Im Jahr 2022 überboten sich die beiden großen Konfessionen in Deutschland mit Respektbezeugungen vor den Klimaaktivisten der „Letzten Generation“. Während die Vorsitzende der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, sich vor Weihnachten offen für Kooperationen mit radikalen Klimaschützern zeigte, da „die Bewahrung der Schöpfung auch Aufgabe der Kirche“ sei, ging der Vorsitzende der deutschen Bischöfe noch einen Schritt weiter: Er verglich die „Letzte Generation“ mit den frühen Christen. Warum? Das Lebensgefühl dieser Aktivisten, so Bischof Bätzing, ähnele dem der frühen Christen in der Urkirche, die sich als letzte Generation vor dem Anbruch des Reiches Gottes verstanden hätten.
Fragliche Einschätzung
Dass diese Einschätzung mit einem Fragezeichen zu versehen ist, zeigte sich allerdings an Heiligabend in der evangelischen Auferstehungskirche in Stuttgart-Möhringen. Denn das Lebensgefühl der Urkirche dürfte den Aktivisten, die vor der Kirchentür standen, um den Gottesdienst medienwirksam zu stören, ziemlich fremd gewesen sein. Ohne den Tag des Herrn könnten sie nicht leben, hatten frühe Christen, die bei einer verbotenen Eucharistiefeier ertappt worden waren, ihrem Richter geantwortet. Ganz anders tickt die Letzte Generation, der die Live-Übertragung eines Weihnachtsgottesdienstes in der ARD als politische Bühne dienen sollte.
Der Plan sickerte nach Polizeiangaben durch; die evangelische Kirche reagierte auf ihre Weise: Statt des geplanten Gottesdienstes wurde dessen Generalprobe am 23. Dezember aufgezeichnet und anstelle der Live-Übertragung an Heiligabend ausgestrahlt. In der Auferstehungskirche blieben die Türen am 24. Dezember geschlossen. Die Polizei verwies die Klimaschützer vom Platz. „Wir wollten nicht, dass die Weihnachtsfreude der Kinder und Mitfeiernden gestört wird“, sagte der Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Dan Peter, der Katholischen Nachrichten-Agentur. „An Weihnachten sollte die Botschaft der Hoffnung im Vordergrund stehen und nicht der Konflikt.“ Bei allem Verständnis für das Anliegen des Klimasschutzes heiße man die Art und Weise des Protestes der „Letzten Generation“, die unter anderem mit Hausfriedensbruch einhergehe, aber nicht gut. Im Gespräch bleiben will die Landeskirche dennoch.
So findet man Gegner
Für die katholische Kirche, die in Deutschland täglich Liturgien live überträgt, ist der Vorfall in Stuttgart in Weckruf. Das Schweigen der Bischöfe hat immerhin den katholischen Bundesjustizminister nicht von einer klaren Ansage auf Twitter abgehalten. Wer an Weihnachten einen Gottesdienst stürmen möchte, um für politische Ziele zu werben, dem sei nicht mehr zu helfen, twitterte Marco Buschmann (FDP). Aus seiner Sicht findet man so keine Unterstützer, sondern bloß Gegner. Die „Letzte Generation“ schade seriösem Klimaschutz.
Für gläubige Katholiken stellt sich mit der Entscheidung der ARD und der evangelischen Landeskirche ein noch grundlegenderes Problem. Eine Eucharistiefeier ist kein evangelischer Gottesdienst. Man kann die heilige Messe nicht wie ein Konzert generalproben, dem liturgischen Kalender vorgreifend aufzeichnen und zum gewünschten Termin ausstrahlen. Sollten öffentlich-rechtliche Fernsehsender von katholischen Pfarreien dieselbe Flexibilität erwarten wie von der evangelischen Landeskirche in Württemberg, müssten diese passen. Die Vorab-Aufzeichnung einer Messe wäre für Katholiken eine befremdliche Simulation. Gut, dass Sender wie Radio Horeb, EWTN und K-TV für Seriosität und liturgische Kompetenz bei der Übertragung von Messen bürgen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.