterstrich der Bischof, dass sich die Kritik in erster Linie am Familienbild aufgehängt hatten. „Das ist ein sensibler Punkt“.
Christen müssen sich für ihr Familienbild erklären
Zugleich stellte er klar, dass ihn viel Zustimmung zur Predigt von Pater Wernersbach erreicht habe. Dass diese über ein Video der Pfarrei in Windeseile in ganz Deutschland verbreitet wurde, habe sich allerdings nachteilig ausgewirkt. „Sonst hätte man manches besser in Ruhe besprechen können.“ Man spüre aber: „Da ist ein Feld, wo wir als Christen auch deutlich werden und uns erklären müssen.“ Bischof Ipolt schloss nicht aus, dass die Predigt weniger Aufsehen erregt hätte, wenn sie am Fest der Heiligen Familie gehalten worden wäre. Er riet zur Vorsicht in der Seelsorge: „In unseren Gemeinden gibt es alles.“ Die Verkündigung müsse klar bleiben, aber diejenigen, die sich verfehlt oder auch versündigt hätten, müssen sich trotzdem angenommen wissen dürfen. Das Evangelium bleibt ja deutlich.“
Zudem ist die Predigt nicht das einzige Feld, um die Menschen für das Lebensrecht zu sensibilisieren. Der Fuldaer Liturgiewissenschaftler Cornelius Roth zeigte anhand biblischer Texte, Gotteslobliedern, Votivmessen und dem Kirchenjahr und seinen Festen, wieviel Spielraum die katholische Liturgie bietet, um den Schutz des Lebens stimmig zur Sprache zu bringen. Auch Andachtsformen wie der Kreuzweg oder der Rosenkranz für Ungeborene, die geistliche Adoption eines Kindes oder die Betrachtung von Kunstwerken wie beispielsweise Darstellungen der Begegnung Marias und Elisabeths seien geeignet. Den gegen Pater Wernersbach erhobenen Vorwurf einiger Kritiker, das Thema an Weihnachten verfehlt zu haben, wies Roth zurück. Er bezeichnete die Predigt des Benediktiners als „mutig“. Weihnachten sei „prädestiniert“ für „das Lebensschutzthema“. Roth ordnete Lebensschutz als Querschnittsthema im Kirchenjahr ein: Gott sei das Leben, daher lasse es sich nie ganz ausschließen, wenngleich „manchmal ein anderes Thema dran ist“.
Das Recht auf Leben klar und vorsichtig ansprechen
Pater Martin Villagran IVE berichtete von guten Erfahrungen in der Wallfahrtsseelsorge des Klosters Mariahilfberg. Am 25. jedes Monats werde eine Messe für das Leben gefeiert und auch im Wallfahrtskalender angekündigt. Das Recht auf Leben klar und vorsichtig anzusprechen, ist aus seiner Sicht der richtige Weg. Allerdings geraten Lebensrechtler trotz „unfassbar viel Zuspruch“ der Menschen durchaus an harte Grenzen in Gremien, erklärte Cornelia Kaminski. Beispiel: Alle Lebensrechtler der ALfA wurden vom Evangelischen Kirchentag ohne Begründung ausgegrenzt. Demgegenüber zeigte die „didacta“ Toleranz und gestattete der Organisation einen Stand.
Die ALfA-Bundesvorsitzende bestätigte ihren Eindruck, dass kirchlicherseits manchmal mehr Vorbehalte bestehen als bei anderen Organisationen. Entmutigen lässt sie sich nicht. „Man kann noch viel tun und muss einfach dicke Bretter bohren“, lautete ihr Fazit. „Der Schutz der Familie ist ein zutiefst wichtiges Thema für den Lebensschutz. Alles, was wir im Zusammenhang mit der Aufweichung des Familienbegriffs erleben, bedroht unmittelbar das Leben.“ Als Beispiel nannte sie den Zusammenhang zwischen Leihmutterschaft und vorgeburtlicher Kindstötung. An der Themenwahl des Wittichenauer Predigers fand Kaminski nichts auszusetzen: „Das Thema hatte an Weihnachten seinen Platz. Ich habe keine Lust, mir den Diskurs von einer kleinen Lobby-Gruppe diktieren zu lassen, die meint, uns erzählen zu dürfen, was Menschenrechte sind. Das erste Menschenrecht ist das Menschenrecht auf Leben.“
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