Äthiopien spielte auf dem afrikanischen Kontinent stets eine besondere Rolle. Abgesehen von einer kurzen, unglückseligen Eroberung durch Mussolini war es nie Kolonie, sondern blickte mit Stolz auf mehrere Jahrtausende Eigenstaatlichkeit. Neben der Krone war es der christliche Glaube, der dem Land Zusammenhalt und Identität gab. Doch nun droht die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche zu zerbrechen: nicht an Glaubensfragen, sondern an einer politisch-ethnischen Intrige. Drei Erzbischöfe der Oromo-Region gingen vorsätzlich ins Schisma: Sie brachen mit ihrer Mutterkirche, errichteten ein eigenes Patriarchat auf ethnischer Grundlage und behaupteten, 26 neue Bischöfe geweiht zu haben. Daraufhin erklärte der Synod der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche Weihespender und -empfänger für exkommuniziert und enthob sie ihrer kirchlichen Ämter. In den kirchlichen Erklärungen werden die Schismatiker schlicht als "Verbrecher" und "kriminelle Bande" bezeichnet.
Das Schisma wird blutig ausgefochten
Aus gutem Grund, denn das Schisma wird blutig ausgefochten. Zuletzt kamen bei einem Angriff auf eine Kirche zwei Menschen ums Leben. Mehrere Bischöfe, Priester und Kirchenvertreter in den westlichen und südlichen Regionen wurden entführt und misshandelt. Kircheneigentum wurde gestohlen oder für beschlagnahmt erklärt.
Das alles geschieht offenbar mit dem Segen und der Mittäterschaft der Regierung: Seit Premierminister Abiy Ahmed Ali 2018 an die Macht kam, wurden Tausende Gläubige, darunter auch Priester und Diakone "massakriert, und Millionen von ihnen von politisch motivierten, schlecht beratenen radikalen ethnischen Nationalisten gewaltsam vertrieben", heißt es in einer Erklärung der Kirche. Millionen Christen seien "in einen politisch angezettelten totalen Bürgerkrieg" hineingezogen worden, "in dem sich Brüder und Schwestern der Orthodoxie gegenseitig abschlachteten". Hunderte alter Kirchen und Klöster mit ihrem unschätzbaren Erbe seien zerstört worden.
Regierung betont Spaltung Bürger nach ethnischer Zugehörigkeit
Die Ursache dafür sei die Ideologie der Regierung, die "die Spaltung der Bürger nach ethnischer Zugehörigkeit betont", und eine Strategie, "die die Kirche ganz offen als rückständig und als Hindernis für die Entwicklung bezeichnet". Diese Entwicklung zielt auf eine Ethnisierung des traditionsreichen Landes. Prinz Asfa-Wossen Asserate, der in Deutschland lebende Großneffe des äthiopischen Kaisers Haile Selassie, meint im Gespräch mit dieser Zeitung: "Die Regierung will die Hegemonie der Oromos über das ganze Land. Die Kirche soll durch Ethnisierung geschwächt werden." Sie sei nämlich die letzte Kraft der Einheit: "Solange es eine Äthiopisch-Orthodoxe Kirche gibt, gibt es auch Äthiopien. Ohne sie gäbe es keine Institution mehr, die für die Einheit des Landes steht."
Der Premierminister, der der vierten Ehe eines muslimischen Oromo entstammt, sich jedoch einer Pfingstkirche zugewandt hat, dürfte für die traditionelle Kirche Äthiopiens ebenso wenig Sensibilität haben wie für die christliche Tradition. Die schismatischen Bischöfe werden von staatlichen Sicherheitskräften verteidigt und unterstützt, während Würdenträger der traditionellen Kirche schikaniert und entführt wurden. Zuletzt rechtfertigte der Regierungschef das Schisma öffentlich und kritisierte die Kirche. Die Verletzungen der Religionsfreiheit in Äthiopien sind keine interne Angelegenheit, weder des Landes noch der Kirche, sondern ein Skandal, der nach weltweiter Solidarisierung ruft.
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