Dürfen Christen reich sein? Sind nicht Christus selbst und die Apostel arm gewesen? Gibt es nicht im Neuen Testament das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelöhr und die Geschichte von dem reichen Jüngling, der traurig wegging, als Jesus ihn aufforderte, seinen Besitz aufzugeben? Solche Fragen bewegten die Gemüter im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder.
Eine besondere Virulenz gewannen sie in der Spätantike. Die sogenannte „konstantinische Wende“ veränderte die soziologische Zusammensetzung der christlichen Gemeinden. Nun traten vermehrt auch die „oberen Zehntausend“ in die Kirche ein, die ihre Mitglieder zuvor vor allem aus der Mittel- und der Unterschicht rekrutiert hatte. Der enorme Luxus, in dem diese kleine Schicht der Superreichen lebte, ist noch heute in den archäologischen Zeugnissen greifbar.
In den folgenden Jahrzehnten gab es immer wieder einzelne Fälle, in denen Mitglieder dieser privilegierten Elite unter Berufung auf das Evangelium auf ihre Güter verzichteten. Freilich waren sie in der Minderzahl. Sahen die anderen reichen Christen, die an ihrem Besitz festhielten, das Dilemma nicht? Und wenn: Wie gingen sie damit um? Gab es einen Unterschied zwischen einem reichen Christen und einem reichen Heiden? Welche Folgen hatte es für die Kirche, dass sie nun über finanziell potente Mitglieder verfügte? Und noch viel umfassender gefragt: Was bedeutete Reichtum in der Spätantike überhaupt?
Mit solchen Fragen beschäftigt sich mit Blick auf die lateinische Westhälfte des römischen Reiches Peter Brown in seinem Buch „Der Schatz im Himmel“. Der 1935 geborene britische Gelehrte, der zuletzt in Princeton wirkte, wird auch mit diesem Buch seinem Ruf als profunder Kenner der Spätantike im allgemeinen und des spätantiken Christentums im besonderen mehr als gerecht. Gelegentlich kommt dabei auch ein typisch angelsächsischer Humor zu seinem Recht. Die schriftlichen Darlegungen werden ergänzt durch einen wertvollen Bildteil.
Der mutige Brückenschlag zwischen Wirtschafts- und Geistesgeschichte gelingt hervorragend. Eindringlich zeigt Brown, wie man gerade anhand des von ihm nachvollzogenen Wandels der Gesellschaftsideale den Übergang von der Antike zum Mittelalter nachvollziehen kann. Auch in geographischer Hinsicht ist sein Zugriff auf das Thema umfassend, da er die teilweise erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen berücksichtigt. Auf Basis neuester Forschungen werden liebgewonnene Klischees hinterfragt. So weist Brown nachdrücklich darauf hin, dass es auch in der Spätantike eine durchaus vitale Mittelschicht gab und nicht, wie oft behauptet, nur eine arme Masse und wenige Reiche.
Beeindruckend ist schon alleine die Fülle des verarbeiteten Materials. Mit seinem Facettenreichtum entzieht sich das Buch einer einfachen Zusammenfassung. Auch außerhalb des eigentlichen Hauptthemas bietet es zahlreiche interessante Einsichten. So etwa zur Durchsetzung des Klerikerzölibats in der Spätantike, die laut Brown den Wünschen des Kirchenvolkes entsprach und mithin etwas war, „das wir in der heutigen Wirtschaftssprache als ,verbrauchergesteuert‘ bezeichnen würden.“
Akribisch zeigt Brown in diversen Fallstudien auf, welche Haltung zum materiellen Reichtum Akteure des spätantiken Geisteslebens vertraten und weist ihnen in Sozial- und Geistesgeschichte ihren Platz zu. Auf der Seite der radikalen Reichtumsverächter begegnet zum Beispiel das junge Ehepaar Pinianus und Melania, das Anfang des fünften Jahrhunderts auf eines der größten Vermögen Roms verzichtete. Dem als Dichter bekanntgewordenen Bischof Paulinus von Nola dagegen ging es nicht so sehr um wirkliche Armut wie darum, auf die hergekommene Zurschaustellung des Reichtums zu verzichten. Das implizierte auch den Verzicht auf regelmäßiges Baden und gutes Essen. Ihm gegenübergestellt wird sein Dichterfreund Ausonius, der als Vertreter eines sehr weltlich gesonnenen, der konstantinischen Epoche zugehörenden Christentums mit den neuen asketischen Idealen nichts anzufangen wusste.
Ausführlich dargestellt wird das Wirken des Hieronymus in Rom, der unter Damen der oberen Gesellschaftsschicht eine Askesebewegung initiierte. Dabei wird deutlich, dass die Situation des Gelehrten selbst nicht widerspruchsfrei war. Zwar war sein Lebensstil bescheiden, doch setzte seine Tätigkeit den Besitz vieler Bücher voraus – und die waren ein Luxusgut: „Man vergisst heute in unserer mit billigen Büchern übersättigten Welt, dass die Tradition gelehrten, kontemplativen Lesens, wie Hieronymus sie vertrat, eine gewaltige Investition voraussetzte.“ Hieronymus war also trotz seiner ostentativen Verachtung des Reichtums auf wohlhabende Gönner angewiesen, die er durch stilistische Brillanz für sich einnehmen musste. Das hinderte ihn nicht daran, publizistischen Gegnern vergleichbare Abhängigkeitsverhältnisse zum Vorwurf zu machen.
Besondere Aufmerksamkeit findet Augustinus, der mit der Problematik von Reichtum und Besitzlosigkeit mehr als einmal in seiner Laufbahn konfrontiert war. Als er im nordafrikanischen Hippo ein Kloster einrichtete, kamen dort Personen mit ganz verschiedener sozialer Herkunft zusammen. Die reichen Mönche warnte Augustinus davor, ihre Brüder aus ärmlichen Verhältnissen zu verachten; umgekehrt warnte er die Armen, sie dürften sich nichts darauf einbilden, „dass sie jetzt mit solchen Menschen Umgang pflegen, denen sie sich früher nicht zu nähern pflegten.“
Der richtige Umgang mit materiellem Besitz beschäftigte Augustinus später im Pelagianismusstreit. Die Pelagianer forderten von den Reichen völligen Verzicht. Der Bischof von Hippo vertrat eine andere Haltung: Für ihn war der Hochmut das weitaus größere Problem („Beseitige den Hochmut, und der Reichtum wird nicht schaden“). Für Augustinus war Reichtum eine Gnadengabe Gottes, deren Zuteilung an bestimmte Personen vom menschlichen Verstand nicht in Frage gestellt oder begründet werden konnte. Sein Appell an die Reichen zielte nicht auf überstürzten Totalverzicht, sondern lautete, die Armen und die Kirche großzügig zu unterstützen.
Augustinus positionierte sich deutlich gegen den Perfektionismus der Pelagianer. In seinem Kirchenbild war auch Platz für die minder Vollkommenen, für jene, „die an dem festhalten, was sie besitzen. Die Almosen geben, aber nicht sehr großzügig. ... Die aber, wegen all dieser Dinge, sich selbst als klein und Gott als ruhmreich sehen.“
Mit gut 950 Seiten weist „Der Schatz im Himmel“ einen durchaus monumentalen Umfang auf. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, der darf darauf vertrauen, dass diese Lektüre sein Geschichtsbild um einige wichtige Facetten bereichern wird.
Peter Brown: Der Schatz im Himmel. Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Weltreichs. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, gebunden, 957 Seiten, ISBN 978-3-608-94849-3, EUR 42,-