München/ Berlin

Ehrung abgelehnt

Kardinal Reinhard Marx verzichtet auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, um Opfern von sexuellem Missbrauch in der Kirche Respekt zu zeigen. Dem Münchner Kardinal wird Vertuschung von Missbrauchsfällen zu seiner Zeit als Bischof von Trier vorgeworfen. Von Missbrauch Betroffene begrüßen den Schritt.
Kardinal Reinhard Marx verzichtet auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
Foto: Federico Gambarini (dpa) | Mit seiner Entscheidung, sich vom Bundespräsidenten nicht auszeichnen zu lassen, kommt der Münchner Oberhirte Kardinal Reinhard Marx dem Vorschlag der Opfervertreter seines ehemaligen Bistums Trier entgegen.

In einem Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom 27. April hat Reinhard Kardinal Marx auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes verzichtet.

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Vertuschung sexuellen Missbrauchs vorgeworfen

Die für den 30. April geplante Ehrung hatte bei den Verbänden der von Missbrauch Betroffenen Unverständnis und Empörung hervorgerufen. In einer offenen Protestnote hatte sich Peter Bringmann-Henselder, Mitglied des Betroffenenbeirats des Erzbistums Köln, persönlich an den Bundespräsidenten gewandt. Der Stein des Anstoßes war die Tatsache, dass Marx in der Kritik steht, Fällen von sexualisierter Gewalt in seinem früheren Bistum Trier nicht konsequent nachgegangen zu sein und der damit zusammenhängende Vorwurf der Vertuschung. Konkret geht es dabei um den Fall einer Mitarbeiterin des Bistums Trier, die in der Folge der ihr durch ihren vorgesetzten Pfarrer über mehrere Jahre hinweg zugefügten sexualisierten Gewalt schwanger geworden war. Ein mit dem Pfarrer befreundeter Priester hatte der Frau in einem Beichtgespräch zur Abtreibung geraten.  

In einer dieser Zeitung vorliegenden Stellungnahme von Karin Weißenfels, so das Pseudonym der Betroffenen, heißt es dazu wörtlich: „Obwohl Bischof Marx bei seinem Amtsantritt im April 2002 über das mir durch die beiden Bistumspriester Widerfahrene informiert war, leitete er keine kirchenrechtlichen Untersuchungen ein. Auch unterließ er es, die ,graviores delicta‘ der beiden Priester der Glaubenskongregation zu melden.“ Die in solchen Fällen notwendige kirchenrechtliche Untersuchung gegen den Beichtpriester wegen dessen Drängens zur Abtreibung im Beichtgespräch leitete Bischof Marx erst ein, als der Anwalt der Betroffenen ihn 2006 dazu aufforderte.

Priester zurück im Amt

Ein Jahr später wurde von Marx die Irregularität des Beichtpriesters festgestellt. Aber bereits einen Tag später teilte der damalige Generalvikar Frau Weißenfels mit, dass der Beichtpriester beim Heiligen Stuhl Dispens beantragt habe. Der Antrag wurde, wie Frau Weißenfels berichtet, begleitet von einem positiven Votum von Bischof Marx nach Rom übermittelt, ohne dass der Priester zuvor ihr gegenüber seine Schuld eingestanden und Reue gezeigt habe. Die Dispens wurde gewährt, sodass der Beichtpriester nach weniger als fünf Monaten sein Priesteramt wieder ausüben konnte.

Dass die Ehrung von Kardinal Marx mit dem Bundesverdienstkreuz in dem noch schwebenden Verfahren der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt avisiert wurde, und der Bundespräsident ungeachtet der nachhaltigen Proteste daran festhielt, hält MissBIT, der Verein der Missbrauchsopfer im Bistum Trier, für problematisch. Der Vorstand von MissBIT weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der Fall Weißenfels von weiteren Berichten über negative Erfahrungen flankiert werde, die einige Betroffene mit Bischof Marx als Bischof von Trier gemacht hätten und nennt als Beispiel Gesprächsverweigerung, Verharmlosung und Einschüchterung. „Aus einigen Fällen ist MissBIT bekannt, dass Marx durch Pflichtverletzungen aktiven Täterschutz betrieben hat“, heißt es dazu in dem Papier.

Verzicht auf Verleihung von Missbrauchsopfern begrüßt

Peter Bringmann-Henselder betonte in seinem Schreiben an den Bundespräsidenten zudem, dass ein Gutachten hinsichtlich der Fälle sexualisierter Gewalt im Erzbistum München-Freising, welches im Jahr 2010 veröffentlicht werden sollte, ohne Konsequenzen geblieben sei. „Der Inhalt dieses Gutachtens ist bis heute der Öffentlichkeit nicht zugänglich, ganz im Gegensatz zu dem Gutachten des Erzbistums Köln, das am 18. März dieses Jahres veröffentlicht wurde, ungeschwärzt und ungekürzt und das komplett im Internet abrufbar und einsehbar ist“, schreibt Bringmann-Henselder für den Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln.

Der Verzicht von Marx ist aus Sicht der von Missbrauch Betroffenen konsequent. Denn durch eine Ehrung von Kardinal Marx wäre, wie Bringmann-Henselder dem Bundespräsidenten schreibt, „die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Pater Mertes und Matthias Katsch, die erst vor kurzem erfolgte, ad absurdum geführt“ worden.  Ein Sprecher des Bundespräsidialamtes hatte auf Anfrage dieser Zeitung im Vorfeld des Verzichts von Kardinal Marx ausgeführt: „Kardinal Reinhard Marx stand in seiner Zeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in besonderer profilierter Weise für Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft. In einer Zeit zunehmender Polarisierung hat er damit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Vermittlung zwischen Kirche und Gesellschaft beigetragen.

Rücksicht den Betroffenen gegenüber zeigen

Die Erwartung des Bundespräsidenten zur Aufklärung des massenhaften sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche ist klar. Dass Institutionen wie die katholische Kirche jahrzehntelang den Mantel des Schweigens über tausendfachen Missbrauch ausgebreitet haben, und Kinder und Jugendliche meist allein und ohne Unterstützung standen, hat der Bundespräsident in seiner Rede anlässlich der Auszeichnung von Matthias Katsch und Pater Klaus Mertes kritisiert.“ Warum der Bundespräsident einen Kardinal auszeichnen wollte, dessen Handeln in Sachen Missbrauch derzeit noch untersucht wird, erklärte der Sprecher nicht.

Dass die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Mertes und Katsch durch die Ehrung von Kardinal Marx entwertet worden wäre, sehen nicht nur Betroffene so, wie Christiane Florin vom Deutschlandfunk in einem Interview ausführte. Peter Bringmann-Henselder hätte im Falle einer Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Kardinal Marx sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben. Durch den Verzicht auf die Ehrung will Marx Rücksicht den Betroffenen gegenüber zeigen und negative Interpretationen im Blick auf andere Menschen, denen die Auszeichnung zuteil geworden ist, verhindern.

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