Was sich in Hamburg derzeit in puncto Religionsunterricht abzeichnet, kommt laut dem Schulsenator der Hansestadt, Ties Rabe (SPD), „religiös betrachtet einem Erdbeben“ gleich. Das Stichwort heißt „RUfa“, eine Abkürzung für „Religionsunterricht für alle“. Und damit ist viel mehr als nur ein gemeinsamer katholisch-evangelischer Religionsunterricht gemeint, den es bereits in vielen Bundesländern gibt. In Hamburg gehen Senat und Religionsgemeinschaften noch einen großen Schritt weiter: Dort wird sich das Erzbistum ab dem kommenden Schuljahr an einem gemeinsamen Unterricht für alle größeren Religionen beteiligen. Neben der katholischen und evangelischen Kirche sind auch Juden, Muslime und Aleviten mit dabei. Konfessioneller Religionsunterricht wird dann nur noch an den 20 katholischen Schulen des Erzbistums erteilt, an allen staatlichen Schulen der Hansestadt wird es hingegen ausschließlich den „Religionsunterricht für alle“ geben.
Zugeschnitten auf die spezifische Situation Hamburgs
Hamburgs Erzbischof Stefan Heße hat diese Entscheidung Ende April auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben. Die Erzdiözese habe „entschieden, fester Bestandteil des Religionsunterrichts für alle zu werden und das katholische Christentum darin zukünftig authentisch abzubilden“, so Heße. Dieses Format eines gemeinsamen Unterrichts aller größeren Religionen sei „zugeschnitten auf die spezifische Situation der Freien und Hansestadt Hamburg“ – und daher nicht übertragbar auf die anderen Regionen des Erzbistums in Mecklenburg und Schleswig-Holstein.
Welche Gründe zu dieser Entscheidung geführt haben, erläutert Christoph Schommer, Sprecher Schule und Hochschule im Ordinariat Hamburg, im Gespräch mit dieser Zeitung. Von den rund 200 staatlichen Schulen der Hansestadt hätten ganze drei Einrichtungen überhaupt noch katholischen Religionsunterricht angeboten – in insgesamt sechs Lerngruppen. Ansonsten habe es schlicht keine Nachfrage seitens der Eltern und Schüler gegeben. Es sei also immer schwieriger geworden, die rund 24.000 katholischen Schülerinnen und Schüler in Hamburg zu erreichen, so Schommer. „Wir sind eigentlich an den staatlichen Schulen als katholische Kirche überhaupt nicht mehr vorgekommen.“ Durch den „Religionsunterricht für alle“ habe man nun die Möglichkeit, „den Fuß in der Tür zu halten“.
Kommen konfessionsspezifische Inhalte zu kurz?
Bedenken, dass die konfessionsspezifischen Unterrichtsinhalte künftig zu kurz kommen, sieht Schommer nicht. Der Anteil religionsspezifischer Inhalte soll bei rund 50 Prozent liegen, und diese sollen möglichst durch katholische Religionslehrer erteilt werden. Durch seine Beteiligung am RUfa-Projekt sei das Erzbistum nun an der Erarbeitung der Lehrpläne beteiligt. Damit, so Christoph Schommer, sei sichergestellt, dass katholischen Inhalte ausreichend vorkämen. „Wir sehen unser Bekenntnis ausreichend abgebildet.“
Eine Ansicht, die Barbara Kursawe nicht teilen kann. Die Religionslehrerin aus Hannover ist Mitglied im Bundesvorstand des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen (VkdL). „Wir sehen das als Verband sehr kritisch“, sagt Kursawe auf Nachfrage dieser Zeitung. Der „Religionsunterricht für alle“ sei ein reiner Religionskundeunterricht. „Das kann nicht im Sinne der katholischen Kirche sein“, kritisiert die Religionslehrerin. Sie befürchtet eine „Verdunstung“ religiöser Grundkenntnisse. Bei einem gemeinsamen Unterricht mehrerer Religionen erhielten die Kinder und Jugendlichen „keine wirkliche Orientierung in der eigenen Konfession“, kritisiert Kursawe. Hinzu kämen grundrechtliche Fragen: Nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes hätten Eltern einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf konfessionellen Religionsunterricht, und der finde in Hamburg künftig nicht mehr statt.
Erzbistum sieht Rufa durch Verfassung gedeckt
Dem widerspricht allerdings Christoph Schommer: Er verweist auf mehrere gutachterliche Stellungnahmen, die das Erzbistum Hamburg eingeholt hat. Durch die religionsspezifischen Inhalte des RUfa sei das verfassungsmäßige Recht auf konfessionellen Religionsunterricht abgedeckt.
Unterstützung für den RUfa kommt auch von Gabriele Klingberg, Bundesvorsitzende des Bundesverbandes der katholischen Religionslehrer und -lehrerinnen an Gymnasien (BKRG). „Prinzipiell muss man das Projekt vor dem Hintergrund der Hamburger Verhältnisse sehen“, so die Religionslehrerin aus Tübingen. Auf diese Weise könne katholischer Religionsunterricht weiter Bestand haben, könne sich die katholische Kirche weiterhin einbringen, sagt sie auf Nachfrage dieser Zeitung. „Von daher finde ich das prinzipiell ganz positiv, weil damit eine Konfessionsverbundenheit und konfessionelle Prägung überhaupt noch weiter möglich sein wird“, so Klingberg. Jugendliche müssten heute mit einer großen Pluralität umgehen und da sprachfähig sein. Von daher seien interreligiöse Begegnungen wichtig, so die Verbandsvorsitzende.
Und Klingberg verweist auch auf die Konsequenzen für die katholischen Religionslehrer in Hamburg – denn die müssen künftig im RUfa auch jüdische oder muslimische Schüler unterrichten. Eine Weiterbildung sei hier „total notwendig“, so die Verbandsvorsitzende. „Das ist unglaublich wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer der verschiedenen Konfessionen und Religionen miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen.“ Hier müssten adäquate Fortbildungskonzepte geschaffen werden. Die sind für die rund 100 katholischen Religionslehrer in Hamburg ohnehin vorgesehen, betont ebenso Christoph Schommer. „Da müssen die ran. Alle müssen über alles Bescheid wissen“, so Schommer. Die Religionslehrer müssten künftig Moderatoren sein – und zugleich Zeugen ihres eigenen Glaubens.
Bundesweiter Vorbildcharakter des Hamburger Modells
Laut Schommer könnte das Hamburger Modell durchaus einen bundesweiten Vorbildcharakter haben. „Wir merken an den Anfragen, dass das schon beobachtet wird. Wir sind hier sicherlich auch ein Stück weit Vorläufer für Entwicklungen, die sich auf andere Regionen durchaus noch auswirken werden“, so der Vertreter des Erzbistums. Auf Nachfrage dieser Zeitung sind in anderen katholischen Diözesen mit einer ähnlichen gesellschaftlichen Realität wie in Hamburg zurzeit keine religionsübergreifenden Unterrichtsmodelle geplant. „Einen Religionsunterricht für alle gibt es nicht“, sagt beispielsweise Stefan Förner, Sprecher des Erzbistums Berlin. In Berlin und Brandenburg steht der Religionsunterricht in Konkurrenz zu Fächern wie Ethik oder Lebenskunde, außerdem gibt es in beiden Bundesländern eine Kooperation beider großer Kirchen, wo konfessioneller Unterricht nicht mehr möglich ist.
Ähnlich ist die Situation im Erzbistum München und Freising: „Es gibt weder Überlegungen noch Planungen, das Hamburger Modell des ,Religionsunterrichts für alle (Rufa)' einzuführen. Es gibt weiter auch keine anderen Überlegungen bezüglich eines religionsübergreifenden Modells“, sagte Hendrik Steffens, Redakteur Pressearbeit im Münchner Ordinariat, auf Nachfrage. Seit zwei Jahren gebe es eine Kooperation mit der evangelischen Kirche, wo konfessioneller Unterricht nicht mehr sinnvoll möglich sei. Das Erzbistum Köln konnte hingegen trotz wiederholter Nachfrage keine Auskunft darüber geben, ob es derzeit interkonfessionelle oder religionsübergreifende Kooperationsmodelle beim Religionsunterricht gebe und ob diese geplant seien.
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