Berlin

Die Schwierigkeiten der Aufarbeitung

Ungereimtheiten bei dem jüngst veröffentlichten Berliner Missbrauchsbericht: Diese zeigen exemplarisch die Schwierigkeiten im Umgang mit Missbrauchsfällen.
Der Berliner Erzbischof Heiner Koch
Foto: Harald Oppitz (KNA) | Nicht nur im Erzbistum Köln ist die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen kein Selbstläufer: Auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch stößt auf Schwierigkeiten bei dem Versuch, das Problem angemessen anzupacken.

Gerade erst hat das Erzbistum Berlin den bislang unter Verschluss gehaltenen Teil des Gutachtens über sexuellen Missbrauch in seiner Diözese, in dem es um die einzelnen Taten und Tatvorwürfe geht, veröffentlicht, da kommt die weitere Aufklärungsarbeit offenbar erst einmal zum Erliegen. Die aus Vertreterinnen und Vertretern des Diözesanrats und des Priesterrats zusammengesetzte Gutachten-Kommission hat ihre Arbeit für „ruhend“ erklärt. Das mit der Aufarbeitung beauftragte Gremium ist zu dem Schluss gekommen, dass die Bonner Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs den ihr erteilten Untersuchungsauftrag nicht ausreichend bearbeitet habe.

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Bonner Anwälte widersprechen

Vor allem habe die Kanzlei nicht beantwortet, „durch wen und auf welche Weise Fälle sexuellen Missbrauchs im Bereich des Erzbistums Berlin vertuscht worden sind und ob und inwieweit die jeweils anwendbaren kirchlichen und kirchenstrafrechtlichen Regelungen eingehalten worden sind“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Kommissionsmitglieder hätten weder die ausreichenden zeitlichen Ressourcen noch die notwendige fachliche Expertise um diese juristischen Fragestellungen zu bearbeiten. Es sei daher erforderlich, die Bewertung des Verhaltens von Verantwortungsträgern und die Unterbreitung von Vorschlägen zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen durch die Kanzlei Redeker Sellner Dahs nachbearbeiten zu lassen, oder eine weitere Kanzlei damit zu beauftragen.

Ist die Kommission bereit, die notwendige Aufarbeitung zu leisten?

Das sehen die Bonner Anwälte völlig anders. Sie sind der Auffassung, dass sich aus ihrem Gutachten durchaus feststellen lasse, wer Fälle sexuellen Missbrauchs vertuscht habe. Die Haltung der Kommission spreche dafür, dass sie fachlich oder personell nicht bereit oder in der Lage sei, die notwendigen Aufarbeitungsschritte in Angriff zu nehmen. Die Gutachter fordern die Kommission auf, ihre Arbeit unverzüglich fortzusetzen.
Der bislang fehlende Teil des Gutachtens, der nun im Internet zur Verfügung steht, beschreibt Fälle von 61 Klerikern. Sie werden des Missbrauchs von mindestens 121 Kindern und Jugendlichen beschuldigt. An einigen Stellen des Gutachtens sind aus Personenschutzgründen Schwärzungen im Text vorgenommen.


In sieben der benannten Fälle stellten die Bonner Gutachter Verstöße gegen die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) fest. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen Informationen nicht korrekt weitergegeben wurden, man Beschuldigte nicht mit erhobenen Vorwürfen konfrontiert hat, oder in denen kein Kontakt zu namentlich bekannten Betroffenen gesucht wurde. Auch der Schutz des Ansehens der Institution stand wiederholt über dem Schutz der Opfer. Deutlich wird aber auch, dass es sich bei den Ursachen der Probleme in der Bearbeitung der Missbrauchsfälle vielfach um die mangelnde Qualifikation von Ermittlungspersonen und eine schlechte Organisation in der Abwicklung von Verfahren handelt. So attestieren die Gutachter einem der Untersuchungsführer „offenbare Unkenntnis vom geltenden kanonischen Recht“. Auch erscheint nach Auffassung der Juristen die Beweiswürdigung des Ermittlers nicht immer nachvollziehbar. Verzögerungen im Verfahrensablauf sind offenbar darauf zurückzuführen, dass es wohl kein funktionierendes Wiedervorlagesystem gab.
Ein Blick auf einzelne Sachverhalte zeigt, wie schwierig der administrative Umgang mit Missbrauchsvorwürfen ist. Dabei zeigt sich, dass, wie auch Beispiele aus anderen Bistümern belegen, der Schutz der Institution lange Zeit vor dem Schutz der Opfer stand. Vielfach sind es aber einfach die Zeitabläufe, die neben der oft problematischen Aktenführung, eine Aufklärung der Taten erschweren.

Lange Zeit stand der Schutz der Institution vor dem Schutz der Opfer

So war Rainer Maria Kardinal Woelki in seiner Berliner Amtszeit von 2011 bis 2014 mit einem Sachverhalt konfrontiert, bei dem sich die Gutachter erstaunt über eine Verfahrenseinstellung zeigen. Hier ging es um einen Fall, dem ein mutmaßliches Tatgeschehen aus dem Jahre 1954 zu Grunde liegt. Eine entsprechende Anzeige erfolgte allerdings erst im März 2010 gegenüber dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, dem Trierer Bischof Stefan Ackermann, also 56 Jahre nach dem vorgeworfenen Vorfall. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis der Sachverhalt über Umwege beim Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums Berlin landete. Im Dezember 2011 wurde ein förmliches Voruntersuchungsverfahren gegen den Beschuldigten durch Kardinal Woelki eingeleitet. Bis zu einem Abschlussbericht des Untersuchungsführers dauerte es dann fast ein weiteres Jahr. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich ein sexueller Missbrauch an der damals Minderjährigen nicht nachweisen lasse.


Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft wurde von der Betroffenen ausdrücklich nicht gewünscht und war nach den Leitlinien der Bischofskonferenz zum damaligen Zeitpunkt in einem solchen Fall auch nicht zwingend. Der Untersuchungsführer stellte fest, dass sich die Aussagen der Betroffenen und des Klerikers zum Teil diametral widersprechen würden. Woelki stellte das Verfahren nach eigenen Angaben auf der Grundlage der Untersuchungen und Beweisergebnisses des beauftragten Untersuchungsführers ein.

Um echte Aufklärung zu leisten ist es wichtig, klare Verantwortlichkeiten zu benennen

In anderen Fällen scheint die bekannte unzureichende Aktenführung Probleme zu bereiten. Bei einem in die Amtszeit von Erzbischof Heiner Koch fallenden Vorfall wurde ein Dekret, das sein Amtsvorgänger Kardinal Woelki ausgesprochen hatte, nicht befolgt. Dieser hatte verfügt, dass ein beschuldigter Priester im Falle seines Todes nicht in der Gemeinde, in der er tätig war, bestattet werden dürfe. Dennoch erfolgte die Beerdigung des Priesters 2016 eben genau an diesem Einsatzort. Warum das Dekret missachtet wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Zurückgenommen wurde es offenbar nicht. Ob die Anordnung Kardinal Woelkis wissentlich missachtet wurde, oder ob hier die Ursache einmal mehr in einer undurchsichtigen Aktenführung lag, konnten die Gutachter letztlich nicht aufklären. Diese Beispiele zeigen, dass es notwendig ist, klare Verantwortlichkeiten und daraus resultierende vorwerfbare Pflichtverletzungen zu benennen, um echte Aufklärungsarbeit leisten zu können.

Wie geht es jetzt weiter mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin: In der nächsten Sitzung nach dem Sommer wird sich die Gutachten-Kommission mit der Neuausrichtung des Arbeitsauftrages auseinandersetzen. Vielleicht gibt ein ergänzendes Gutachten mehr Klarheit über die Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen seitens der jeweiligen Bistumsleitungen. Das Gremium wird dann auf die Entwicklung eines Maßnahmenplans zur Umsetzung der im Gutachten geforderten Veränderungen sowie die Bewertung der Fälle aus einer pastoralen und kirchlich-ethisch-moralischen Perspektive eingehen können.

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